Hallo,
gestern haben Deutschland und Frankreich die Gaia-X-Plattform gelauncht. Die Idee dahinter ist gut und wichtig: Es soll eine offene und dezentrale Alternative für Clouds und Datensilos entstehen, die zu Kooperation einlädt und mit europäischen Werten und Datenschutzgesetzen ausgestattet ist. Damit soll eine „digitale Souveränität“ gegenüber Google, Amazon, Microsoft, Alibaba und Co erreicht werden, die solche Dienste schon lange anbieten.
Es ist und bleibt ein Problem, wenn Unternehmen und Behörden derzeit nur die Wahl zwischen Pest und Cholera bei Cloud-Infrastrukturen haben. Bis heute ist es rechtlich eher ungeklärt, ob US-Unternehmen auch wenn sie Rechenzentren und Tochterfirmen in Deutschland besitzen, im Geheimen mit US-Geheimdiensten kooperieren und ihnen Zugriff auf ihre Infrastrukturen geben müssen. Daher kann man davon ausgehen, dass sie das im Zweifelsfall machen müssen. PRISM und FISA-Gerichte winken aus den Snowden-Enthüllungen.
Eine Herausforderung ist natürlich: Das Konsortium startet 2020 und möchte existierenden und Cloud-Plattformen Konkurrenz machen, die heute schon funktionieren, viele Jahre Vorsprung haben und den weiter ausbauen. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier schaffte es gestern bei der Vorstellung tatsächlich, das Projekt als „Moonshot der Digitalpolitik“ und „vielleicht wichtigstes digitales Bestreben einer Generation“ zu bezeichnen.
Ich weiß ja nicht. Viele Menschen mit und ohne ausreichend Breitband-Internet würden wahrscheinlich die flächendeckende Verlegung von Glasfaser-Infrastruktur eher als „wichtigstes digitales Bestreben einer Generation“ ansehen. Aber das wurde ja schon erfolgreich eine Generation lang in den Sand gesetzt.
Bei Gaia-X sind viele großen Namen dabei, von Deutsche Telekom bis Siemens. Das ist leider kein Garant für Erfolg und Qualität, denn gerade fällt mir kein technologisches Großprojekt ein, wo viele deutsche Großunternehmen kooperiert und erfolgreich eine neue Technologie entwickelt haben, auf die dann auch die Welt gewartet hat.
Das letzte Mal, als von einem „europäischen Airbus-Projekt“ für Digitales gesprochen wurde, wollte man mit dem deutsch-französischen Quaero-Konsortium eine Konkurrenz zu Google aufbauen. Habt Ihr nie was von gehört? Das wurde auch nichts.
Wenigstens soll diesmal alles mit Open Source und Open Standards gedacht werden, im Falle eines Scheiterns kann man die dort entwickelten Sachen für andere Dinge weiterverwenden. Ich lass mich überraschen, was passiert. Vielleicht klappt ja ausnahmsweise mal ein großes Digitalprojekt, das im Wirtschaftsministerium auf dem Reißbrett mit entworfen wurde.
Neues bei netzpolitik.org:
Gestern wurde in Berlin ein ZDF-Kamerateam von Rechtsextremisten und einem Justizbeamten bei einem genehmigten Dreh am Landgericht behindert. Daniel Laufer hat davon Videoaufnahmen aufgetrieben: Berliner Justizbeamter behindert ZDF-Dreh bei Prozess gegen einen Rechtsextremisten.
Wir veröffentlichen die Videoaufnahme, die zeigt, wie der Justizbeamte an die Kamera griff und sie wegschubste – angeblich, weil er nicht gefilmt werden wollte. Anschließend griffen auch Rechte die Journalisten an. Ein Sprecher des Justizsenators verspricht Aufklärung.
Als die erste Corona-Welle über Berlin kam, versuchten unsere Gesundheitsämter, sich mit Excel zu helfen. Das klappte natürlich irgendwann immer weniger und dann war die Excel-Tabelle voll. Mittlerweile gibt es eine etwas modernere und besser geeignete Lösung. Chris Köver hat ich angeschaut, wie die Kontaktverfolgung mit der Software Sormas funktionieren kann: Etwas Besseres als Excel.
Bis vor Kurzem kämpften Gesundheitsämter in Berlin noch mit Stift, Papier und einer Excel-Tabelle gegen die Ausbreitung von Covid-19. Jetzt soll eine Software bei der Kontaktverfolgung helfen. Sie hat sich bereits gegen Ebola bewährt, doch wann sie allen Ämtern bereit steht, bleibt offen.
Die Europäische Union hat einen Großauftrag für ein neues System zur Erkennung von Fingerabdrücken und Gesichtern vergeben. Matthias Monroy hat die Details: EU zahlt 300 Millionen Euro für Erkennung von Gesichtern und Fingerabdrücken.
Die Firmen IDEMIA und Sopra Steria errichten für die EU ein biometrisches Erkennungssystem. Hierfür werden Fingerabdrücke und Gesichtsbilder aus fünf Datenbanken in einer einzigen Datei gespeichert. In zwei Jahren ist die Fertigstellung geplant, in einem früheren IT-Großprojekt der EU brachte es einer der Partner jedoch auf eine Verspätung von sieben Jahren.
Was sonst noch passierte:
In Dänemark hat das Parlament ein Gesetz beschlossen, dass künftig Netzsperren gegen Online-Händler wie Amazon erlaubt, wenn diese nicht ausreichend gegen gefährliche Angebote auf ihrer Plattform vorgehen. Die dänischen Behörden zeigten sich zuvor unzufrieden über die hohe Anzahl gefährlicher Produkte, die ungehindert verkauft werden können, etwa plötzlich in Flammen ausbrechende Handyladegeräte. Die Netzsperren möglich macht eine EU-Verordnung zum Verbraucher:innenschutz. Sie erlaubt dieses Mittel, wenn andere Schritte wie Mahnungen und Strafen nicht helfen.
Ein neues Werkzeug innerhalb von Facebooks Handy-Apps erlaubt es Nutzenden, peinliche Posts von früher in Bausch und Bogen zu löschen oder in ein privates Archiv zu stecken, wie der Konzern bekanntgab. Mit dem Tool kann man Posts aus einer bestimmten Zeit oder im Zusammenhang mit einer bestimmten Person filtern. Unklar ist allerdings, ob es diese Funktion nur innerhalb von Facebook-Apps geben wird oder ob sie auch in der mobilen oder Desktop-Version verfügbar ist. Gründer Mark Zuckerberg kann nun jedenfalls leichter ältere Posts löschen, in denen er selbst das Konzept der Privatsphäre für tot erklärt hat.
Die New York Times hatte die Tage auf ihrer Meinungsseite einen Gastbeitrag des Senators Tom Cottons mit dem Titel „Send in the troops“ veröffentlicht. Nun ist die Meinungsseite einer Zeitung, vor allem bei der New York Times, auch kein Speakers Corner, wo alle Einsendungen veröffentlicht werden. Sondern sie ist eine streng kuratierte Meinungsseite, wo zentral Entscheidungen getroffen werden, was von wem überhaupt veröffentlicht wird. Der Gastbeitrag führte zu Protesten und enttäuschte viele Menschen, Leser:innen wie Journalist:innen, weil man von der New York Times eine andere Haltung erwartete. Diese rudert jetzt zurück: New York Times Says Senator’s Op-Ed Did Not Meet Standards. Konnte ja niemand ahnen.
Im epochalen Kampf der Rechteinhaber:innen mit dem Internetkonzern Google um das Leistungsschutzrecht mussten erstere eine weitere Niederlage vor Gericht hinnehmen. Die Verwertungsgesellschaft VG Media erklärte nach einem jahrelangen Rechtsstreit auf allen Ebenen um das 2013 in Deutschland eingeführte Gesetz einen Klageverzicht. Das Ringen um die Frage, ob Google den Presseverlagen etwas dafür schuldet, dass es auf ihre Seiten linkt, geht freilich munter weiter. Denn noch muss Deutschland die neue EU-Urheberrechtsrichtlinie umsetzen, die in Artikel 15 ein Leistungsschutzrecht vorsieht. Dann geht der Spaß von Neuem los.
Als die SPD-Bundestagsabgeordnete Saskia Esken von der Parteibasis zur SPD-Vorsitzenden gewählt wurde, gab es viel Häme aus dem politischen Berlin. Viele Journalist:innen konnten mit ihr nichts anfangen, auch weil Esken eine Fachpolitikerin für alle netzpolitischen Fragen war. Also für ein Thema, das die meisten Journalist:innen leider immer noch für unrelevant halten, auch weil sie es nicht verstehen (wollen). Aber auf einmal dreht sich der Wind für Saskia Esken, die wir immer schon als kompetente Ansprechpartnerin für alle unsere Fragen wahrgenommen haben. In einem Kommentar auf Spiegel-Online wird sie jetzt sogar schon wegen ihrer Rolle beim Konjunkturpaket als „Die Schattenkanzlerin“ gepriesen.
Nach dem Anschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz gelangten recht schnell Ermittlungsinterna an Pegiga und Co. Lange war ungeklärt, wer dafür verantwortlich war. Jetzt wurde die erste Person gefunden, die bereits 90 Minuten nach dem Anschlag Infos weitergab: Polizist verrät offenbar Interna in AfD-Gruppe.
Der Guardian hat Ende Mai eine Liste der größten Nummer 1 Songs in Großbritannien veröffentlicht. (Praktischerweise auch als Spotify-Liste). Gefühlt die Hälfte der Songs würde ich auch auf eine solche Liste packen. Auf Nummer 1 steht „West End Girls“ von den Pet Shop Boys, das ich von klein auf geliebt und erst später die sozialpolitische Bedeutung des Textes richtig verstanden habe – wie bei so vielen Songs der Pet Shops Boys. Diese haben die Quarantäne genutzt und eine neuere Version von „West End Girls“ als „New Lockdown Version“ auf Youtube veröffentlicht.
Audio des Tages: Black Lives Matter – Wie sprechen wir über Menschen?
Der Lakonisch Elegant – Podcast von Deutschlandfunk Kultur hat gestern über die Weiterentwicklung von Sprache im Zusammenhang mit dem gewachsenen Bewusstsein für Rassismus diskutiert: Black Lives Matter – Wie sprechen wir über Menschen?
Dazu passt auch „Der Kebekus-Brennpunkt zum Thema „Rassismus“, wo viele Prominente mit anderer Hautfarbe über ihre Rassismuserfahrungen in Deutschland berichten.
Videos des Tages: Fassbbinder und Tarrantino
Heute gibt es gleich zwei Dokumentation über berühmte Regisseure. Die Dokumentation „Fassbinder – Leben und Wirken des Filmemachers“ steht anlässlich des 75. Geburtstages noch bis heute Nacht in der ARD-Mediathek. Irgendwann schaff ich es auch nochmal, „Berlin Alexanderplatz“ von Fassbinder zu schauen. Die 14-teilige Serie von 1980 gibt es derzeit in der Arte-Mediathek.
Ebenfalls bei Arte wird das bisherige Schaffenswerk von Quentin Tarrantino eingeordnet: QT8: Quentin Tarantino – The First Eight.
Viele Grüße und bleibt gesund,
Markus Beckedahl
Ich freue mich immer über Feedback und gute Hinweise. Meine Mailadresse ist markus@np. Ich bin zwar häufig von zu vielen eMails überfordert und bekomme nicht alle beantwortet. Aber ich lese alle Mails.
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