[bits] Corona-Warn-App soll besser werden

Hallo,

die Bundesregierung sieht die App als Erfolg, das wurde in der Bundespressekonferenz heute ganz deutlich. Mit 18 Millionen Downloads sei sie erfolgreicher als alle anderen staatlichen App-Versuche in der Europäischen Union zusammengerechnet, rechnete Gesundheitsminister Jens Spahn vor.

Aber hier zeigt sich schon ein erstes Problem: 18 Millionen Downloads sind nicht 18 Millionen Nutzer:innen. Das weiß Jens Spahn und das weiß auch Telekom-Chef Timotheus Höttges, der später trotzdem von 18 Millionen Nutzer:innen spricht. Einige werden die App heruntergeladen haben ohne sie je zu verwenden, andere deinstallieren sie wieder. Ich selbst habe die App bereits mehrfach heruntergeladen, weil es anfangs technische Probleme gab.

Das Robert-Koch-Institut als offizieller Herausgeber der App kennt die genauen Zahlen, gibt sie aber nicht heraus. Aus dem Maschinenraum der App wissen wir jedoch, dass es rund 14 Millionen Kontaktversuche mit den Servern geben soll. Das ist eine realistischere Größenordnung.

Nur die Hälfte aller positiv getesteten warnt Kontakte via App

5032 Personen haben bislang ein positives Testergebnis über die Corona-Warn-App geteilt, sagte Spahn. Die Macher:innen rätseln noch, warum das nur die Hälfte aller Personen ist, die via App über ein positives Testergebnis benachrichtigt wurden. Schließlich hätten sie nur noch auf einen Knopf drücken müssen, um ihre Kontakte zu warnen.

Der SPD-Netzpolitiker Jens Zimmermann erklärte diese Personen in einer Pressemitteilung zu „digitalen Maskenverweigerern“: „Trittbrettfahrer, die von der Vernunft ihrer Mitmenschen einseitig profitieren“. Das dürfte nicht zielführend sein. Realistischer ist, dass offensichtlich die Nutzer:innenführung der App noch ausbaufähig ist. Selbst ich fand die Einschätzung unterschiedlicher Fehlermeldungen und Risikoeinschätzungen etwas kompliziert – und ich habe mich umfassend damit beschäftigt.

In diesem Punkt haben die Verantwortlichen Besserung versprochen. Zusammen mit Expert:innen für Benutzerführung und Psycholog:innen werde man die App sprachlich und vom Design optimieren. Die Änderungen sollen in einem der kommenden Updates folgen.

Einige Labore nach wie vor ohne Anschluss

Ein weiteres Problem: Erst 81 Prozent der Labore sind an das System angeschlossen, immerhin bilden sie 90 Prozent der Testkapazitäten ab. Mit der Anbindung der Labore soll die Übermittlung der Testergebnisse beschleunigt werden. Vielen Patient:innen sei auch noch nicht bewusst, dass man auf einem Formular ein Häckchen setzen müsste, um an diesem Prozess teilzunehmen. Was mit den verbleibenden Laboren passiert, die sich momentan noch weigern, an der Digitalisierung der Prozesse teilzunehmen, blieb unklar. Hier schob Höttges die Verantwortung an die Bundesregierung, die mehr Druck machen solle.

Auch die Rufe nach mehr Transparenz scheinen angekommen zu sein: Demnächst sollen mehr Daten und Zahlen zur Nutzung auf der Webseite coronawarn.app veröffentlicht werden, sofern dies aufgrund der hohen Datenschutzeinstellungen möglich sei. Auch das wäre ein Fortschritt.

Die Telekom-Hotlines haben bisher 1000 Anrufe erhalten, so Höttges zur Bilanz. Sie dauerten im Durchschnitt 20 Minuten, weil man hier auch „Seelsorge“ betreiben würde.

Apple-Nutzer:innen würden die App häufiger installieren als Android-Nutzer:innen. Hier gibt es die Vermutung, dass Apple-Produkte alleine schon wegen des Preises eher von Menschen mit höherer Bildung gekauft werden. Die Nutzung und Akzeptanz der App ist somit wahrscheinlich auch eine soziale Bildungsfrage.

Wer WhatsApp nutzt, sollte die Corona-Warn-App nicht fürchten

Für die Zukunft haben die Verantwortlichen neben der besseren Verständlichkeit weitere Features versprochen. Eine freiwillige Symptomabfrage soll dabei helfen, das eigene Infektionsrisiko besser bewerten zu können. Für den Herbst soll die App an das europäische System angeschlossen werden, das ebenfalls von SAP und Deutsche Telekom gebaut wird und über das Corona-Warn-Apps der EU-Länder miteinander kommunizieren werden.

Immer noch gäbe es viele Datenschutzbedenken gegen die Nutzung der App. In diesem Fall sehe ich die persönlich nicht. Wenn man bereits ein Smartphone hat, sammeln Google und Apple viel mehr Daten als es die Corona-Warn-App nach aktuellem Stand könnte. Wenn nur ein Teil der vielen Millionen Nutzer:innen des Datenschutz-Desasters Whatsapp parallel die Corona-Warn-App installieren würden, hätten wir die Pandemie möglicherweise besser unter Kontrolle.

Aber auch hier trifft die Bundesregierung eine Teilschuld: Zu lange wurde über falsche Wege zur App diskutiert, die viel mehr Überwachungsmöglichkeiten gebracht hätten. Und auf ein Begleitgesetz, das den Zugriff auf die kaum anfallenden Daten noch weiter beschränken würde, möchte die Große Koalition verzichten. Hier ist eine Chance vertan, weitere Bedenken abzubauen und das Vertrauen in die App und ihre Infrastruktur zu steigern.

Neues auf netzpolitik.org:

Wir fragen uns immer noch, was die Ankündigung der Digitalisierungsbeauftragten der Bundesregierung, Dorothee Bär, bedeuten soll, die eine Bundeszentrale für digitale Aufklärung versprochen hat. Die Bundesregierung weiß auch nicht viel, wie die Antworten auf eine kleine Anfrage der Linksfraktion zeigen, die Jana Ballweber gelesen hat: Weiterhin nichts Konkretes zur Bundeszentrale für digitale Aufklärung.

Vor eineinhalb Monaten soll die „Bundeszentrale für digitale Aufklärung“ an den Start gegangen sein. Eine Kleine Anfrage zeigt: Selbst der Bundesregierung ist nicht klar, was das eigentlich heißt.

Besonders putzig fand ich, dass in der Antwort konsequent von „Bundeszentrale für Digitale Aufklärung – eine Initiative der Staatsministerin für Digitalisierung“ geschrieben wird. Da fehlt nur noch das Trademark-Zeichen am Ende. Und deutlicher kann man nicht machen, dass hier die Unterstützung der Bundesregierung fehlt.

===

Über einen neuen Vorstoß gegen Verschlüsselung berichtet Matthias Monroy: Bundesinnenministerium plant EU-Erklärung gegen Verschlüsselung.

Seit 2016 arbeitet die EU an Möglichkeiten, um digitale Nachrichten zu entschlüsseln. Nach der Einrichtung einer Abteilung bei Europol werden jetzt die Internetfirmen zu mehr Zusammenarbeit gedrängt. Sie sollen Polizeien und Geheimdiensten entschlüsselte Daten aushändigen.

===

Constanze Kurz hat sich eine neue EU-weite Kampagne gegen automatisierte Videoüberwachung mit Gesichtserkennung angeschaut: Kampagne für ein dauerhaftes europaweites Verbot.

Automatisierte Gesichtserkennung in öffentlichen Räumen, in Schulen oder auf Flughäfen gehört verboten: Das ist die Forderung einer heute europaweit gestarteten Kampagne mitsamt einer Petition. Bei den biometrischen Erkennungsverfahren sei heute noch nicht abzusehen, welche gesellschaftlichen Langzeitfolgen sie haben werden.

===

Jana Ballweber fasst die gestrige Pressekonferenz des Ethikrates zu Maßnahmen der Pandemie-Bekämpfung zusammen: Ethikrat rät derzeit von Immunitätsausweisen ab.

Der Deutsche Ethikrat rät in seiner aktuellen Stellungnahme von der Einführung von Immunitätsausweisen ab. Noch wisse man zu wenig über die Immunität nach einer überstandenen Infektion mit dem Corona-Virus. Doch darüber, was passieren soll, wenn dieses Wissen da ist, herrscht keine Einigkeit.

Kurze Pausenmusik:

Dieser Newsletter wird, neben viel Herzblut, durch Spenden unserer Leser:innen ermöglicht. Hier kann man uns mit einem Dauerauftrag oder Spende unterstützen.

Wir freuen uns auch über etwas Werbung für den bits-Newsletter, um mehr Mitlesende zu bekommen. Hier geht es zur Anmeldung.

Feedback und sachdienliche Hinweise bitte an markus@netzpolitik.org schicken.

Was sonst noch passierte:

Die Leopoldina hat in ihrer sechsten Ad-hoc-Stellungnahme zur Coronavirus-Pandemie Empfehlungen für den Herbst und Winter vorgelegt. Dazu gehört die konsequente Einhaltung der Schutzmaßnahmen (Abstandhalten, Lüften und Maskentragen), Schneller und gezielter testen und gleichzeitig die Quarantäne-Zeit von 14 auf zehn Tage senken, bessere Wissensvermittlung und eine transparente Kommunikation, um verantwortungsvolles Verhalten zu erleichtern, sowie die Abmilderung von sozialen und psychischen Folgen durch „ein deutlich vergrößertes psychotherapeutisches und psychiatrisches Angebot sowie Beratungsangebote hinsichtlich Prävention und Therapie“.

===

Der Tagesspiegel hat Christian Drosten ausführlich interviewt und er gibt Einblicke in die Entwicklung von schnelleren und zuverlässigeren Tests: „Wir alle sind die Welle“.

===

Max Schrems kommentiert im Interview mit der NZZ das Verhalten von Facebook in Folge des Privacy-Shield-Urteils des Europäischen Gerichtshofes: «Facebook scheisst auf das Recht» – dies zu ändern, ist die Mission von Datenschützer Max Schrems. Diese Analogie gefällt mir sehr: „Wenn im Supermarkt die Hälfte der Produkte ranzig ist, ist die Lösung ja auch nicht, dass ich nicht mehr esse, sondern dass die ihre Kühlkette in Ordnung bringen.“

===

Der ehemalige Ex-Geheimdienstkoordinator des Kanzleramts und Ex-Wirecard-Lobbyist Klaus-Dieter Fritsche soll wieder für das österreichische Innenministerium als Consultant arbeiten. Aber hier gibt es einige Unstimmigkeiten, wie das ZDF berichtet: Das Rätsel um Klaus-Dieter Fritsche.

===

Die USA möchten rund fünf Millionen Dollar von Edward Snowden haben: Edward Snowden agrees to give up more than $5 million from book and speeches. Die Summe setzt sich aus vier Millionen aus seinen Bucherlösen für „Permanent records“ und einer weiteren Million von Auftragshonoraren zusammen. Edward Snowden hat sich wohl unter Vorbehalt damit arrangiert, dagegen klagen kann er wohl erst, wenn er wieder in den USA ist. Aber das würde dann kompliziert, weil er das aus dem Gefängnis machen müsste.

===

Margarete Stokowski thematisiert in ihrer Spiegel-Kolumne einige aktuelle Fälle von diskriminierenden Altmänner-Witzen durch Christian Lindner, Friedrich Merz und Serdar Somuncu und gibt Hilfestellungen, wie man besser darauf reagieren könnte, wenn man von einem Mann diese zu hören bekommt. Hier könnte man sich an der Erziehung von Hunden orientieren: Sie merken es einfach nicht.

===

Die etwas unsägliche Debatte um eine mögliche „Cancel-Culture“ hatte ihren Höhepunkt an der Ausladung der Kabarettistin Lisa Eckhart von einem Literaturfestival in Hamburg. Für den Spiegel hat Sebastian Hammelehle mit den beiden Schriftstellern gesprochen, die ursprünglich eine Teilnahme an einer Lesung und Diskussion mit Eckhart mit Bezug auf ihre früheren Aussagen abgesagt hatten: Das sind die beiden Autoren, die nicht mit Lisa Eckhart auftreten wollten.

===

Der Science-Fiction-Autor und Blogger Cory Doctorow wollte sein kommendes Buch „Attack Surface“ ohne Kopierschutz und digitale Restriktionen als Hörbuch anbieten. Aber die Audiobook-Plattform und Amazon-Tochter Audible wollte das nicht akzeptieren. Und jetzt hat Cory Doctorow bereits 224.000 Dollar über Kickstarter gesammelt, um das Hörbuch ohne Kopierschutz veröffentlichen zu können und ein Zeichen zu setzen. Im Techdirt-Podcast erzählt er über seine Beweggründe: Little Brother vs. Big Audiobook.

Video des Tages: Wasserknappheit im Datenkapitalismus

Dass Wasser dank Klimakrise auch in Berlin und Brandenburg knapp werden kann, haben viele spätestens in diesem Sommer verstanden. Die RBB-Dokumentation „Der neue Kampf ums Wasser – Auf dem Trockenen“ thematisiert das Problem und zeigt anschaulich, welche Auswirkungen das aktuell und vor allem in Zukunft haben wird.

===

The Intercept hat mit „Surveillance in an Era of Pandemic and Protest“ eine interessante Diskussion zwischen den drei Autorinnen Naomi Klein (No Logo), Shoshana Zuboff (The Age of Surveillance Capitalism) und Simone Browne (Dark Matters: On the Surveillance of Blackness) gestreamt. Die drei diskutierten vor allem den Ausbau von Überwachungstechnologien und -gesetzen, auch und gerade in der Corona-Krise (Wovon wir in Deutschland bisher im Vergleich zu anderen Staaten verschont wurden). Das Video gibt es bei Youtube.

===

Das war es für heute. Viele Grüße und bleibt gesund,
Markus Beckedahl

Ich freue mich immer über Feedback und gute Hinweise. Meine Mailadresse ist markus@netzpolitik.org. Ich bin zwar häufig von zu vielen eMails überfordert und bekomme nicht alle beantwortet. Aber ich lese alle Mails.

Diesen Newsletter kann man hier abonnieren.

Im Anfangsstadium gibt es hier keine zusätzliche Redaktion und Qualitätskontrolle. Rechtschreibfehler werden zwar vermieden, können aber auftreten und müssen in diesem Fall leider auch behalten werden. Dieser Newsletter wird auch von vielen Spenden im Rahmen der freiwilligen Leser:innenfinanzierung von netzpolitik.org ermöglicht. Mit Deiner Unterstützung können wir noch viel mehr machen.