Hallo,
früher war vieles einfacher: Im Behördenkontext gab es nur Papier und das wurde in Akten archiviert. Manchmal nahmen Kanzler bestimmte Akten mit nach Hause und brachten sie nicht wieder zurück. Die liegen jetzt in Kanzlerarchiven oder den parteinahen Stiftungen und sind der Öffentlichkeit und Wissenschaft entzogen. Aber darum geht es hier nicht.
Ich finde die Antwort auf eine kleine Anfrage an die Bundesregierung spannender, wo diese erklärt, dass es keine rechtliche Grundlage und offensichtlich auch kein Problembewusstsein für die Nutzung von privaten Accounts für Regierungsmitglieder gibt: Bundesminister können private E-Mail-Konten dienstlich nutzen. Wir haben 2020 und dafür gibt es immer noch keine Regelung. Dabei ist das ein Problem, aus vielfacher Hinsicht.
Früher haben wir mit viel Galgenhumor darüber gelacht, wenn man hörte, wie in den unterschiedlichen Ministerien mit privaten Geräten von Regierungsmitgliedern umgegangen wurde. Das waren auch noch die Zeiten, wo Smartphones neu und die Behördenverwaltungsinfrastrukturen alt waren und damit nicht klar kamen.
Da gab es Staatssekretäre, die für IT-Sicherheit mitverantwortlich waren und ihre Mails an einen Yahoo-Account weiterleiteten, um auf dem iPhone Mails lesen zu können. Oder es gab einen Außenminister, der wohl auch wegen seines iPhones lieber sein Büro über Google Calender verwaltete. Das sich über diesen Service NSA und Co freuten, wurden einigen erst mit den Snowden-Enthüllungen klar. Dem Rest war das wahrscheinlich egal, Hauptsache bequem.
Zwischenzeitlich halt das Thema auch Donald Trump ins Präsidentenamt, als er im Rahmen seiner Wahlkampfkampagne ständig „but her eMails!“ wiederholte und als Riesen-Skandal inszenierte, weil Hillary Clinton aus den üblichen Bequemlichkeits-Gründen einen privaten Mailserver benutzte. Kein Fun-Fact war, dass die Trump-Administration nach Einzug ins Weiße Haus selbstverständlich dasselbe macht und es kaum jemanden interessiert, weil es größere Probleme gibt.
Und jetzt haben wir Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer, bei dem rauskommt, dass er Mautverträge über private Mailadressen verhandelt und über Whatsapp mit dubiosen Startups kommuniziert. Aber keine Panik, sein Sprecher verkündete bei Spiegel-Online: Was verwaltungsrelevant sei, müsse in Akten festgehalten werden. „Alles, was veraktungswürdig ist, wird dann eben auch veraktet“.
Aber wer kontrolliert das? Und wie vertrauenswürdig ist die Aussage eines Sprechers von Andreas Scheuer? Und warum nutzt ein Verkehrsminister seine privaten Mailadressen, um Regierungsverhandlungen darüber zu führen? Ich halte die Regelungen nicht für zeitgemäß. Und zwar aus Sicherheits- und Transparenzgründen.
Aber ändern wird sich absehbar leider nichts. Und selbst Andreas Scheuer bleibt ja weiter im Amt.
Neues auf netzpolitik.org:
Wie schaut es mit der EU-weiten Interoperabilität von Apps zur Kontaktverfolgung von möglichen Infektionsketten aus? Pünktlic zum Ende der Sommerurlaubs-Saison soll es eine Lösung geben. Oder zumindest Hoffnung darauf, wie Alexander Fanta recherchiert hat: Europaweite Lösung lässt auf sich warten.
Tracing-Apps funktionieren bislang nur im eigenen Land. SAP und T-Systems arbeiten im Auftrag der EU-Kommission an einer grenzüberschreitenden Lösung, die allerdings nicht für alle Länder funktionieren wird.
Kurze Pausenmusik:
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Was sonst noch passierte:
Die New York Times hat ein schönes Portrait über die in den USA forschende Techniksoziologin Zeynep Tufekci veröffentlicht: How Zeynep Tufekci Keeps Getting the Big Things Right.
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Mein Bauchgefühl sagte mir schon lange bei dem ganzen TikTok-Theater in den USA, dass da garantiert Facebook hinter steckt. Wenn man sich die Geschichte des Unternehmens anschaut, dann weiß man, dass es sehr aggressiv gegen alle Konkurrenten vorgegangen ist. Und entweder hat man sie früh für sehr viel Geld übernommen (Instagram und Whatsapp) oder wenn das nicht geklappt hat, einfach deren Funktionalitäten kopiert (Snapchat). Das Wall Street Journal berichtet jetzt, dass Mark Zuckerberg in zahlreichen Lobbygesprächen eine Kampagne entfacht hat: Facebook CEO Mark Zuckerberg Stoked Washington’s Fears About TikTok.
Für das Unternehmen ist das auch ein Quickwin: Die Erzählung mit China als großen Konkurrenten ist sehr einfach, es gibt einen Bösewicht und auch der Rest mit IT-Sicherheit, Hintertüren und Datensammlung für Geheimdienste ist für US-Politiker:innen sehr einfach zu verstehen, weil die das Spiel erfunden haben. Und Politiker:innen haben unterschiedliche Ansprüche an Facebook, das nun mal einen bedeutenden Teil der neuen Öffentlichkeiten im Netz kontrolliert und sicherlich auch bei Hintergrundgesprächen zu bestimmten Zugeständnissen bereit ist, wenn dem Unternehmen im Gegenzug geholfen wird, diesen lästigen Konkurrenten aus einem anderen Land loszuwerden, bevor man irgendwann von diesem in der Marktführerschaft abgelöst werden könnte.
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Donald Trump verliert seine Kommunikationsberaterin Kellyanne Conway und Erfinderin der „Alternative Facts“. Sie hat gekündigt hat, weil ihre Familie sie wohl vor die Frage „Trump oder wir“ gestellt haben. Vor ihrem Rücktritt twitterte ihre Tochter „Der Job meiner Mutter hat mein Leben ruiniert“ und ihr Mann arbeitete im republikanischen Lincoln-Projekt gegen eine Wiederwahl von Trump. Da möchte man nicht mit am Küchentisch sitzen müssen. Aber dafür haben sie jetzt alle mehr Zeit.
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Das ZDF hat eine Scroll-Reportage über die Verbreitung von Aerosolen in Klassenzimmern, die das Corona-Verbreitungs-Risiko anschaulich zeigt: Wie schnell sich Aerosole verbreiten können.
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Der Tagesspiegel hat den Berliner Kultursenator Klaus Lederer (Die Linke) portratiert, der in der Krise einen guten Job macht: Der Drachentöter von Prenzlauer Berg.
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Die britische Polizei experimentiert mit Drohnen und eingebauten Wärmebild-Kameras, um die Einhaltung von Abstandsregeln zu kontrollieren. Wie immer muss man dabei darauf hinweisen: Im Moment ist das noch etwas ulkig, weil das teilweise nicht funktioniert die die Drohnen nicht lange in der Luft bleiben können. Aber leider müssen wir davon ausgehen, dass beide Probleme absehbar gelöst werden könnten.
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Direkt daneben können weitere Experimente der britischen Polizei eingeordnet werden, die mit Gesichtserkennung experimentieren, die die Stimmung von Menschen mit berechnen sollen. Dazu muss man wissen, dass das auch absehbar nicht funktionieren wird und es keine Beweise gibt, dass das überhaupt Sinn machen könnte. Also außer für die Unternehmen, die solche Technologien überforderten Regierungsbeamten verkaufen: British police to trial facial recognition system that detects your mood.
Videos des Tages: Wilde Mäuse in Wacken
Ich mochte die österreichische Tragikkomödie „Wilde Maus“ in der ARD-Mediathek über einen gefeuerten Feuilletonisten, dessen Leben aus dem Ruder läuft. Viel österreichischer Charme und Witz dabei. Sicherheitshalber kann man den Film auch mit Untertiteln sehen, wenn man Wienerisch nicht versteht.
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Das Popkultur-Magazin Arte-Tracks hat ein Metal-Special im Angebot. Und bei 3sat gibt es eine Dokumentation über Wacken: Full Metal Village.
Ich fand in meiner Jugend mal eine kurze Zeit Metal spannend, hatte dann aber das Gefühl, dass sich musikalisch und kulturell äußerst wenig ändert und andere Sachen viel spannender waren. Und das ist geblieben. Trotzdem ein lustiges Biotop zum Anschauen, solange man nicht selbst nach Wacken muss.
Netzpolitik-Jobs
Ich bekomme regelmäßig Job-Angebote im netzpolitischen Bereich zugeschickt und dachte mir, dass eine zusätzliche Rubrik ein guter Service sein könnte. Zweimal die Woche werde ich zukünftig auf aktuelle Job-Angebote hinweisen.
Den Digitale Gesellschaft e.V. (digiges) habe ich mal vor zehn Jahren mitgegründet. Aktuell sucht der Verein eine neue Leitung der Geschäftsstelle in Berlin.
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Wer sich für Netzpolitik in Österreich interessiert, kommt an epicenter.works nicht vorbei. Die kleine NGO sucht jetzt eine/n Communications- und Campaigner:in mit Arbeitssitz in Wien.
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Der European Artificial Intelligence Fund ist ein Zusammenschluss verschiedener Stiftungen, die eine gemeinwohlorientierte Debatte um „Künstliche Intelligenz“ und algorithmische Entscheidungssysteme fördern wollen. Für die Verteilung von derzeit zwei Millionen Dollar im Jahr wird ein:e Programm-Manager:in (am liebsten in Brüssel) gesucht.
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Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) sucht eine:n Junior Referent:in für Öffentlichkeitsarbeit (in Berlin). Erfahrungen und Spaß in der Kommunikation sollte man vor allem in Richtung sozialer Medien haben.
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Das war es für heute. Viele Grüße und bleibt gesund,
Markus Beckedahl
Ich freue mich immer über Feedback und gute Hinweise. Meine Mailadresse ist markus@netzpolitik.org. Ich bin zwar häufig von zu vielen eMails überfordert und bekomme nicht alle beantwortet. Aber ich lese alle Mails.
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