Hallo,
vor 20 Jahren wurde mit der e-Commerce-Richtlinie die Basis für die Entfaltung des Netzes in der Europäischen Union geschaffen. Der Kernbestandteil war das sogenannte Haftungsprivileg. Damals hatte man vor allem Provider im Sinne, die nicht dafür haftbar gemacht werden sollten, was ihre Kunden auf ihren Servern machen. Denn sonst hätte man das mit dem Internet auch gleich vergessen können, weil die Deutsche Telekom ja auch nicht dafür haftet, wenn wir uns per Telefon zu einem Verbrechen verabreden, nur weil sie die Infrastruktur bereitstellt.
Das funktionierte lange gut – bis die Plattformen kamen. Denn Facebook, Youtube und Co segeln seitdem geschickt zwischen zwei Prinzipien durch: Sie argumentieren gerne, dass sie nicht dafür haftbar gemacht werden wollen, was ihre Kund:innen machen. Andererseits sind die aber auch nicht so neutral, wie es Provider sind, die Infrastruktur stellen, um zum Beispiel Daten von A nach B verschieben. Sondern sie verantworten, ähnlich wie Medien, wer was wie sieht: Alleine mit ihren algorithmischen Entscheidungssystemen greifen sie massiv in die Art und Weise ein, wie Daten von A nach B kommen. Dabei entziehen sie sich geschickt einer Regulierung.
Seit Jahren wird auf europäischer Ebene deshalb eine Reform der e-Commerce-Richtlinie angestrebt. Im vergangenen Jahr haben wir bereits erste Arbeitspapiere aus der EU-Kommission veröffentlicht, die die Richtung beim geplanten Digital Service Act vorgeben: Alles und nichts möchte man in einem Gesetzeswerk reformieren, es geht hier um die Zukunft des Netzes, zumindest in der EU. Das Ziel ist, die Macht der großen Netzkonzerne zu begrenzen. Die große Herausforderung wird sein, dabei nicht das offene Netz zu verstören und keine Kollateralschäden für uns alle anzurichten.
Aufgrund von Corona wurde der Gesetzesprozess in den Herbst geschoben, die Debatten sind aber schon im Gange. Alexander Fanta und Tomas Rudl berichten in einem längeren Hintergrundartikel auf netzpolitik.org, was uns erwartet: Das Plattformgrundgesetz. Der Digital Service Act wird die zentrale netzpolitische Debatte der kommenden Jahre werden.
Neues bei netzpolitik.org
Neben der Corona-Warn-App gibt es auch noch die Datenspende-App des Robert-Koch-Institut (RKI). Rund 500.000 Devices nehmen freiwillig daran teil, indem ihre Besitzer:innen die Daten ihrer Fitnesstracker mit dem RKI teilen. Chris Köver war zu Besuch beim RKI und hat nachgeforscht, was aus der Idee geworden ist. Bisher ist unklar, ob die App ihren geplanten Zweck erfüllen und ein Frühwarnsystem für weitere lokale Corona-Ausbrüche werden kann. Unklar ist gerade, ob das aktuell an den niedrigen Infektionszahlen in Deutschland liegt oder die Idee einfach nicht in der Praxis funktioniert. Aber beim RKI hat man trotzdem Hoffnung: Experiment mit offenem Ausgang.
Wissenschaftler:innen am Robert-Koch-Institut versuchen mit Hilfe von Fitnessdaten Fieber zu erkennen und so ein Frühwarnsystem für die Ausbreitung von Covid-19 zu bauen. Bisher ist völlig unklar, ob ihnen das gelingen wird.
Matthias Monroy beschreibt, wie die Ukraine und Serbien in Sachen Drohnen aufrüsten: Neue europäische Drohnenmächte.
Vier europäische Staaten besitzen bewaffnete Drohnen, zwei von ihnen setzen sie bereits zur „Terrorismusbekämpfung“ ein. Weitere vier erwägen eine Bewaffnung bereits bestellter Modelle, darunter auch Deutschland. Alle führenden Hersteller unbemannter Waffensysteme aus den USA, China, der Türkei und Israel könnten dann in Europa vertreten sein.
Apropos Drohnen: Meine Mavic Air – Drohne ist nicht bewaffnet, hat aber gerade beim Fliegen einen Rechtsdrall entwickelt. Da ich hier schon häufiger sofort Antworten auf gestellte Fragen bekommen habe wollte ich mal nachfragen, ob jemand zufällerweise das Problem und eine Lösung kennt. Ich suche offensichtlich mit den falschen Begriffen und finde bisher keine Problemlösung.
Wissenswertes zum Coronavirus
Bisher wurden 500 QR-Codes für positiv getestete Corona-Patienten zur Information möglicher Kontakte über die Corona-Warn-App ausgeteilt. Das verkündete heute das RKI auf einer Pressekonferenz. Das waren aber wahrscheinlich keine Berliner:innen, denn die digitale Verbindung zu den Berliner Gesundheitsämtern funktioniert noch nicht. Alles andere hätte mich auch überrascht. In der Hauptstadt müssen wir nach einem Positiv-Test leider die Telekom-Hotline anrufen.
Zeit-Online berichtet über das Problem, dass man sich einer überwundenen Infektion in der App noch nicht gesund melden kann: Wo ist nur der „Ich bin wieder gesund“-Knopf?
Die Wirtschaftswoche berichtet, dass Medikamentenhersteller unter massiven Umsatzeinbußen leiden, zumindest wenn sie sich auf Magen-Darm- und Erkältungsmittel spezialisiert haben: Wie Medikamenten-Hersteller unter der Coronakrise leiden. Aufgrund der Kontaktbeschränkungen, mehr Händewaschen und Masken sind eben viel weniger Menschen in der Frühjahrs-Primetime krank geworden.
In den USA werden Münzen knapp. Das hat einige Auswirkungen, unter anderem auf die Funktionsweise von Waschautomaten und anderen Gerätschaften. Vice Motherboard erklärt die Hintergründe: COVID-19 Is Causing a National Coin Shortage.
Was sonst noch passierte:
Die rechtsextreme Identitäre Bewegung ist bei Twitter rausgeschmissen worden, auf neudeutsch „deplattformiert“ worden. Vorausgegangen war mit „Generation Identity“ eine umfangreiche und lesenswerte Analyse des „Global project against hate and extremism“, das den Einfluss der IB bei zahlreichen rassistisch-motierten Morden über die Verschwörungserzählung des „Bevölkerungsaustausches“ dokumentierte. Erich Moechel hat bei FM4 eine Zusammenfassung: Eigene Soziale Netzwerke für gesperrte Rechtsextreme.
Ich bin ein Fan von Kameraabdeckungen auf Notebooks, weil man leider nicht immer sicher sein kann, dass die Kamera nicht doch von irgendwem remote angemacht wird, auch wenn die LED nicht leuchtet. Es gibt Notebooks, die eine solch praktische Schutzfunktion werksmäßig eingebaut haben. Die Leonovo Thinkpads sind hier vorbildlich. Apple wiederum warnt jetzt vor Kameraabdeckungen, weil diese das Display springen lassen könnten. Wahrscheinlich hängt es auch davon ab, welche Kameraabdeckung man verwendet und bisher scheinen es Einzelfälle zu sein. Auf einem älteren Macbook funktioniert der Eigen-Schutz bisher prima. Ich würde mich ja gerne darauf verlassen, wenn Apple verspricht, dass das eigene System schon ausreichend sicher sei. Aber so gut sind die leider auch wieder nicht: Apple warnt vor Kamera-Abdeckung.
Donald Trump hat seinem Wahlkampfberater Roger Stone eine mehrjährige Haftstrafe erlassen. Eine gute Einordnung zu der Aktion, die an eine Bananenrepublik erinnert, hat die New York Times: In Commuting Stone’s Sentence, Trump Goes Where Nixon Would Not. Zum Hintergrund kann ich noch die Netflix-Dokumentation „Get Me Roger Stone“ empfehlen, die die Persönlichkeit und das Schaffenswerk von Roger Stone ganz gut darstellt.
In vielen Städten in den USA wird von der Polizei automatisierte Gesichtserkennung eingesetzt. Und in der Regel funktionieren die Systeme nicht so gut wie es die Hersteller in ihren Werbebroschüren anpreisen. Das kann dann zu Festnahmen von Unschuldigen führen, wie dieser Fall aus Detroit wieder anschaulich zeigt: Controversial Detroit facial recognition got him arrested for a crime he didn’t commit.
Bei Zeit-Online kommentiert Kai Biermann ein Papier des EU-Koordinators für die Terrorismusbekämpfung, Gilles de Kerchove, der stärker Gamer-Infrastrukturen überwachen will. Vor allem stimme die Ausgangsthese überhaupt nicht, dass Spiele-Plattformen nahezu unüberwacht seien: Gamer unter Terrorverdacht.
In der taz gibt es ein Interview mit dem scheidenden Bundesverfassungsrichter Johannes Masing, der die meisten netzpolitisch-relevanten Fälle in den vergangenen Jahren federführend betreut hat: „Das macht mir große Sorge“.
Vor 25 Jahren ermordeten serbische Milizen in Srebrenica 8300 muslimische Bosniak:innen. Der Deutschlandfunk schaut in der Sendung „Hintergrund“ auf den Genozid: Brisante Fragen auch nach 25 Jahren ungeklärt. Interessant fand ich auch ein Taz-Interview mit der Historikerin Marie-Janine Calic nach dem Warum: „Das war der ultimative Weckruf“.
Eine Gruppe von Journalist:innen, von denen ich einige kenne, wollen in Münster mit RUMS ein Lokaljournalistisches Netz-Projekt etablieren. Dafür wollen sie Geld sammeln und beschreiben in einem RUMS-Brief, wer sie sind und was sie vorhaben.
Video des Tages: Walt Disney
In der Arte-Mediathek gibt es die zweiteilige, insgesamt 180 Minuten lange, Dokumentation „Walt Disney – Der Zauberer“ über das Leben und Schaffenswerk von ebendiesem.
Das war es für heute. Viele Grüße und bleibt gesund,
Markus Beckedahl
Ich freue mich immer über Feedback und gute Hinweise. Meine Mailadresse ist markus@netzpolitik.org. Ich bin zwar häufig von zu vielen eMails überfordert und bekomme nicht alle beantwortet. Aber ich lese alle Mails.
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