[bits] Der direkte Weg von Facebook ins BKA

Hallo,

der Bundestag beschließt heute mit den Stimmen der Großen Koalition ein „Gesetz zur besseren Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität“. Der Entwurf sieht eine Reform des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) vor, um eine bessere Strafverfolgung bei Hasskriminalität zu ermöglichen. Das klingt in der Theorie erst mal gut, alleine schon, damit endlich mal was getan wird.

Und es war schon bei der Verabschiedung des NetzDG vor drei Jahren klar, dass entscheidende Punkte fehlen und reformiert werden müssen, wie eine sogenannte Putback-Möglichkeit. Die soll es jetzt zukünftig geben, sie stärkt die Rechte von Nutzer:innen, deren Inhalt fälschlicherweise von den Content-Moderator:innen der großen Plattformen gelöscht werden.

Aber der Hauptkritikpunkt an diesem neuen Gesetz ist eine Meldepflicht für soziale Netzwerke, die potentiell strafbare Inhalte an das Bundeskriminalamt (BKA) übermitteln sollen. Die Bundesregierung erklärt, dass dann das BKA diese Inhalte überprüfen und gegebenenfalls Ermittlungen durchführen könnte.

Der Prozess wäre, dass Nutzer:innen Inhalte auf Plattformen mit über zwei Millionen Nutzer:innen in Deutschland melden. Content-Moderator:innen oder automatisierte Entscheidungssysteme (aka „Künstliche Intelligenz“) überprüfen, ob die Inhalte die AGBs der jeweiligen Plattform betreffen oder einen der vielen im NetzDG definierten Straftatbestände. Und falls letzteres zutrifft, werden die Inhalte samt Nutzer:innendaten wie der IP-Adresse ans BKA übermittelt. Die Behörde baut damit dann eine Datenbank auf und ermittelt. Oder bemüht sich zu ermitteln. Oder auch nicht, das ist alles noch unklar.

Schätzungen gehen von einer niedrigen sechsstelligen Zahl an Postings pro Jahr aus, die dann dort samt aller Nutzer:innendaten in einer BKA-Datenbank landen. Ohne, dass ein Gericht jemals etwas damit zu tun gehabt hat. Das wirft aus Grundrechtssicht wieder die beliebte Frage auf: What could possibly go wrong? Leider vieles, denn die demokratischen Kontrollmöglichkeiten sind unzureichend und im Call-Center von Facebook und Co wird entschieden, ob man denn jetzt in einer Datenbank des Bundeskriminalamtes landet.

Teile der Opposition und auch der Bundesdatenschutzbeauftragte fordern daher, eine Quick Freeze-Regelung. Damit sollen erst dann Nutzer:innendaten an das BKA übermittelt werden, wenn dieses den Anfangsverdacht überprüft und bestätigt hat. Und eben nicht alles automatisch, wobei sogar unklar ist, ob das auch mal gelöscht wird oder nicht.

Aber auch bei diesem Gesetz gilt: Es ist ja prinzipiell richtig, dass etwas gegen Hasskriminalität unternommen wird. Neue Datenbanken bei der Polizei, die durch Facebook befüllt werden, sind hochproblematisch. Eher würde hier eine bessere Ausstattung der Justiz helfen, eine höhere Sensibilität auf Seiten der Strafverfolgungsbehörden für Opfer und dazu mehr Motivation, das auch Ernst zu nehmen und zu ermitteln und generell mehr Beratungsstellen für Opfer.

Anna Biselli fasst das alles nochmal zusammen: Bundestag entscheidet über umstrittenes Gesetz gegen Hasskriminalität.

Gestern fand im Bundestag eine Anhörung zu dem Gesetz statt. Stefan Krempel fasst diese für Heise-Online zusammen: NetzDG-Reform: Gesetzgeber verstrickt sich in unauflösbare Widersprüche.

Neues auf netzpolitik.org:

Alle unsere Geheimdienste sollen Staatstrojaner bekommen. Das geht aus dem Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung des Verfassungsschutzrechts hervor, den wir heute bei netzpolitik.org veröffentlicht haben.

Staatstrojaner ermöglichen Behörden, sich auf Geräte zu hacken. Dazu wird im Namen der Sicherheit massive IT-Unsicherheit geschaffen. Denn wenn unsere Behörden das Wissen über Schwachstellen haben, um Staatstrojaner zu munitionieren und Geräte zu hacken, bedeutet das im Umkehrschluss, dass alle unsere Geräte ebenfalls diese Schwachstellen haben und wir verwundbar sind. Für andere, die ebenfalls diese Schwachstellen nutzen, ob sie Geheimdienste oder Kriminelle sind. Es gibt kein gutes Leben mit Staatstrojanern. Aber es gibt gute Ermittlungsstrategien ohne Staatstrojaner. Und es gibt das Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systemen, das durch Staatstrojaner verletzt wird.

Andre Meister stellt den bisher geheimen Gesetzentwurf vor: Wir veröffentlichen den Gesetzentwurf, mit dem alle Geheimdienste Staatstrojaner bekommen.

Und in einem gesonderten Artikel hat er Reaktionen aus Politik, Gesellschaft und Wirtschaft gesammelt: Staatstrojaner für Geheimdienste: „Tritt die Regelung in Kraft, werden wir dagegen klagen.“

Es gibt aber auch gute Nachrichten. Rot-Rot-Grün plant Änderungen am Polizeigesetz und sendet damit ein starkes Signal: Eine progressive Sicherheitspolitik ist möglich. Marie Bröckling hat sich den Entwurf für ein neues Polizeigesetz angeschaut und ist ausnahmsweise mal beim Lesen eines Polizeigesetzes positiv überrascht: Berlin macht es besser.

Was sonst noch passierte:

Auf Twitter erkläärt der Spiegel-Journalist Roman Höfner, wie er bei den Recherchen zu den Korruptionsvorwürfen gegen den CDU-Bundestagsabgeordneten Philipp Amthor vorgegangen ist. Ihm standen Fotos zur Verfügung und er hat über Objekte im Hintergrund die Standorte der Aufnahmen recherchieren können. Wer das nächste Mal vor einer Yacht ein Selfie macht, sollte jetzt wissen, dass ein Bild der Yacht ausreicht, mehr über sie rauszufinden und auch, wo sie in der Vergangenheit war.

Apropos Philipp Amthor: Lobbycontrol fast die Vorwürfe gegen ihn nochmal zusammen und bietet einen Überblick, was der Gesetzgeber jetzt ändern müsste, um für mehr Transparenz und weniger Korruption zu sorgen: Amthor-Affäre: Noch ist nichts geklärt.

In seiner Kolumne widmet sich auch Sascha Lobo diesmal der Affäre um Philipp Amthor. Neben den breit diskutierten Aspekten von möglicher Korruption und Lobbyismus schaut sich Lobo das Unternehmen an, um das es bei AmthorGate geht: Augustus Intelligence. „Gleich zwei ehemalige Geheimdienstchefs als Fürsprecher, flankiert von einem ehemaligen Verteidigungsminister – hier soll offensichtlich ein deutsches Palantir entstehen“, schreibt Lobo. Wozu das führen könne, illustriert Lobo in plastischen Worten.
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Vor einigen Wochen hat Facebook Giphy gekauft, einen Sharing-Dienst für GIFs. GIFs sind aus der Netzkommunikation kaum noch wegzudenken und helfen vielen, ein zusätzliches visuelles Element zur meist Text-basierten Kommunikation hinzuzufügen. Dabei ist das auch eine kulturelle Generationenfrage, bzw. Menschen, die früh im textbasierten Netz sozialisiert wurden, tun sich heute auch noch schwer, GIFs in die eigene Kommunikation zu übernehmen. Anderen wiederum fällt die Textbasierte Kommunikation schwerer. Auch wenn ich sie selten nutze, finde ich GIF-Kultur faszinierend. Und drum herum gibt es zahlreiche netzpolitische Fragestellungen, von Urheberrechtsfragen bis hin zu Facebooks Ökosystem und den Folgen für ein offenes Netz. Bei iRights.info fasst Georg Fischer viele dieser Fragen gut zusammen: Facebook und GIPHY: Bilder, die Millionen bewegen

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In Halle darf ein Rechtsextremist gegen Kritiker:innen hetzen und wird von der Justiz kaum belangt. Da ist selbst der Verfassungsschutz empört. MDR exakt berichtet über die Hintergründe: Pöbeln und hetzen ohne Strafe – Warum Anzeigen gegen den Rechtsextremisten Sven Liebich eingestellt werden.

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Das Magazin New Yorker geh der Frage nach, welchen Einfluss Coronakrise auf zukünftige Architektur haben könnte: How the Coronavirus Will Reshape Architecture.

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Der Spiegel hat Kayvan Soufi-Siavash hinterher recherchiert, der als Ken Jebsen ein erfolgreiches Geschäftsmodell als Verschwörungsideologe aufgebaut hat. Dazu hat man verschiedene Weggefährten gefunden, die erzählen, wie die Anfänge von dem waren, was ich seit zehn Jahren im Netz beobachte. Der Artikel ist leider hinter der Spiegel-Paywall: Wie aus Kayvan Soufi-Siavash der Verschwörungsideologe Ken Jebsen wurde. Hier ein kleiner Auszug über die Zielgruppe von Kenfm, die ich zutreffend finde:

Doch wer sind die Menschen, die ihm diese Klickzahlen und Abrufe bescheren? Das Publikum von Soufi-Siavash reicht von Antimilitaristen, Globalisierungskritikern, Verschwörungsideologen, Esoterikern über Anthroposophen bis in die bürgerliche Mitte hinein. Organisierte Rechtsextremisten oder radikale Linke hören und sehen ihn offenbar kaum – es sind die Ungebundenen und Unsicheren, die KenFM mit seinem Programm abholt. Ihr Motto: Wir hier unten gegen die da oben – Gut gegen Böse.

In heutigen Zeiten ist sowas leider eine Lizenz zum Geldschaufeln.

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Welche Fähigkeiten braucht man, um sich in der digitalen Welt zurechtzufinden, um Fakten und Fake auseinanderhalten zu können? Im Informationsüberfluss kann es manchmal recht schwer sein, den Überblick zu behalten. Die Stiftung Neue Verantwortung versucht, die Skills zu kategorisieren, die für Nachrichtenkompetenz notwendig sind. Digitale Navigatorin, Fact-Checker und Kommunikationswissenschaftlerin gleichzeitig müssten wir demnach sein. Wie realistisch das ist? Das will der Think Tank in einer Folgeuntersuchung über den aktuellen Stand der Nachrichten- und Informationskompetenz untersuchen. Wir sind gespannt.

Video des Tages: Conny Plank

Ohne Conny Plank wäre Musikgeschichte anders verlaufen und viele meiner Lieblingsmusik wäre so nie entstanden oder inspiriert worden. Es gibt zwar kommerziell erfolgreichere Produzenten aus Deutschland, aber aus kultureller Sicht fällt mir niemand mit mehr Einfluss ein. In der ARD-Mediathek gibt es jetzt die Dokumentation „Conny Plank – Mein Vater, der Klangvisionär“ über sein Leben und Werk zu sehen.

Viele Grüße und bleibt gesund,
Markus Beckedahl

Ich freue mich immer über Feedback und gute Hinweise. Meine Mailadresse ist markus@np. Ich bin zwar häufig von zu vielen eMails überfordert und bekomme nicht alle beantwortet. Aber ich lese alle Mails.

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