[bits] Die Corona-Warn-App hat ein Kommunikationsproblem

Hallo,

die Corona-Zahlen steigen deutschlandweit. Und damit zeigen sich auch wieder die Herausforderungen bei der Nachvollziehbarkeit von Kontaktverfolgungen. In meinem Bekanntenkreis in Berlin gibt es einen Fall, in dem eine Bar betroffen ist. Barpersonal und Besucher:innen hatten sich bei einem Gast angesteckt, Dutzende Menschen sind bereits in Quarantäne. Das Gesundheitsamt sucht jetzt über eine Pressemitteilung zahlreiche Gäste, die noch nicht identifiziert worden sind, auch weil sie Fake-Daten beim Besuch hinterlassen haben.

Die dafür geltenden Regeln sind auch eine Herausforderung. Es macht in einer Pandemie schon Sinn, von allen Gästen Daten zu haben, um sie in einem solchen Fall direkt erreichen zu können. Andererseits gibt es das Problem, dass diese Daten auf Zetteln an der Bar gesammelt werden, diese nicht ausreichend gesichert sind und theoretisch von allen anderen Gästen auch gesehen werden können – und es zudem auch Begehrlichkeiten bei Polizeibehörden gibt, über die wir berichtet hatten. Man möchte also ungern diese Daten hinterlassen, weil es bisher keine datenschutzrechtlich einwandfreie Lösung gibt, mit der alle Beteiligten ein gutes Gefühl haben.

Aber eigentlich ist für diese Fälle die Corona-Warn-App gedacht. Sie erfüllt alle Kriterien, die Expert:innen an sie gestellt haben: Dezentralität, Anonymität und Open Source. Aber immer wieder gibt es Probleme mit der Usability, also der Nutzer:innenfreundlichkeit. Und das führt zu weniger Vertrauen. Und immer noch ist unklar, wie viele Nutzer:innen hinter den 16 Millionen Downloads tatsächlich stecken. Denn aufgrund von technischen Mängeln gab es häufig auch mehrere Installationen durch eine Person, die aber immer auf die Downloads aufgerechnet wurden. Damit digitale Kontaktverfolgung gut funktioniert, braucht das System viele Nutzer:innen. Die Downloadzahlen stagnieren aber seit einiger Zeit, das Virus hingegen leider nicht.

Gleichzeitig ist die Nutzer:innenfreundlichkeit noch verbesserungswürdig, damit das Vertrauen tatsächlich steigt. Informationen sind irgendwo versteckt und ich kenne Fälle, in denen digitalkompetente Menschen nicht verstanden haben, dass irgendwo in der App Telefonnummern für die Hotlines der Deutschen Telekom zu finden sind, die wir übrigens mit viel Geld von unseren Steuergeldern finanzieren. Stattdessen telefonieren sich die Menschen durch überlastete Gesundheitsämter, weil sie Warnungen in der App nicht verstanden haben. Das muss sich dringend verbessern, damit die Akzeptanz steigt.

Und dann macht auch die unausgereifte Technik noch Probleme, die nicht unbedingt auf Seiten der Entwickler:innen zu beheben sind. SAP und Deutsche Telekom bitten jetzt Nutzer:innen der Corona-Warn-App, diese mindestens einmal am Tag zu öffnen, um sicherzugehen, dass sie sich auch aktualisiert. Aber wichtig sei dabei zu beachten: Man soll das alle 24 Stunden plus eine Minute machen. Hintergrund ist, dass in diversen Konstellationen auf Betriebssystem-Ebene sonst möglicherweise der Austausch der Schlüssel und damit die Hauptfunktion der App nicht richtig funktioniert.

Das erfährt man aber auch nur aus den Medien, ebenso dass neue Updates verfügbar sind, die man sich installieren sollte. Warum nicht über die App? Denn vor allem die Kommunikation ist derzeit das größte Problem. Ich bin da voll und ganz bei unserem Bundesdatenschutzbeauftragten Ulrich Kelber, der heute wieder die Hersteller aufforderte, hie nachzubessern: „Ich fordere die Telekom und SAP auf, zukünftig eine schnellere und transparentere Kommunikation, insbesondere bei eventuellen Datenschutzproblemen, sicherzustellen um das hohe Vertrauen in die Corona-Warn-App nicht zu gefährden.“

Neues auf netzpolitik.org:

In den USA gibt es Probleme mit der Pressefreiheit bei Demonstrationen, wie Markus Reuter berichtet: US-Gericht zwingt Presse zur Herausgabe von Bildaufnahmen.

In Seattle könnte gerade ein gefährlicher Präzedenzfall geschaffen werden, der die Pressefreiheit einschränkt und die Berichterstattung bei Protesten erschweren könnte.

Charlotte Pekel fasst die skurrile Klage von Facebook gegen Ermittlungen der EU-Wettbewerbsaufsicht zusammen, auf die ich gestern schon verlinkt hatte: Facebook verklagt EU-Kommission wegen umfangreicher Datenabfrage.

Das soziale Netzwerk wehrt sich gegen eine breit angelegte Abfrage interner Daten durch die EU-Wettbewerbsaufsicht. Diese ermittelt seit mehr als einem Jahr gegen Facebook. Der Verdacht: Der US-Konzern missbraucht seine Marktmacht, auch indem er riesige Mengen Daten sammelt und zu Werbezwecken weitergibt.

Was sonst noch passierte:

Heute ab 18 Uhr gibt es vor dem US-Kongress eine Anhörung mit den Chefs der großen US-Digitalkonzerne. Die letzten ähnlichen Anhörungen waren vor allem dann interessant, wenn ältere US-Abgeordnete ihre Fragen voller Unkenntnis stellten und man teilweise Mitleid mit Zuckerberg und Co haben musste, die in heutigen Zeiten noch Grundkenntnisse des Netzes vermitteln mussten. Wir schauen uns die Anhörung an, aber wissen nicht, ob sich eine Berichterstattung lohnen wird. Ich drück aber die Daumen, dass niemand einschläft.

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Zu dem Thema fiel mir aber noch eine mehrteilige Videoserie ein, wo die Tech-Journalistin Kashmir Hill im vergangenen Jahr versuchte, eine Netzleben ohne die großen Konzerne zu führen. Und dabei mit großem Aufwand scheiterte, weil fast überall Facebook, Google, Amazon und Co drin oder dahinter stecken. Und sei es nur, dass andere Webseiten deren Clouddienste als Infrastruktur nutzen: I Cut the ‚Big Five‘ Tech Giants From My Life. It Was Hell.

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Die Juristin Lea Beckmann von der Gesellschaft für Freiheitsrechte warnt im Interview mit dem Deutschlandfunk vor der Aufhebung der Anonymität durch automatisierte Gesichtserkennung durch Unternehmen wie Pimeyes, dessen rechtswidrige Methoden unsere Recherchen aufgedeckt haben.

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Die Taz hat einen Informanten gefunden, der bereits vor Jahren versucht hat, dem mecklemburgischen Verfassungsschutz Informationen über das militante Prepper-Netzwerk Uniter zu geben. Es gab zwar Kontakte, aber passiert ist nichts: Der unerwünschte Informant.

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Der Wirecard-Betrug war offenbar schon viel früher bekannt. Bereits 2008 soll ein damaliger Manager den Vorstand über frisierte Bilanzen hingewiesen haben.

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Lobbycontrol nutzt den Wirecard-Skandal um an dem Beispiel aufzuzeigen, dass wir bessere Transparenzmechanismen brauchen: Eng verdrahtet: Wirecards Lobbygeflecht.

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Apropos Lobbyisten. In einem kuriosen Interview mit der Deutschen Welle erklärt der deutsche Huawei-Lobbyist seine Sicht auf die Welt, die etwas einem Paralleluniversum gleicht.

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Eine weitere schöne Animation zeigt, wie unterschiedliche Mund-Nasen-Bedeckungen die Verbreitung von Tröpfchen beeinflussen.

Video des Tages: Kate Bush

Kate Bush hab ich erst spät entdeckt. Ich kannte sie zwar in meiner Jugend von ihren Musikvideos, konnte aber damals mit der Musik wenig anfangen. Das hat sich später geändert und seitdem bin ich Fan ihrer Musik und ihrem kreativen Lebenswerk. Über das geht es auch in der Arte-Dokumentation „Kate Bush – Stimmgewaltig und exzentrisch„.

Das Letzte:

Am Wochenende wollen Verschwörungsideologen 500.000 Menschen in Berlin auf die Straße bringen. Das sorgt bereits im Vorfeld für verwirrte Diskussionen unter Beteiligten, denn einige wundern sich, dass es noch ausreichend freie Hotelzimmer in Berlin gibt. Wer da wohl dahintersteckt?

Wer sich jetzt denkt: Geil, da gehe ich mit gegen das Coronavirus und alles drumherum demonstrieren, damit das endlich aufhört! Bei den Belltower News gibt es eine Analyse der üblichen Verdächtigen, die zu der Demonstration aufrufen. Das sind nicht die netten Bürgerrechtler:innen, als die sie sich gerne inszenieren.

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Das war es für heute. Viele Grüße und bleibt gesund,
Markus Beckedahl

Ich freue mich immer über Feedback und gute Hinweise. Meine Mailadresse ist markus@netzpolitik.org. Ich bin zwar häufig von zu vielen eMails überfordert und bekomme nicht alle beantwortet. Aber ich lese alle Mails.

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