[bits] Das 13-Milliarden-Euro-Geschenk

Hallo,

der Zugang zum europäischen Binnenmarkt erfolgt für US-Unternehmen durch Steuerschlupfloch-Staaten wie Irland. Der Insel ging es wirtschaftlich nicht gut, aber sie hat den Vorteil, dass dort (weitgehend) englisch gesprochen wird und ist Mitglied in der EU. Zusätzliche Motivation für die Ansiedelung von EU-Zentralen und die Schaffung von Jobs im Tech-Sektor, davon aber auch viele Call-Center-Jobs, waren sicherlich Steuererleichterungen und zusätzlich eine laxe Datenschutzaufsicht.

Apple hatte mit Irland einen so guten Steuerdeal ausgehandelt, dass man teilweise nur 0,005 Prozent an Körperschaftssteuern zahlen musste. Davon träumen alle Steuerzahler:innen.

Die EU-Kommission hatte Apple vor vier Jahren eine spektakuläre Steuernachzahlung aufgebrummt, 13 Milliarden Euro sollte der Konzern an den irischen Staat überweisen. Das Gericht der Europäischen Union (EuG) hat die höchste Steuernachzahlung in der EU-Geschichte vorerst wieder aufgehoben. Die EU-Kommission habe dem irischen Staat fälschlicherweise illegale Staatsbeihilfen für Apple vorgeworfen, urteilte das Gericht am heutigen Mittwoch.

Das letzte Wort hat bei Berufungen der Europäische Gerichtshof (EuGH). Der könnte wohl ein für alle Mal klären, ob Apple tatsächlich den gesamten Milliardenbetrag nachzahlen muss.

Alexander Fanta hat den Überblick: Apple muss vorerst keine 13 Milliarden Euro Steuern nachzahlen.

Wer sich immer noch fragt, wo die vielen Milliarden Dollar Bargeld herkommen, die Apple vorhält: Das könnten auch unsere Steuergelder sein. Und die eigentlichen Schuldigen sind Regierungen, die nicht genug gegen Steuerschlupflöcher tun und es Unternehmen ermöglichen, große Gewinne einzufahren und wenig mit den Gesellschaften teilen zu müssen, in denen sie ihr Geld verdienen.

Neues auf netzpolitik.org:

Daniel Laufer hat einer merkwürdigen Geschichte hinterher recherchiert: Kai Diekmann, RWE und ein fiktives Bundesamt.

Ein erfundenes „Bundesamt für Krisenschutz und Wirtschaftshilfe“ fädelt unter einem Vorwand Gespräche mit Vorständen großer Unternehmen ein, darunter der Energiekonzern RWE. Das Wirtschaftsministerium wittert erst Betrug, aber rudert dann zurück. Recherchen von netzpolitik.org deuten auf einen anderen Hintergrund hin.

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Palim! Palim! Eine Kommune schafft mit freier Software digitale Begegnungsmöglichkeiten – und plötzlich wird vor Ort über Datensouveränität und digitale Daseinsvorsorge diskutiert. Markus Reuter und Bonnie Mehring haben mit dem Kopf dahinter gesprochen: Wie freie Software die Menschen im badischen Bühl begeistert.

Für digitale Veränderungen braucht es Menschen, die sie anstoßen. So einer ist Eduard Itrich, der Digitalisierungsbeauftragte der Stadt Bühl. In der Corona-Krise setzte die Stadt eine Videokonferenzplattform für Bürger:innen auf – und begeistert so mit freier Software. Wir haben gefragt, wie Kommunen und freie Software zusammengehen.

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Ingo Dachwitz zeigt auf: „Wie Frag Den Staat die Berliner Wohnungspolitik transparenter machen will„.

Wenn die Stadt Berlin auf ihr Vorkaufsrecht für geschützte Häuser verzichtet, behält sie die genauen Verabredungen mit Immobilienkonzernen meist für sich. Jetzt wollen Aktivist:innen diese Abwendungsvereinbarungen öffentlich machen und rufen zum Mitmachen auf.

Wissenswertes zur Coronakrise

In Berlin sehe ich häufig Menschen mit einem Gesichtsvisier, dem sogenannten Face-Shield, herumlaufen. Offensichtlich wollen sie sich vor Coronaviren schützen, aber sie tragen dabei in der Regel keine Maske. Face-Shields machen als Ergänzung zu Mund-Nase-Schutz, aka Masken, Sinn. Vor allem, wenn man in Pflegeberufen arbeitet. Bei meinem Zahnarzt wundert mich die Verwendung nicht, bei den Personen im öffentlichen Raum in der Regel schon. Zeit-Online bestätigt jetzt mein Bauchgefühl: Schweizer Gesundheitsamt warnt vor Gesichtsvisieren. Face-Shields schützen vor größeren Tropfen, aber gegen die wahrscheinlich größere Gefahr durch die kleinen Tröpfchen, die Aerosole, schützen eben nur Masken. Ohne Masken sind Face-Shields nur Sicherheitstheater und man sieht dazu noch sonderbar aus.

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Heute wird die 200.000 infizierte Person in der deutschen Statistik des Robert-Koch-Instituts erwartet. Der taz-Journalist Malte Kreutzfeldt rechnete heute auf Twitter vor, dass es die ersten 50.000 Infektionen innerhalb eines Monats gab, die zweiten 50.000 in zehn Tagen, die dritten brauchten schon 16 Tage. Und die jüngsten 50.000 dann 83 Tage. In den USA ist das genau anders herum und man kann demnächst noch eine null dran hängen. Da haben wir Glück gehabt.

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In den USA sind jetzt lokale Krankenhäuser angehalten, die neuen Corona-Infektionszahlen direkt ans Weiße Haus und bloß nicht zu den Gesundheitsbehörden zu schicken, die sie gerne veröffentlichen.

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Neu war mir auch, dass der US-Vize-Gesundheitsminister Michael Caputo jetzt für die Krisenbekämpfung zuständig sein soll. Seine Kernqualifikation bestand bisher aus dem Managen von schmutzigen Wahlkämpfen und guten Verbindungen nach Russland. Das erklärt natürlich so einiges.

Was sonst noch passierte:

Heute wollte das Bundeskabinett das Verfassungsschutzreformgesetz verabschieden, das allen Geheimdiensten Staatstrojanern geben soll. Und Anbietern von Telekommunikationsdienstleistungen verpflichten will, bei der Installation von Staatstrojaner zu helfen. Der eigentlich fertig verhandelt Punkt wurde von der Tagesordnung geschmissen. Zumindest scheint unsere Berichterstattung dazu geführt zu haben, dass es noch einmal Diskussionen in der Bundesregierung gibt.

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Die Wissenschafts-Sendung IQ auf Bayern 2 gibt in 25 Minuten Länge einen aktuellen Überblick zur Forschung rund um Hass im Netz, wen das betrifft, wer die Täter:innen sind und was man dagegen tun:
Hate Speech im Netz erkennen und bekämpfen.

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netzpolitik.org ist eines der ersten gemeinwohlorientierten Medien der neueren Zeit in Deutschland. Mittlerweile sind wir nicht mehr einer der wenigen Leuchttürme, sondern es gibt immer mehr. Wir haben uns mit anderen zusammen in der Initiative Forum gemeinnütziger Journalismus vernetzt, um für mehr Akzeptanz und Förderung von gemeinwohlorientiertem Journalismus zu werben. Denn der klassische Journalismus befindet sich in einer ökonomischen Krise, aber für andere Modelle gibt es leider noch zu wenig Akzeptanz und Förderung. Wir sind glücklich, dass unser Zeit-Einsatz und unsere Möglichkeiten momentan fast ausschließlich von freiwilligen Spenden im Rahmen einer freiwilligen Leser:innen-Finanzierung ermöglicht werden. (Kleiner Werbeblock: Hier kann mit einer Spende auch dieser Newsletter unterstützt werden).

Im September erscheint ein Report über das Potenzial von Non-Profit-Journalismus in Deutschland, der einige Initiativen vorstellt und über Wirkungsmechanismen und Förderlogiken aufklären möchte. Phineo hat mit drei Vertreter:innen von Stiftungen darüber gesprochen, wie sie die Situation einschätzen: Non-Profit-Journalismus: „Derzeit bietet der Markt nichts, was in Richtung Entscheidungsvorlage geht. Das wollten wir ändern!“

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Glenn Greenwald beschreibt auf The Intercept, wie er einmal einen Dokumentarfilm über sein Jugendidol Martina Navratilova machen wollte. Und dabei in einen Strudel geriet, der aktuell unter dem Begriff „Cancel Culture“ diskutiert wird. Es ist kompliziert. Dafür lesenswert, wenn auch lang.

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Das Auswärtige Amt hat in einer Kooperation mit dem Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz anlässlich der aktuellen EU-Ratspräsidentschaft eine Übersetzungsplattform entwickelt, die die Datenbanken der Sprachendienste der Bundesministerien einfplegt und alle europäischen Sprachen integriert. Die Basis der Technologie hinter dem EU Council Presidency Translator stellen die Dienste DeepL, DFKI, eTranslation und Tilde. Persönlich bin ich ein großer Fan des deutschen Unternehmens Deepl, dessen Übersetzungen ich regelmäßig besser als Google Translate finde.

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Gelangweilt vom Fernsehprogramm und Lust auf richtiges Leben? Die Webseite Insecam sammelt Live-Streams von echten Überwachungskameras, die irgendwo ohne Absicherung und Datenschutz im Netz stehen. Darunter sollen auch hunderte Überwachungskameras aus Deutschland stehen. Sie zeigen, dass hier einiges im Argen liegt. Der Datenschutzbeauftragte ist schon informiert. Wer jetzt voller Hoffnung rüberschaltet: In der Regel sind die Live-Streams von den Garageneinfahrten nicht spannender als Fernsehen, aber auch nicht so anstrengend wie Privatfernsehen am Nachmittag.

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Eine kritische Auseinandersetzung mit den Methoden der algorithmischen Entscheidungssystemen bei den großen Tech-Plattformen hat immer das Problem, dass eine solide Datenbasis fehlt. Die Plattformen haben wenig Interesse an unabhängigen Untersuchungen und müssen dafür keine Schnittstellen bereitstellen. Eine Möglichkeit, trotzdem Mechanismen zu untersuchen, sind sogenannte „Datenspenden“. Algorithmwatch sucht Instagram-Nutzer:innen, die sich für Browser ein Plugin installieren, dass dann im Hintergrund schaut, welche Inhalte unter welche Konstellation von einer Gruppe ausgewählter Instagram-Benutzer:innen ausgegeben werden. Einziges Manko: Instagram nutzt man in der Regel über eine App und nicht über den Browser. Trotzdem ist der Versuch sinnvoll.

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Wie ist eigentlich der Reichtum in unserer Gesellschaft verteilt? Dazu gab es immer Vermutungen, aber keine genaueren Ergebnisse. Nach drei Jahren Recherche haben die Ökonom:innen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) die Vermögensverhältnisse am oberen Rand der Bevölkerung zusammengetragen. Und festgestellt, dass es noch ungerechter zugeht als man bisher vermutet hat. 1 Prozent der Erwachsenen besitzt rund 35 Prozent des Gesamtvermögens. Die nächsten 9 Prozent der Erwachsenen besitzen rund 32 Prozent des Gesamtvermögens. 90 Prozent der Erwachsenen besitzen nur rund ein Drittel des Gesamtvermögens. Herzlichen Glückwunsch an die glücklichen Gewinner:innen. Eine Vermögenssteuer könnte sicherlich diese Ungerechtigkeit etwas abflachen – aber politisch hat sie keine Mehrheit. Die Frage ist: Warum eigentlich?

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Dazu passt auch folgende Meldung: Correctiv und der Bayerische Rundfunk haben im Rahmen einer gemeinsamen Crowdrecherche „Wem gehört die Stadt“ Mieter:innen in Augsburg, München und Würzburg nach ihren Erfahrungen mit Vermietern befragt und Informationen über diese gesammelt. Die Ergebnisse zeigen, welche unterschiedlichen Geschäftsmodelle es dabei gibt, die wiederum massiven Einfluss auf Mieterverhältnisse haben können. Es ist gut, wenn es in diese Richtung mehr Transparenz gibt.

Das war es für heute. Viele Grüße und bleibt gesund,
Markus Beckedahl

Ich freue mich immer über Feedback und gute Hinweise. Meine Mailadresse ist markus@netzpolitik.org. Ich bin zwar häufig von zu vielen eMails überfordert und bekomme nicht alle beantwortet. Aber ich lese alle Mails.

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