Hallo,
seit heute früh steht die „Corona-Warn-App“ im Google Play- und im Apple App-Store bereit. Zum Start musste man noch wissen, welche App man genau sucht. Denn nur „Corona“ oder verwandte Suchbegriffe ohne „Warn-App“ dabei zeigen ganz andere Apps an. Ich hab das jetzt über den Tag verteilt mehrfach gecheckt, ob Apple die Sichtbarkeit erhöht hat, aber da schläft man wohl noch. Dafür bekomme ich viele kostenlose Spiele mit In-App-Kauf-Funktionen empfohlen und wusste bis eben nicht, dass es auch Solitär fürs iPhone gibt. Man muss auch Prioritäten setzen.
Ich hab mir die App installiert, nachdem ich sie gefunden hatte und lass mich mal überraschen, ob sie denn auch so gut funktionieren wird, wie es erhofft wird. Punkte sammeln funktioniert (noch?) nicht und sonst sind die interaktiven Features auch noch nicht freigeschaltet. Die kommen, wenn ich sie länger laufen lasse und Personen begegne, die das auch machen und wo dann irgendwann eine Person positiv getestet wird. Dann wird es spannend: Zu gewinnen gibt es einen kostenlosen Corona-Test, wo das Testergebnis sogar schneller übermittelt werden soll, weil man nichts mehr per Fax oder Post verschicken muss. Zumindest wenn alle Labore in Deutschland an das System angeschlossen sind. Das dauert noch einige Wochen.
Ich hatte übrigens Glück, denn ich nutze den deutschen App-Store. ich kenne aber auch viele Menschen, die in Deutschland wohnen, aber aus diversen Gründen die App-Stores aus anderen Staaten nutzen, wo die App nicht zu finden ist. Gerade in Berlin ist die Zahl der „Expats“ nicht gerade klein, auf die das zutreffen könnte. Ich bin gespannt, ob es hier noch Verbesserungen geben wird.
Ausgeschlossen sind weiterhin die Personen, die ein Android-Smartphone ohne Google nutzen. Das ist zwar datenschutzfreundlich, aber es gibt noch keinen funktionierenden Weg, die Android-Bluetooth-Schnittstelle von Google mitzunutzen. Ich hoffe, dafür findet sich noch eine Lösung. Und dann soll es noch eine fünfstellige Zahl an verkauften Huawei-Smartphones in Deutschland geben, die aufgrund von Trumps China-Sanktionen keinen Google Play-Store nutzen dürfen. Ich kenne niemanden, der so was hat, aber auch hier soll Huawei an einer Lösung arbeiten. Bleiben noch alle Menschen, die kein geeignetes Smartphone haben.
Nicht traurig sein, auch wenn viele gerade darüber reden, man muss sie auch nicht nutzen. Ein gesamtgesellschaftlicher Effekt soll schon bei 15% Nutzung in der Bevölkerung auftreten, so die Prognosen von Forscher:innen der Uni Oxford. Das wären knapp 12 Millionen Nutzende. Am Nachmittag gab es wohl schon eine Million Downloads. Heute Abend nach den TV-Nachrichtensendungen werden wir sehen, wie hoch das Mobilisierungspotential am ersten Tag ist. Und dann ist weiterhin unklar, ob die theoretischen Erwägungen von Forscher:innen in der Realität überhaupt funktionieren. Wir werden es ausprobieren und zumindest den Prozess finde ich spannend.
Viele Kund:innen der Deutschen Telekom konnten heute früh die App gar nicht herunterladen, weil das Mobilfunk-Netz wegen einer 5G-Umstellung ausgefallen war.
Wer sich für die technischen Hintergründe der App-Entwicklung interessiert, wird im UKW-Podcast von Tim Pritlove fündig. In der aktuellen Ausgabe Folge 30 hat er mit zwei Entwicklern aus dem App-Team über Entstehung, Entwicklung und Funktionsweise der deutschen Lösung unterhalten. Das sind rund 2,5 Stunden langes Tech-Talk.
Neues bei netzpolitik.org:
Amnesty International findet „Große Missstände bei internationalen Corona-Tracing-Apps„, wie Markus Reuter zusammenfasst.
Amnesty International hat elf Corona-Apps untersucht. Die Anwendungen aus Bahrain, Kuwait und Norwegen könnten Menschenrechte verletzen. Die deutsche App ist vielversprechender.
Alexander Fanta hat sich angeschaut, „Wie die Corona-App Frankreich in Europa isoliert„.
Die Corona-App zur Kontaktverfolgung soll nicht nur in Deutschland funktionieren, sondern in ganz Europa. Ganz Europa? Nein, denn Frankreich bleibt beim europäischen Datenaustausch erstmal außen vor.
Hatespeech, Fake News, Skandalisierung und Verschwörungsmythen: Es gibt viele Symptome, die darauf hinweisen, dass es um den Zustand der digitalen Öffentlichkeit nicht allzu gut bestellt ist. Ein internationales Forscherteam hat am Montag im Fachmagazin Nature Human Behaviour Lösungsvorschläge vorgestellt, wie einige der Probleme geheilt und Soziale Medien als Diskursplattformen verbessert werden könnten. Ingo Dachwitz fasst die Vorschläge zusammen: Forscher wollen Soziale Medien reparieren
Wie können Diskurse in Sozialen Netzwerken besser werden? Indem die Plattformen aufhören, ihre Nutzer:innen zu bevormunden, empfehlen Forscher.
„Polizeibehörden in den USA können mit Gesichtserkennung Protestierende identifizieren„, so Markus Reuter.
Viele US-Städte setzen eine Überwachungstechnologie der Canon-Tochter BriefCam ein. Diese kann einzelne Personen anhand ihres Gesichtes erkennen und verfolgen – auch in der Masse einer Demonstrationen.
Was sonst noch passiert:
Der US-Fernsehmoderator Jon Stewart hat der New York Times ein lesenswertes Interview gegeben, in dem er auch die 24/7-Mentalität von Breaking-News-Fernsehsendern kritisiert: „Twenty-four-hour news networks are built for one thing, and that’s 9/11. There are very few events that would justify being covered 24 hours a day, seven days a week. So in the absence of urgency, they have to create it. You create urgency through conflict.“ Diese Entwicklung wird bei uns durch BildTV auch noch zunehmen, danke Axel-Springer-Verlag.
In den USA ist die Firma eBay mit kriminellen Cyberstalking-Methoden gegen kritische Blogger vorgegangen. Diese wurden von einem sechsköpfigen Team um den damaligen Leiter der Abteilung „Safety & Security“ mit unerwünschten Lieferungen wie einer blutigen Schweinemaske terrorisiert, sie wurden in sozialen Netzwerken beleidigt und ihnen wurde angedroht, private Daten zu veröffentlichen. Also das ganze strafbare Arsenal von böswilligen Trollen, hier nur als Firmen-Kommunikationsstrategie. Jetzt gibt es eine Anklage: eBay-Mitarbeiter schikanierten Ehepaar.
Einen schönen Kommentar zur Lobbying-Affäre von Phillip Amthor hat Stefan Kuzmany auf Spiegel.de geschrieben: Ganz alte Schule. „Im jungen Abgeordneten Philipp Amthor lebt eine längst verloren geglaubte Tradition der Union fort: die CDU als markiger Männerbund zum Zweck der Anhäufung von Kapital für die richtigen Leute.“ Eine Verteidigungslinie innerhalb der CDU ist gerade, dass er doch noch mit seinen 27 Jahren jung und unerfahren sei. Das ist eine interessante Argumentation von einer Partei, die in anderen Situationen gerne das Jugendstrafrecht verschärfen würde.
Bei unseren österreichischen Nachbarn liegt eine Beschwerde gegen die Fluggastdatenspeicherung erstmal auf Eis. Das dortige Bundesverwaltungsgericht will abwarten, wie der Europäische Gerichtshof zu Verfahren aus Deutschland und Belgien entscheidet. Hierzulande hat die Gesellschaft für Freiheitsrechte eine Klage organisiert. Ganz glücklich scheinen die Aktivist:innen von epicenter.works nicht: „Natürlich werden wir nun alle möglichen Optionen erörtern, die dazu führen könnten, dass wir uns trotzdem noch am EuGH-Verfahren beteiligen“, schreiben sie in ihrem Blogeintrag.
Heute beginnt der Prozess gegen den mutmaßlichen Mörder des CDU-Politikers Walter Lübcke. Da nur 19 Journalist:innen wegen Corona im Saal zugelassen wurden, gab es heute Morgen zahlrieche Bilder von campenden Journalist:innen vor dem Gerichtsgebäude. In der Verhandlung selbst sind digitale Geräte nicht erlaubt. Das ist absurd, aber leider immer noch die Regel in vielen Gerichten. Über Verbindungen zum NSU wird es hoffentlich auch in diesem Verfahren gehen. Die Rechercheplattform EXIF hat im März eine lange Analyse dazu veröffentlicht.
Video des Tages: Turnschuhe
Früher, also vor Corona, mussten wir uns ab und an den Weg ins Büro durch eine längere Menschenkette bahnen. Denn im Erdgeschoss des Vorderhauses befindet sich ein Turnschuh-Laden, der ab und an exklusive Turnschuhe verkauft. Und wo dann auch Menschen vor campen oder sich einfach nur einreihen, um einen seltenen Turnschuh zu bekommen. Die kann man anschließend teuer weiterverkaufen oder sich ins Regal stellen. ich hab das lange nicht verstanden, fand es aber immer faszinierend. Eine Dokumentation in der ARD-Mediathek beschreibt das Geschäftsmodell dahinter: Sneaker – Der große Deal mit Turnschuhen.
Viele Grüße und bleibt gesund,
Markus Beckedahl
Ich freue mich immer über Feedback und gute Hinweise. Meine Mailadresse ist markus@np. Ich bin zwar häufig von zu vielen eMails überfordert und bekomme nicht alle beantwortet. Aber ich lese alle Mails.
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