[bits] Brennende Prioritäten

Hallo,

das griechische Flüchtlingscamp in Moria liegt nach einem Brand in Trümmern. Bis zu 13.000 Menschen sollen von dem Feuer betroffen und jetzt größtenteils obdachlos sein. Das Lager war nur für knapp 3.000 Menschen ausgelegt und steht wegen menschenunwürdiger Zustände seit Monaten, wenn nicht Jahren in der Kritik.

Das ist eine humanitäre Katastrophe, bei der auch Deutschland, die Bundesregierung und vor allem auch der Bundesinnenminister eine Verantwortung trägt. Obwohl viele Kommunen und Bundesländer angekündigt haben, Kontingente aus den griechischen Flüchtlingslagern aufzunehmen, wurden diese Initiativen vom Bundesinnenministerium allesamt blockiert. Und im Verkehrsministerium werden Pläne geschmiedet, die Seenotrettung zu erschweren.

Das ist zwar kein netzpolitisches Thema, aber wenn es um Menschenrechte und die Menschenwürde geht, können wir nicht nur durch die netzpolitische und digitale Brille schauen.

Der Bundesinnenminister hatte heute viel zu sagen: In einer Pressemitteilung nahm er zu den Bränden in Moria Stellung kritisierte er den Presserat für die gestern verkündete Entscheidung, dass die taz-Kolumne „all cops are berufsunfähig“ keinen Verstoß gegen den Pressekodex darstellt. Seehofer argumentiert da mit der Menschenwürde von Polizisten.

Alleine die Kommentierung einer Entscheidung des Presserates durch einen Bundesminister ist seines Amtes eigentlich unwürdig. Die Pressemitteilung zitiert ihn mit den Worten: „Als Bundesinnenminister, als Mensch und als Christ werde ich eine solche Sprache niemals akzeptieren, sondern immer meine Stimme dagegen erheben.“

Unklar ist, warum die Prioritätensetzung im Bundesinnenministerium dazu führte, dass er als „Christ und Mensch“ zu einer alten Kolumne Stellung nahm, aber die Menschenwürde der jetzt obdachlosen Geflüchteten in Moria nicht weiter beachtenswert findet.

Neues auf netzpolitik.org:

TikTok zensiert und versteckt Hashtags zu LGBTQ-Themen in mindestens acht Sprachen. Das entdeckte ein Forscherteam des Australian Strategic Policy Institute (ASPI) bei Recherchen rund um die App. Diese Methode des „Shadowbanning“ bestätigt unsere Recherchen aus dem vergangenen Winter, wo wir TikTok die Diskriminierung von Menschen mit Behinderung nachweisen konnten. Im aktuellen Fall sieht es danach aus, dass TikTok bei LGBTQ-Themen dieselben Zensurmechnismen wie bei terroristischen Inhalten anwendet.

Sind LGBTQ-Themen in bestimmten Sprachen für TikTok also Terrorpropaganda? Chris Köver hat die Details: TikTok zensiert LGBTQ-Themen und politische Hashtags.

TikTok zensiert weltweit Hashtags zu LGBTQ-Themen auf russisch und arabisch. Das entdeckte das Australian Strategic Policy Institute nach monatelangen Recherchen rund um die App. Die Zensur betrifft nicht nur Videos in Russland oder arabischsprachigen Länder, sondern weltweit alle Nutzer:innen der App.

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Tomas Rudl berichtet über eine neue Datenschutz-Studie: Privatsphäre und Wettbewerb zusammendenken.

Bei Firmenübernahmen berücksichtigen Kartellbehörden das Datenschutzniveau nicht ausreichend, mahnt eine Studie der Stiftung Neue Verantwortung. Das sollte sich ändern, bevor neue Gesetze erlassen werden, fordert die Forscherin Aline Blankertz.

Kurze Pausenmusik:

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Was sonst noch passierte:

Kurze Warnung an Spätaufsteher:innen: Morgen um 11 Uhr wird es laut: Im Rahmen des #Warntag2020 werden Sirenen und sonstige Alarmsysteme im Bundesgebiet angeschaltet und durchgetestet. Hoffentlich schalten sie nicht auch noch das Internet zum Test ab.

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Ein internes Papier der EU-Kommission ist an die Öffentlichkeit gelangt. In dem Papier werden verschiedene Szenarien durchdiskutiert, wie man im Kampf gegen Kindesmisshandlungen auch verschlüsselte Kanäle durchleuchten könnte. Solche namenlosen Diskussionspapiere gibt es immer wieder. Häufig werden damit auch Themen in der Öffentlichkeit getestet. An den Reaktionen kann man dann mögliche strategische Optionen bewerten. Patrick Beuth hat sich das Papier für Spiegel.de angeschaut: Verschlüsselung bitte nur für gute Menschen.

Solange es Systeme der anlasslosen Massenüberwachung samt geheimdienstlichen Hacker-Armeen in vielen Staaten gibt, liegt der einzige Weg zur Durchsetzung der eigenen Grundrechte wie dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung in gut funktionierenden Verschlüsselungssystemen. Klar gibt es hier einen Zielkonflikt. Aber wenn die Regierungen diesen auflösen wollen, dann müssen sie eben zuerst bei der anlasslosen Massenüberwachung ansetzen.

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Wenn eine enge Familienangehörige stirbt, haben die Erben Anrecht auf den digitalen Nachlass. Das hat der Bundesgerichtshof 2018 entschieden. Facebook hatte daraufhin einer klagenden Familie einen USB-Stick mit den unstrukturierten Nutzerdaten ihrer verstorbenen Tochter zugeschickt. Die wollten das nicht akzeptieren und die Zugangsdaten zum Profil haben. Jetzt haben Sie Recht bekommen und Facebook muss ihnen Zugang gewähren: Facebook muss Konto von verstorbener Tochter für Eltern öffnen.

Das ist letztendlich keine einfache Debatte. Auf der einen Seite hat man die Erben, die vor allem bei Selbstmordfällen häufig viele ungeklärte Fragen haben. Andererseits gibt es auch die Privatsphäre derjenigen, mit denen Verstorbene kommuniziert haben. Und auch Verstorbene haben noch Rechte für ihren Nachlass. Aber gut, dass das Thema mal durchgeklagt wurde und wir jetzt eine Entscheidung haben, auf die man aufbauen kann.

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Das Bundeskabinett hat heute eine veränderte Version des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) beschlossen. Damit soll das Kartellamt mehr Hebel bekommen, um gegen marktbeherrschende (Digital-)Unternehmen vorgehen zu können. Ob das auch klappt, wird die Realität entscheiden. Versuche das hinzubekommen, gab es von dieser Bundesregierung schon einige: Kartellamt soll Digitalkonzerne schärfer kontrollieren.

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Die „Grauen Wölfe“ werden immer stärker, warnt Report Mainz: „Graue Wölfe“ unterwandern Politik. Mittlerweile schaffen es die türkisch-stämmigen Rechtsextremisten auch, in die deutsche Politik vorzustoßen – und das nicht nur mit einer türkischen Nationalfahne beim Foto-Shooting der Rechtsextremen auf der Bundestagstreppe vor zwei Wochen.

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Im Guardian gibt es einen Long-Read zu der Frage, warum es immer mehr Philanthropen gibt, aber gleichzeitig die Ungleichheit wächst: How philanthropy benefits the super-rich.

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Die frühere CIA-Analystin und Sicherheitsberaterin im Weißen Haus, Yaël Eisenstat, kommentiert in einem TED-Talk, wie Facebook und Co von einer zunehmenden Polraisierung von Gesellschaften finanziell profitieren.

Netzpolitik-Jobs

Ich bekomme regelmäßig Job-Angebote im netzpolitischen Bereich zugeschickt und dachte mir, dass eine zusätzliche Rubrik ein guter Service sein könnte. Zweimal die Woche werde ich zukünftig auf aktuelle Job-Angebote hinweisen.

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Die Free Software Foundation Europe setzt sich für die Förderung von Freier Software (im Volksmund auch Open-Source genannt) ein. Für ihr Team in Berlin, das drei Türen weiter neben unserem Büro auf derselben Etage sitzt, sucht die FSFE jetzt eine Büroassistenz.

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Wer sich für Netzpolitik in Österreich interessiert, kommt an epicenter.works nicht vorbei. Die kleine NGO sucht jetzt eine/n Communications- und Campaigner:in mit Arbeitssitz in Wien.

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Der European Artificial Intelligence Fund ist ein Zusammenschluss verschiedener Stiftungen, die eine gemeinwohlorientierte Debatte um „Künstliche Intelligenz“ und algorithmische Entscheidungssysteme fördern wollen. Für die Verteilung von derzeit zwei Millionen Dollar im Jahr wird ein:e Programm-Manager:in (am liebsten in Brüssel) gesucht.

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Der Digital Freedom Fund ist ein weiterer Zusammenschluss verschiedener Stiftungen, die zivilgesellschaftliche Organisationen bei strategischen Prozessführungen finanziell unterstützt und vernetzt. Dafür wird ein Operations Officer für das Büro in Berlin gesucht. Das ist weitgehend Reise- und Eventmanagement.

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Das war es für heute. Viele Grüße und bleibt gesund,
Markus Beckedahl

Ich freue mich immer über Feedback und gute Hinweise. Meine Mailadresse ist markus@netzpolitik.org. Ich bin zwar häufig von zu vielen eMails überfordert und bekomme nicht alle beantwortet. Aber ich lese alle Mails.

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