[bits] Der Staatstrojaner aus der Datenleitung

Hallo,

die Bundesregierung möchte mit der Reform des Verfassungsschutzgesetzes nicht nur Staatstrojaner für alle Geheimdienste legalisieren. Sie möchte auch alle, die „geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste erbringen oder an der Erbringung solcher Dienste mitwirken“ verpflichten, die Geheimdienste beim Installieren von Staatstrojanern zu unterstützen. Das können neben Providern auch Anbieter von Diensten wie E-Mail, Messenger oder Apps sein.

Konkret möchte man in den Datenverkehr eingreifen und zum Beispiel Updates oder andere Softwareinstallationen manipulieren, um darüber Staatstrojaner auf Systeme einspielen zu können.

Das ist genau das, vor dem wir als Horror-Szenario seit Jahren warnen. Einen größeren Bärendienst für eine dringend notwendige Stärkung des Vertrauens in digitale Infrastrukturen kann man kaum leisten.

Das wird zu noch mehr IT-Unsicherheiten führen. Einerseits, indem für die Munitionierung der Staatstrojaner das Wissen um Sicherheitslücken gebraucht wird, die dann bei uns allen offen bleiben und nicht verschlossen werden. Und dann sinkt zusätzlich das Vertrauen in der Bevölkerung in die Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme. Das ist immerhin das jüngste vom Bundesverfassungsgericht formulierte Grundrecht und es wird leider nicht von unserer Bundesregierung mit Leben gefüllt.

Die Bundesregierung will den Gesetzentwurf in der nächsten Kabinettssitzung in der kommenden Woche beschließen. Andre Meister hat die Details: Provider sollen Internetverkehr umleiten, damit Geheimdienste hacken können

Zu Risiken und Nebenwirkungen können gerne CDU, CSU und SPD befragt werden. Die wollen das zusammen abstimmen.

Erst Anfang der Woche haben Medien- und Journalist:innenverbände in einer gemeinsamen Stellungnahme zum Verfassungsschutzgesetz vor den Gefahren von Staatstrojanern und anderen Überwachungsmaßnahmen für die Pressefreiheit gewarnt: „Der Gesetzgeber schreibt damit eine unrühmliche Geschichte fort, die Freiräume für Journalistinnen und Journalisten im digitalen Zeitalter immer mehr begrenzt.“

Neues auf netzpolitik.org:

Registermodernisierung klingt erst einmal sperrig, bürokratisch und langweilig. Aber dahinter versteckt sich eine brisante Idee: Aus der Steuer-Identifikationsnummer soll eine eindeutig zuzuordnende ID für Bürger:innen werden – die eine Zusammenführung von Daten technisch ermöglichen würde. Markus Reuter hat die Hintergründe für uns aufgeschrieben: Eine Nummer, sie alle zu finden

Einmal eingeführte Überwachungsinstrumente werden später ausgeweitet. Ein Paradebeispiel dafür ist die einheitliche Steuer-Identifikationsnummer, die jetzt als Personenkennziffer zum Datenabgleich der Bürger:innen genutzt werden soll. Alternative und datenschutzfreundlichere Modelle hat die Bundesregierung bislang verworfen, obwohl ihr Vorschlag verfassungswidrig sein dürfte.

Wenn im Gesetz steht, die Adresse muss herausgegeben werden, dann bezieht sich das nur auf die Postadresse – und nicht etwa auf E-Mail- oder IP-Adressen. Das hat jetzt der Europäische Gerichtshof klargestellt. Wie es zu diesem Urteil kam und was das bedeutet, hat sich Julia Barthel angeschaut: Die Adresse ist da, wo die Post ankommt

YouTube muss nicht mehr als die Postanschrift von User:innen herausgeben, wenn diese urheberrechtlich geschütztes Material hochgeladen haben. Denn im Gesetz steht ausdrücklich nur Adresse – und nicht IP-Adresse, E-Mail-Adresse oder Handynummer, hat der Europäische Gerichtshof klargestellt.

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Leonhard Dobusch sitzt als „Vertreter des Internets“ im ZDF-Fernsehrat und wurde gerade für weitere vier Jahre wiedergewählt. Er setzt sich dort für mehr Transparenz ein und hat Anträge für einen Live-Stream der Sitzung und eine Veröffentlichung der Unterlagen gestellt. Im Rahmen seiner Kolumne „Neues aus dem Fernsehrat“ macht er konkrete „Vorschläge für mehr Transparenz in der Geschäftsordnung„.

Obwohl das Fernsehratsplenum per Gesetz öffentlich tagt und es dem ZDF nicht an Videokameras mangelt, gibt es bislang keinen Livestream von Fernsehratssitzungen. Vorlagen zu öffentlichen Sitzungen bleiben größtenteils ebenfalls unter Verschluss. Jetzt wird eine Änderung dieser Bestimmungen diskutiert.

Was sonst noch passierte:

Die Corona-Warn-App hat mittlerweile 15 Millionen Downloads. Unklar ist dabei aber, ob es auch 15 Millionen Nutzer:innen sind. Wahrscheinlich sind es weniger. Das liegt auch an diversen Fehlermeldungen, die immer wieder auftreten. Und die dann dazu führen, dass Menschen probieren, diese durch eine Neuinstallation zu beheben. Eine Fehlerquelle soll dabei auf Seiten von Apple liegen, die für ihr kommendes iOS-Update eine Lösung versprochen haben.

Bis dahin muss man damit leben, dass die App zuweilen wirre Fehlercodes ausliefert oder erklärt, dass man die Region gewechselt habe und nichts mehr gezählt wurde, während man eigentlich nur vom Sofa in die Küche gelaufen ist, wie es mir vorgestern passierte. Dominik Rzepka schreibt darüber bei zdfheute: Die vielen Fehlermeldungen der Corona-App.

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In Seattle haben Aktivist:innen der „Tax Amazon“-Bewegung es trotz Pandemie, Lockdown und vor allem unermüdlicher Lobby-Bemühungen des milliardenschweren Konzerns geschafft durchzusetzen, dass Amazon dort mehr Steuern zahlen muss. Stadträtin Kshama Sawant bezeichnet das als einen „historischen Sieg für die Arbeiter:innen“. Mit den Einnahmen will die Stadt die finanziellen Löcher stopfen, die durch die Corona-Krise entstanden sind.

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Nach 40 Jahren gilt jetzt endlich offiziell das Oktoberfestattentat als rechtsextremer Terror. Das hat lange gedauert für den größten Anschlag in der Geschichte der Bundesrepublik. Vieles ist immer noch unklar und wird wahrscheinlich nie richtig aufgeklärt, weil man viel zu lange auf dem rechten Auge blind war. Aber zumindest gibt es Hoffnung, dass mittlerweile mehr Aufmerksamkeit auf diesen Bedrohungen liegt, wie Annette Ramelsberger in der Süddeutschen Zeitung kommentiert.

Dem Journalisten Ulrich Chaussy reicht das wiederum nicht, er fordert in der Taz einen Untersuchungsausschuss: „Wer hat da vertuscht und warum?“

Das Justizministerium erwägt jetzt zumindest eine Entschädigung für die noch rund 100 lebenden Opfer des Anschlags.

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Passend zum Thema: Janine Wissler, Fraktionschefin der Linken im Hessischen Landtag, hat neue „NSU 2.0“-Drohschreiben erhalten. Die Spur führt zu einem Dienstcomputer der Polizei in Hessen, wie die Frankfurter Rundschau recherchiert hat. Die Spur führt erneut zur Polizei.

Es konnte übrigens der Account eines Polizisten ermittelt werden, der die Anfragen gestellt hat. Der hat das aber bestritten und ausgesagt, dass möglicherweise Kolleg:innen seinen Account genutzt haben. Der Polizist wird jetzt als Zeuge geführt, wie der Spiegel berichtet. Das nennt man dann lückenlose Aufklärung, oder so.

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Die Potsdamer Neueste Nachrichten haben zwei Klimaaktivist:innen als Beispiel für eine politisierte junge Generation portraitiert: Wir sind die neuen Radikalen

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Konservative Nachrichtenseiten in den USA haben „Expert:innen“ aus dem Nahen Osten zitiert, die es gar nicht gibt. Damit sind sie reihenweise auf Fake-Profile hereingefallen: Mindestens 19 falsche Expert:innen sollen im vergangenen Jahr mehr als 90 Meinungsstücke in 46 Publikationen untergebracht haben. Ihre Biografien waren frei erfunden, Porträts gestohlen oder mit künstlicher Intelligenz generiert. Und letztere Porträts haben sie mit einem Zahnarzt aufdecken können, der die die die KI-generierten Zahnkonstellationen auf den Bildern für unmöglich hielt.

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Amnesty International berichtet von neuen Beweisen, dass in Myanmar Zivilist:innen und Kinder durch wahllose militärische Luftangriffe getötet wurden. Doch nicht nur der bewaffnete Konflikt verschärft sich – die Menschen dort bekommen auch praktisch keine Informationen zum Covid-19-Virus, weil die Behörden vor einem Jahr das Internet abgeschaltet haben. Amnesty International schreibt, dass sich nur etwa fünf Prozent der Menschen der Gefahr durch das Virus bewusst sind.

Video des Tages: Verschwörungen gegen den Strom

„Gegen den Strom“ in der Arte-Mediathek beschreibt das Doppelleben und den Kampf einer Umweltaktivistin in Island gegen Energiekonzerne. Dazu gibt es viele schöne Naturszenen aus Island, für alle, die gerade dort keinen Urlaub machen können.
https://www.arte.tv/de/videos/093603-000-A/gegen-den-strom/

ZDF Zoom beleuchtet in einer halbstündigen Dokumentation die Verschwörerszene in Deutschland, die vor allem in der Zeit der Ausgangsbeschränkungen massiven Zuwachs und verstärkte Aufmerksamkeit erhalten haben: Die Macht der Corona-Mythen.

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Viele Grüße und bleibt gesund,
Markus Beckedahl

Ich freue mich immer über Feedback und gute Hinweise. Meine Mailadresse ist markus@netzpolitik.org. Ich bin zwar häufig von zu vielen eMails überfordert und bekomme nicht alle beantwortet. Aber ich lese alle Mails.

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