[bits] Augen auf bei der Hashtag-Wahl

Hallo,

wie landet man eigentlich im Verfassungsschutzbericht? Das fragen sich sicher viele Nazis, die dort nicht auftauchen. Und dann wiederum die, die irritiert ihren Namen dort lesen. Den Aktivist:innen von Ende Gelände ist das jetzt passiert, sie sind zum ersten Mal im Kapitel „Linksextremismus“ dabei. Nun muss man vielleicht erklären, wer Ende Gelände ist, um zu verstehen, dass das nichts sein sollte, womit sich in heutigen Zeiten der Verfassungsschutz beschäftigen sollte. Da bieten sich viele Nazis mehr an.

Ende Gelände sind Umweltaktivist:innen, die sich zum Ziel gesetzt haben, durch Aktionen des zivilen Ungehorsams symbolisch Umweltzerstörern Steine, bzw. ihre eigenen Körper in den Weg zu legen. Und damit gesellschaftliche Aufmerksamkeit auf das Thema zu lenken. Ende Gelände ruft zu Aktionstagen auf, um symbolträchtig zum Beispiel in Braunkohleabbaugebieten die Arbeit von Baggern zu stören und etwas Sand ins Getriebe der Umweltzerstörung zu packen.

Das kann man für radikal halten, das kann man auch gerne kritisieren. Den Aktivist:innen ist auch bewusst, dass sie zivilen Ungehorsam betreiben und für ihre Aktionen zur rechtlichen Verantwortung gezogen werden können. Aber warum ist das „linksextremistisch“ und wie landet man damit im Berliner Verfassungsschutzbericht, wo viele, die da besser reinpassen, nicht drin landen?

Heute ab es dazu Erklärungen im Berliner Abgeordnetenhaus. Wie die grüne Abgeordnete June Tomiak aus der Sitzung des Ausschuss für Verfassungsschutz twitterte, war der Grund ein Hashtag. Die Berliner Gruppe von Ende Gelände hatte in einem Tweet auf Twitter den Hashtag #SystemChangeNotClimateChange verwendet. Und das war sehr verdächtig, denn damit zeigte man, so die Erklärung des Verfassungsschutzes, dass ein Systemsturz das eigentliche Ziel sei.

Puh, da weiß man gar nicht, wo man anfangen soll. Vielleicht damit, dass selbst in unserer Bundesregierung Minister:innen bis hinein ins konservative Lager dafür plädieren, dass wir zur Vermeidung der Klimakatastrophe einen Systemwechsel hin zu regenerativen Energien bräuchten?

Auf jeden Fall zeigt das Beispiel: Augen auf bei der Hashtag-Wahl!

Apropos Umweltbewegung. In NRW kam jetzt durch eine Informationsfreiheitsgesetzanfrage heraus, dass das Polizeipräsidium Aachen während der Proteste im Hambacher Forst Bildaufnahmen von Baumhäusern mit GPS-Daten an das Unternehmen RWE weitergegeben hatte, die ein Interesse daran hatten, dass die Protestierenden verschwinden und sie weiter den alten Wald abholzen konnten. Letzteres wurde durch die Proteste verhindert und durch die IFG-Anfrage kam jetzt heraus, dass die Polizei dafür keine Rechtsgrundlage hatte und möglicherweise illegal agierte.

Neues bei netzpolitik.org:

Mein Kollege Markus Reuter ist gerade in Argentinien und verzweifelt an den dortigen Telekommunikationstarifen: Leidensbericht aus der Paket-Hölle.

Wer einmal versucht hat, in Argentinien mobil im Internet unterwegs zu sein, wird für immer von Netzneutralität, Verbraucherschutz und strenger Regulierung von Mobilfunkprovidern schwärmen. Diese sonst als sperrig wahrgenommen Themen sind auf hässliche Weise erlebbar, wenn es einen Mangel an ihnen gibt.

Matthias Monroy hat sich angeschaut, dass britische Mängel im Schengener Informationssystem weiterhin bestehen bleiben:

Die britische Regierung muss eine lange Mängelliste zur Beteiligung an Europas größter Fahndungsdatenbank abarbeiten. Die meisten Versäumnisse sind als schwerwiegend eingestuft und sollen „unverzüglich“ behoben werden, aber das britische Innenministerium bleibt stur. Eigentlich droht jetzt das Abkoppeln.

In einem Gastbeitrag beschreibt der Medienaktivist Luc Schmidt, wie in Frankreich durch die Coronakrise die Überwachung massiv ausgebaut wird: Von Krieg und Schutzengeln.

In der Corona-Krise baut Frankreich Überwachungsmaßnahmen aus. Es wird mit Gesichtsmaskenerkennung und Drohneneinsätzen experimentiert. Der Gesundheitsnotstand öffnet die Türen für technologische Maßnahmen.

Wissenswertes zur Coronakrise:

Wie geht es eigentlich Hausbewohner:innen, die auf einmal raus finden, dass in ihrem Haus Impfgegener eingezogen sind, die dort mitten während der Ausgangsbeschränkungen die Zentrale für die Verbreitung ihrer Verschwörungsmythen aufgebaut haben? Die Taz hat mit den Bewohner:innen eines Hauses im Wedding über ihre Erlebnisse und Sorgen gesprochen, bei denen der sogenannte „Demokratische Widerstand“ eingezogen ist: Corona-Streit im Treppenhaus.

Was sonst noch passierte:

Donald Trump nutzt seit Jahren Twitter als Propagandakanal und durch den Resonanzboden und vor allem durch seine Stellung als Präsident hat das immer gut (für ihn) geklappt. Seit Jahren gibt es Debatten darüber, ob und wie Twitter ihn eigentlich wegen Verletzung der Twitter-Regeln sperren müsste, wie es das Unternehmen mit vielen anderen unbekannteren Accounts häufig und häufig falsch macht. Aber Donald Trump ist nun mal US-Präsident und da gibt es andere Kriterien, was er zeithistorisch von sich gibt, als bei unbekannten Twitternutzer:innen, wo das für alle egaler ist.

Ich kann mir vorstellen, dass viele kluge Menschen bei Twitter seit Jahren daran verzweifeln, eine richtige Policy zu finden, um mit dem Problem zugehen. Vielleicht sind sie jetzt einen Schritt weiter: Zum ersten Mal hat Twitter einen Tweet von Donald Trump mit einem Warnhinweis versehen. Der Tweet enthalte „potenziell irreführende Informationen über Wahlprozesse“.

Mit anderen Worten: Trump lügt bzw. dehnt die Wahrheit. Der findet das natürlich nicht toll, dass er direkten Widerspruch auf der PLattform bekommt, die seinen Follower verunsichern könnten. Und wütet jetzt gegen Twitter. Ich bin gespannt, ob es die Plattform durchhält und weiter das Feature nutzt, Trump bei seinen Lügen zu markieren. Das wirft natürlich wieder viele neue Fragestellungen auf. Aber ich finde das im Moment recht gut gelöst.

Es war eine schöne Geschichte: Der Verfassungsschutz entlarvt die Spionageaktivitäten eines ehemaligen EU-Botschafter in Südkoreas und späteren Lobbyisten für die chinesischen Geheimdienste. Jetzt muss sich der Verfassungsschutz aber das manipulieren von Beweismitteln vorwerfen lassen. Hans-Martin Tillack berichtet darüber bei Stern.de: Chinesischer Spion enttarnt? Zweifel an Beweisen des Verfassungsschutzes.

Vor kurzem hat der Generalbundesanwalt Haftbefehl gegen einen mutmaßlich russischen Geheimdiensthacker erlassen, der beim Bundestagshack eine bedeutende Rolle gespielt haben soll. Die russische Botschaft dementiert nun die Vorwürfe, an dem Angriff beteiligt gewesen zu sein und nennt das eine „abgedroschene Geschichte“, berichtet dpa.

1408 Einträge enthält eine Lagebericht der niedersächsischen Polizei zur sogenannten arabischen Clan-Kriminalität im Jahr 2017. Zeit Online hat sich die als Verschlusssache eingestuften Daten genauer angeschaut und festgestellt: Die Zahlen sind offenbar künstlich aufgeblasen. Denn in der Datenbank werden neben Morden und Schießereien nicht nur Bagatelldelikte wie Ladendiebstähle und Geschwindigkeitsüberschreitungen gesammelt, sondern auch Vorfälle, bei denen sich überhaupt kein Zusammenhang mit Clan-Strukturen herstellen lässt.

Wichtigster Indikator für die Listung als Clan-Kriminalität ist nämlich der Nachname der Täter:innen. Das LKA führt zu diesem Zweck zwei Listen mit 110 zum Teil ähnlich buchstabierten Nachnamen, auf die alle Beamten zugreifen können. Ein niedersächsischer Polizist vermutet, die Zahlen zu diesem politisch opportunen Thema würden von der Polizei absichtlich in die Höhe geschraubt, um mehr Mittel zu erhalten. Die Folge für Betroffene ist Stigmatisierung, berichtet ein Anwalt: Junge Straftäter:innen müssten fürchten, nicht mehr vom Jugendstrafrecht priveligiert zu werden, wenn sie den falschen Nachnamen tragen.

„Data Detox x Youth“ von Tactical Tech ist ein Arbeitsbuch für junge Menschen, das ihnen dabei hilft, Kontrolle über ihre Technik zu erlangen. Mit einfachen Aufgaben zum Nachdenken und Spielen unterstützt dieses interaktive Handbuch Jugendliche dabei, sich Gedanken über verschiedene Aspekte ihres digitalen Lebens zu machen – von ihren Social-Media-Profilen bis hin zu sicheren Passwörtern.

Der ehemalige Journalist und heutige Berater Thomas Knüwer hat sich angeschaut, wie der Publizist Gabor Steingart jeden Morgen in seinem viel gelesenen „Morning Briefing“-Newsletter die Wahrheit so weit dehnt, bis sie in seine wortgewaltigen Ausführungen passen. Dazu passt auch der Slogan seines Unternehmens Media Pioneer: „100% Journalismus. Keine Märchen“.

Video des Tages: Freddie Mercury

Eine der ersten Musik-Kassetten, die ich von meinen älteren Nachbarn kopiert bekam, war die Greatest Hits von Queen. Ich mag immer noch die Musik und kann die meisten Hits wahrscheinlich immer noch mitsingen, auch wenn ich sie kaum noch höre. Einmal im Jahr gibt es dann zum Abschluss der re:publica Bohemian Rhapsody zum gemeinsamen Mitsingen und dann schlepp ich wieder einige Tage den Song als Ohrwurm mit mir herum.

Vor allem lebte Queen durch die grandiose Bühnen-Performance von Freddie Mercury, der zu früh an Aids verstarb. Die Dokumentation „The great pretender“ in der ARD-Mediathek dokumentiert sein Leben und seine Versuche, auch als Solo-Sänger Musik zu machen. Und jetzt versuche ich mal, „Barcelona“ wieder aus dem Ohr zu bekommen.

Viele Grüße und bleibt gesund,
Markus Beckedahl

Ich freue mich immer über Feedback und gute Hinweise. Meine Mailadresse ist markus@np. Ich bin zwar häufig von zu vielen eMails überfordert und bekomme nicht alle beantwortet. Aber ich lese alle Mails.

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