Hallo,
Max Schrems hat es wieder getan. Nachdem eine seiner Klagen bereits vor fünf Jahren dazu führte, dass der US-EU-Datentransfer-Beschluss Safe Harbour vom Europäischen Gerichtshof für ungültig erklärt wurde, hat eine erneute Initiative von ihm das Nachfolgeabkommen ebenfalls abgeschossen.
Der Europäische Gerichtshof erklärte heute das Privacy Shield für ungültig. Die EU-Richter erklären wiederholt, dass unser europäisches Datenschutzniveau in den USA nicht eingehalten wird. Und dass daran vor allem das System der Massenüberwachung Schuld ist, das die nationale Sicherheit der USA über unsere Grundrechte wie den Schutz personenbezogener Daten und das Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz stellt.
Schon bei der Verabschiedung sagten wir, Privacy Shield wäre der alte Safe Harbour-Beschluss in geänderter Verpackung mit neuem Logo und Claim. Der Grund: Das Problem der anlasslosen Massenüberwachung wurde überhaupt nicht gelöst und das unserer Datenschutz-Standards können somit nicht eingehalten werden.
Bundesregierung trägt Mitschuld
Jahrelang hoffte die EU-Kommission, dass sie damit irgendwie durchkommt und sich Klagen lange hinziehen. Dieses Hoffen ist jetzt vorbei.
Unsere Daten sind auf US-Servern praktisch vogelfrei. Als Nicht-US-Bürger haben wir im System der Massenüberwachung durch NSA und Co keinerlei Schutz. Dies sehen auch die EU-Richter so.
Schuld sind vor allem die Regierungen, die das System der Massenüberwachung stärken. Dazu gehört auch die deutsche Bundesregierung, die die Snowden-Enthüllungen eher als Machbarkeitsstudie denn als Warnung gesehen hat.
Eine Mitverantwortung tragen aber auch die US-Plattformen, die zu wenig Interesse an starken Datenschutzregeln haben, weil diese die eigenen Geschäftsmodelle mit personalisierter Werbung stören würden.
Jetzt können wir erst mal feiern, dass das etwas aus den Augen geratene System der Massenüberwachung wieder zumindest für einen Moment in das öffentliche Bewusstsein gerückt ist. Danke, Max Schrems, für die Hartnäckigkeit und danke an unsere Grundrechte, die zu dem EuGH-Urteil geführt haben.
Alexander Fanta und Ingo Dachwitz haben mehr Details zur Entscheidung: EU-Gericht zerschlägt Privacy Shield.
Neues auf netzpolitik.org:
Heute Nacht haben zahlreiche prominente und reichweitenstarke Twitter-Accounts ungewollt zum Thema Bitcoin getwittert. Markus Reuter hat einige Hintergründe: Warum es so gefährlich war, dass Hacker über Twitters interne Systeme prominente Accounts steuern konnten.
Elon Musk, Joe Biden, Barack Obama und viele andere bekannte Twitter-Accounts wurden von Angreifern genutzt, um für einen Bitcoin-Betrug zu werben. Der Hack ins Herz des sozialen Netzwerks wirft vor allem Fragen der internationalen Sicherheit auf: Mit den prominenten Accounts wären deutlich gefährlichere Aktionen als die Bitcoin-Abzocke möglich gewesen.
Die Befristung von Anti-Terror-Gesetzen ist eigentlich immer sehr sinnvoll, schon als das kleinere Übel gegenüber unbefristeten Gesetzen, vor allem wenn sie mit einer Evaluierung verbunden ist. Aber in Zeiten ewiger Großer Koalitionen führt das auch dazu, dass früher oder später eine Entfristung aufgehoben wird. Das ist zumindest die Idee bei den Otto-Katalogen, wie Andre Meister und Heiner Busch beschreiben: Bundesregierung will Geheimdienst-Befugnisse aus Anti-Terror-Gesetzen endgültig entfristen.
Bestandsdaten, Flugdaten, IMSI-Catcher: Mit dem Antiterrorgesetz 2001 haben die Geheimdienste neue Befugnisse erhalten, aber nur auf Zeit. Das Innenministerium will diese Befristung jetzt endgültig aufheben. Als Begründung dient eine Evaluierung, die vor allem die Wünsche der Spione berücksichtigt.
Plattformen sollen nicht immer für Urheberrechtsverstösse haftbar sein, so zumindest ist das Plädoyer des Generalbundesanwaltes beim Europäischen Gerichtshof, das heute veröffentlicht wurde. Anna Biselli hat es sich angesehen: Plattformen haften nicht unmittelbar für Urheberrechtsverstöße von Nutzern.
Bis sie Kenntnis von einer Urheberrechtsverletzung haben, sollen Plattformen nicht für Verstöße ihrer Nutzer haften. Zu diesem Ergebnis kommt ein Generalanwalt des Europäischen Gerichtshof. Es ging um seit Jahren laufende Verfahren gegen YouTube und den Sharehoster Uploaded.
Wissenswertes zur Coronakrise
Das Weiße Haus versucht derzeit, den populären und kompetenten Epidemiologen Anthony Fauci abzuschießen. Das klappt aber nicht so gut, was auch daran liegt, dass für viele Medien Fauci ein gern gesehener Experte ist. In einem lesenswerten Interview mit The Atlantic erklärt er, wie es sich für ihn anfühlt, nach fünf anderen Präsidenten für Donald Trump zu arbeiten: „Nun, es ist ein bisschen bizarr“. Hier das Interview: Fauci: ‘Bizarre’ White House Behavior Only Hurts the President.
Kommende Woche muss ich das erste mal seit Monaten wieder mit der Deutschen Bahn fahren. Und ich bin leider immer noch nicht so davon überzeugt, dass das in Zeiten einer Pandemie eine sichere Sache ist. Das liegt aber auch am Verhalten vieler Mitreisenden, die das Tragen einer Maske als Eingriff in die persönliche Freiheit sehen und sich nicht an Regeln halten wollen, damit alle besser geschützt sind. Die Deutsche Bahn möchte die Regeln nicht durchsetzen müssen, weil das wiederum die Mitarbeiter:innen abbekommen würden, die sich dabei nicht ausreichend geschützt fühlen. Mit anderen Worten, es gibt zwar eine Maskenpflicht, aber wenn sich ein Teil nicht daran hält, hat man halt Pech, wenn man im selben Zug sitzt: Warum die Bahn in ihren Zügen die Maskenpflicht nicht durchsetzt.
Tirschenreuth ist der Landkreis mit den meisten Corona-Toten in Deutschland. Mittlerweile gibt es eine Studie des Robert-Koch-Instituts, das verschiedene Faktoren gefunden hat, warum sich dort das Virus so schnell verbreiten konnte. Dazu gehören Skiurlauber, eine Kneipe und ein Starkbierfest. Prost: So wurde Tirschenreuth zum Corona-Hotspot.
Was sonst noch passierte:
Ein geheimer Erlass von Donald Trump hat der CIA vor zwei Jahren weitgehende Narrenfreiheit beim Hacken gegeben. Der Geheimdienst braucht jetzt keine Genehmigung mehr aus dem Weißen Haus, um z.b. Server von Nichtregierungsorganisationen zu hacken, wenn man der Meinung ist, dass diese irgendwie einen Feind unterstützen: Secret Trump order gives CIA more powers to launch cyberattacks.
Eine Kritik am vergangenen US-Wahlkampf war, dass viele Medien Donald Trump indirekt unterstützt haben, weil sie nicht verstanden, dass seine Art von Kampagne anders behandelt werden sollte als man gewohnt war. Für den kommenden Wahlkampf argumentiert Dan Froomkin bei Press Watch, dass dieselben Fehler gerade wieder gemacht werden: The media is covering this election all wrong. Dazu gibt es viel Einordnung und er schlägt vor, dass Berichterstattung vor allem im Auge haben sollte, wie Trump-Unterstützer:innen ticken und wie sie die Integrität der Wahlen gefährden könnten, was gerade in Zeiten einer Corona-Pandemie viele Gefahren mit sich bringt.
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Das thüringische Landesverfassungsgericht hat gestern das Paritätsgesetz gekippt, nachdem Parteien Frauen und Männer zu gleichen Teilen auf ihre Wahllisten setzen müssen. Lenz Jacobsen analysiert bei Zeit-Online das Urteil und ordnet es ein: Die Freiheit, Männer zu wählen.
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Im vergangenen Monat wurden 269 GB Daten von Polizeiservern von einem Kollektiv namens Distributed Denial of Secrets geleakt. Die Daten entstammen wohl dem Hack eines Content-Management-System-Anbieters, der seine Services für zahlreiche Behörden angeboten hat. Und bei dem eine Sicherheitslücke dazu führte, dass alle Systeme gehackt werden konnten. Bei The Intercept gibt es von Micah Lee eine umfangreiche Auswertung des Leaks: Hack of 251 Law Enforcement Websites exposes personal data of 700.000 cops. In einem weiteren Artikel zeigt Ryan Devereaux, die von zahlreichen Sicherheitsbehörden die imaginäre Gefahr vor einer „Antifa“ im Rahmen der Black Live Matters-Proteste massiv hochgejazzt wurde – während gleichzeitig die viel größere Gefahr durch rechte Milizen kaum Beachtung fand: Leaked documents show police knew far-right extremists were the real threat at protests, not „antifa“.
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Ein SZ-Journalist hatte Pech, zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen zu sein. Er wurde dabei von Polizisten getreten, am Ende lag er mit einem dreifachen Trümmerbruch des Sprunggelenks im Krankenhaus und erstattete Anzeige. Die Polizisten wurden alle freigesprochen, unabhängige Zeugen nicht verhört und auch wenn vor Gericht klar war, dass die Zeugenaussagen der Polizisten abgesprochen sind, sah der Richter darin kein Problem: Falscher Zeitpunkt, falscher Ort.
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Dazu passt das Plädoyer von Mely Kiyak, die anlässlich der „Stammbaumforschung“ in Stuttgart schreibt: Dieses Land hat eine bessere Polizei verdient.
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Wie geht es Brasilien unter Bolsonaro? Der ARD-Journalist Ivo Maruszyk berichtet in einem halbstündigen Radio-Feature von vor Ort: Ein Populist stürzt sein Land ins Verderben.
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Der Hintergrund im Deutschlandfunk beleuchtet die Rolle der Medien in der Türkei. Unter Erdogan wurden die Medien weitgehend gleichgeschaltet. 93 Journalist:innen sitzen im Gefängnis, viele fürchten, dort demnächst ebenfalls zu sitzen. Freie Berichterstattung ist nur noch im Netz möglich, auch auch der Zugang zum Netz soll durch Überwachungs- und Zensurinfrastrukturen noch weiter eingeschränkt werden. Die Zensur führt dazu, dass das Vertrauen in die Medien massiv in allen Teilen der Bevölkerung sinkt: Kritik am Präsidenten nur noch im Netz.
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Um das mal etwas plastischer zu machen: Der Welt-Journalist Deniz Yücel wurde heute in Abwesenheit in der Türkei zu zwei Jahren und neun Monaten Haft verurteilt. Ihm wurde Terrorpropaganda vorgeworfen, weil er kritisch über Erdoğan geschrieben hatte: Yücel in Abwesenheit zu Haft verurteilt.
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Das war es für heute. Viele Grüße und bleibt gesund,
Markus Beckedahl
Ich freue mich immer über Feedback und gute Hinweise. Meine Mailadresse ist markus@netzpolitik.org. Ich bin zwar häufig von zu vielen eMails überfordert und bekomme nicht alle beantwortet. Aber ich lese alle Mails.
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