[bits] Alles am Internet ist super

Hallo,

vor zwei Wochen fand die re:publica im digitalen Exil statt. Mittlerweile sind die meisten Videos online, weitere folgen in den kommenden Tagen.

Die Autorin Kathrin Passig hat mit Leonhard Dobusch über „Alles am Internet ist super“ gesprochen. Das ist witzig, kurzweilig und beschreibt recht anschaulich, dass wir trotzallem glücklich sein können, dass wir heute diese Coronakrise haben. Vor zehn oder zwanzig Jahren wäre uns dabei sehr viel langweiliger gewesen.

Der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen ist bekannt für seine sehr einprägsamen und wortgewaltigen Vorträge. Zum Finale dieser besonderen re:publica hatte er über „Das Virus, der blaue Planet und das Netz“ gesprochen und dabei auch die Entwicklung des Netzes reflektiert.

Die EFF-Aktivistin Jillian York hat mit dem UN-Sonderbeauftragten für Meinungsfreiheit, David Kaye, über die Rolle und Verantwortung der großen Plattformen bei der Moderation von Inhalten gesprochen: „Content Moderation – Who decides what is true?“ Das ist sehr spannend, weil sowohl Jillian als auch David zu den profiliertesten Expert:innen auf diesem Themen-Feld gelten und wunderbar darüber reden und reflektieren können.

Neues auf netzpolitik:

Schon wieder Datenmissbrauch bei der Polizei: Gegen zwei Potsdamer Mitarbeiter wurden Disziplinarverfahren eingeleitet, weil sie unbefugt auf Informationen in behördlichen Datenbanken zugriffen. Beide waren Mitglied bei Uniter, dem Soldaten-Netzwerk mit engen Verbindungen zur rechtsextremen Prepper-Gruppe Nordkreuz. Ingo Dachwitz erklärt die Datenschutzperspektive: Uniter-Mitglieder schnüffelten in Polizeidatenbanken herum.

Der Entwickler Johannes Filter baut Open-Source-Software, um mit maschinellem Lernen den Bedeutungswandel von Worten zu ergründen. Sie soll die Grundlage für viele weitere Projekte bieten. Alexander Fanta beschreibt sein spannendes Sprachalgorithmen-Projekt: Die Diskursmaschine.

Wissenswertes zur Coronakrise

Die taz hat gestern einen lesenswerten Schwerpunkt zum Thema Corona-Demos, Verschwörungsmythen und Kritik veröffentlicht. Anlass dafür waren auch zahlreiche verärgerte Zuschriften, nicht nur von Leser:innen, sondern auch von Genoss:innen, also den Hochverbundenen der tageszeitung. Im Eröffnungsbeitrag dokumentiert die taz einige der Zuschriften. Das ist eine spannende Mischung aus fundierter Sachkritik, Menschen, die sich mehr Meinungspluralität wünschen und solchen, die der taz den Verlust ihrer „Unabhängigkeit“ vorwerfen, weil sie kritisch über die Verschwörungsmythen berichtet. Letzteres kennen wir aus Zuschriften an netzpolitik.org: Für einige Menschen sind Medien offenbar nur so lange unabhängig, wie sich ihre Inhalte mit der eigenen Meinung decken.

Seit Beginn der Corona-Pandemie stellen Verschwörungstheorien und deren Jünger neue Rekorde auf. So hat etwa das jüngst viral gegangene „Plandemic“-Verschwörungsvideo deutlich mehr Interaktionen auf Facebook erhalten als neue Videos von Popstars wie Taylor Swift, der TV-Serie „The Office“ und angebliche UFO-Aufnahmen des Pentagons – und zwar zusammengerechnet. Inzwischen gehen vor allem die großen Plattformen recht konsequent gegen solche Inhalte vor, von ihren Diensten – oder gar aus dem Internet – können sie diese jedoch nicht restlos entfernen: Misinformation about coronavirus finds new avenues on unexpected sites.

Im Tagesspiegel kommentiert Sebastian Leber das Verhalten zahlreicher Rap-Sternchen, die verantwortungslos Verschwörungsmythen ihren Fans kommunizieren: Warum der Deutschrap so verstrahlt ist. Das ist lesenswert, zu der Analyse von Leber gehört auch die These, dass Verschwörungsmythen ein ziemlich einfacher und billiger Job ist: „Wer sich mit angeblichen Weltverschwörern, mit übermächtigen Bösewichten anlegt, beweist heldenhaften Mut. Und das Beste: Vom Gegner ist nichts zu befürchten, weil er ja gar nicht existiert. Er kann einen nicht mal abmahnen.“

Fabrikarbeiter:innen in Großbritannien und Dockarbeiter:innen in Belgien müssen bei der Arbeit Überwachungsarmbänder tragen, damit sie nicht in Ansteckungsnähe zu ihren Mitarbeitenden kommen. Dabei handelt es sich nur um eine von zahlreichen Maßnahmen, mit denen Firmen ihre Angestellten in der Corona-Pandemie schützen wollen. Doch viele der Maßnahmen helfen nicht nur bei der Aufrechterhaltung des Betriebs, sondern könnten solche Überwachung normalisieren und vielleicht später zu regulären Formen der Arbeits- und Leistungskontrolle umgebaut werden, fürchten Datenschützer:innen.

In Südkorea öffnen Schulen wieder nach fünf Monaten Stillstand. Mit Hilfe von Wärmeinfrarotabtastern (Kein Scherz, das Wort gibt es wirklich) sollen die Schüler am Eingang auf mögliches Fieber getestet werden. Allerdings bringt das wiederum nur den Herstellern dieser Systeme etwas, denn diese Systeme gelten als nicht wirklich funkionstüchtig (für diesen Zweck): Thermal scanners are the latest technology being deployed to detect the coronavirus. But they don’t really work.

Was sonst noch so passierte

Rafael Laguna de la Vera ist früherer Open-Source-Unternehmer und jetzt Gründungsdirektor der Bundesagentur für Sprunginnovationen. Über deren Aufgaben und Ziele hat er mit dem Wissenschaftsjournalisten
Rafael Laguna de la Vera Jan-Martin Wiarda gesprochen: „Das ist richtig cool“.

Twitter hat eingesehen, bestimmte ironische Tweets und Accounts zu Unrecht gesperrt zu haben. Konkret geht es um den Fall des Grünen-Politikers Dietrich Herrmann. Dieser hatte vor der vergangenen EU-Wahl AfD-Wähler dazu aufgefordert, ihren Wahlzettel zu unterschreiben – was ihre Stimme ungültig gemacht hätte. Twitter sah dies als einen Verstoß gegen die unternehmenseigene „Richtlinie zur Integrität von Wahlen“ und sperrte Herrmanns Account. Es folgte ein Rechtsstreit durch mehrere Instanzen. Nun hat Twitter entschieden, nicht mehr weiter gegen Urteile vorzugehen, die Herrmann Recht gegeben hatten.

Zeit-Online portraitiert vier FDP-Politiker:innen aus der zweiten Reihe, die für eine andere FDP stehen, als sie von Christian Lindner vertreten wird. Und die es deshalb schwer haben, weil sie als „links“ gelten, weil sie z.B. Klimaschutz und Grundrechte gut finden. Verrückte Zeiten: Die Unerhörten.

Video des Tages: Infokrieger

Die ARD-Dokumentation „Rabiat: Infokrieger“ taucht in die Welten derneuen rechten Medienmacher ein. Zu dem Thema passt auch der Vortrag „Let’s play Infokrieg„, den Arne Vogelgesang vor einem halben Jahr auf dem 36. Chaos Communication Congress gehalten hat.

Viele Grüße und bleibt gesund,
Markus Beckedahl

Ich freue mich immer über Feedback und gute Hinweise. Meine Mailadresse ist markus@np. Ich bin zwar häufig von zu vielen eMails überfordert und bekomme nicht alle beantwortet. Aber ich lese alle Mails.

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