[bits] Die freundliche App aus China

Hallo,

die Plattform TikTok ist die am stärksten wachsende App in der Geschichte des Netzes. Vor allem junge Menschen mögen die Plattform, die aus netzkultureller Sicht interessant ist, weil sie neue Ausdrucksformen hervorgebracht hat. Hinter TikTok steckt das chinesische Unternehmen ByteDance.

In der geopolitischen Auseinandersetzung zwischen den USA und China gerät TikTok im Westen jetzt in ähnliche Fahrwasser wie bereits Huawei. Trump und Co geißeln die Plattform als Staatstrojaner, weil chinesische Unternehmen verpflichtet seien, Nutzer:innendaten auf Druck der Regierung rauszugeben.

Aus europäischer Sicht ist das putzig, aber eigentlich möchte man lieber heulen. Denn auch US-Unternehmen sind durch Geheimgerichte (FISA-Courts) gezwungen, den US-Sicherheitsbehörden direkten Zugriff auf ihre Datenbanken zu geben. Schutzmechanismen gibt es dafür (zumindest auf dem Papier) nur für US-Bürger:innen. Wir Europäier:innen gehen dabei leider leer aus, wie auch zuletzt der Europäische Gerichtshof wiederholt in seinem Urteil zum Privacy Shield feststellte.

Für uns Europäer:innen stellt sich im Wettkampf der Plattformen also die Wahl zwischen Pest (Google, Facebook und Co) oder Cholera (TikTok).

Wir haben TikTok schon länger auf dem Schirm. Im Herbst vergangenen Jahres waren wir global das erste Medium, das detailliert Einblicke in die Content-Moderation des chinesischen Unternehmen bekam. Und in mehreren Recherchen rausfanden, wie die Inhalte im Hintergrund intransparent gesteuert werden – und wie z.B. Menschen mit Behinderungen diskriminiert werden, weil sie nicht der gewünschten bunten Welt von TikTok entsprechen.

Aber wie steht es um den Datenschutz eines chinesischen Unternehmens mit einer global agierenden marktdominanten Plattform auf dem europäischen Markt mit seiner Datenschutzgrundverordnung?

Meine Kolleg:innen Chris Köver und Markus Reuter haben das zusammen recherchiert. Und das Ergebnis bestätigt unser Bauchgefühl: Nutzer:innendaten können über Partner-Unternehmen nach China fließen. Die Daten von TikTok-Nutzer:innen sind genauso gut geschützt wie die auf Facebook und Co. Was aus unserer europäischen Perspektive heißt: Wir haben leider Pech gehabt und man muss damit rechnen, dass chinesische Sicherheitsbehörden Zugriff auf die Daten der Nutzer:innen erhalten (können).

Wenn Trump also Stimmung gegen TikTok macht, dann dient das der Stärkung der US-Plattformen im globalen Wettbewerb. Es ist nur sehr bigott, mit welchen Argumenten das gemacht wird.

Weitere Hintergründe bietet auch der Economist: TikTok’s Chinese parent is scrambling to hang on to its hit app.

Neues auf netzpolitik.org:

Ein Bericht der Europäischen Kommission zeigt „Mängel bei der Umsetzung der Richtlinie über die Verwendung von Fluggastdaten„, wie Matthias Monroy berichtet:

Nur zwei EU-Mitgliedstaaten haben die EU-PNR-Richtlinie noch nicht umgesetzt, fast alle nutzen sie auch für Flüge innerhalb der Europäischen Union. Probleme gibt es beim Datenschutz und bei der Datenqualität. Trotz Klagen vorm Europäischen Gerichtshof arbeitet die EU-Kommission an der Ausweitung.

Über die aktuellen Pläne der Europäischen Kommission zum Knacken von Verschlüsselungen berichtet Matthias Monroy: Neuer Angriff auf Ende-zu-Ende-Verschlüsselung.

Die „Entschlüsselungsplattform“ bei Europol will bald auf Supercomputer umsteigen. Eine Arbeitsgruppe sucht Möglichkeiten gegen Ende-zu-Ende-Verschlüsselung. Bis Ende des Jahres will die Kommission eine Studie vorlegen, wie Internetanbieter diese sicheren Verbindungen aushebeln und kriminelle Inhalte melden können.

Erich Moechel hat weitere Details bei FM4: EU-Regulation gegen sichere Verschlüsselung angekündigt.

Charlotte Pekel berichtet über ein aktuelles Urteil am Bundesgerichtshof zum Recht auf Vergessen: BGH macht Recht auf Vergessenwerden abhängig vom Einzelfall.

Das „Recht auf Vergessenwerden“ im Zusammenhang mit der Auslistung von Suchergebnissen bei Google und Co. müsse von Fall zu Fall entschieden werden, urteilt der BGH. Die Richter:innen wiesen die Klage eines Mannes aus Hessen ab, für ein zweites Verfahren ziehen sie den Europäischen Gerichtshof zu Rate.

Was sonst noch passierte:

Neues Zahlenmaterial für Politik-Nerds bietet der neue Niedermayer-Report über „Parteimitglieder in Deutschland: Version 2020„. Von den etablierten Parteien legen nur Bündnis 90/Die Grünen zu. Der Rest verliert. Freuen sollte das niemanden.

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Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) war in einer gemeinsamen Whatsapp-Gruppe mit den Gründern des umstrittenen US-Start-Up-Unternehmen Augustus Intelligence aktiv. Durch das Unternehmen wurde zuletzt Philipp Amthor bundesweit bekannter und verlor kurzfristig seine Kandidatur zum CDU-Landesvorsitzenden in Mecklenburg-Vorpommern – und viele Aktienoptionen. Das Verhalten von Scheuer, über das das Handelsblatt berichtete, wirft zahlreiche Fragen auf, nicht nur weil der Bundesdatenschutzbeauftragte der Meinung ist, dass die Verwaltungen und Bundesregierung aus Datenschutzgründen kein Whatsapp nutzen dürfe. Sondern auch, weil es keine nachvollziehbaren Akten der Whatsapp-Chats gibt und so eine parlamentarische Kontrolle der Arbeit des Ministers behindert wird. Und überhaupt: In welchen Whatsapp-Gruppen mit welchen Lobbyisten ist Scheuer denn noch aktiv?

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Das Tagesspiegel Lab und wenigermiete.de haben gemeinsam 5000 Mietverhältnisse von Menschen untersucht, die sich an das Legal-Tech-Unternehmen wenden, um möglicherweise ihre Miete durch automatisierte Anfragen senken zu können. Aus den Daten kann man aber gut ausfinden, welche Unternehmen den Mietspiegel nicht respektieren und welche Tricks angewendet werden, um höhere Mieten zu verlangen, als es eigentlich zulässig sein sollte: Diese zehn Vermieter treiben den Mietspiegel besonders in die Höhe.

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Der Waldspaziergang ist ein bei Nazis gerne gewähltes lyrisches Genre zur Inszenierung und Selbstdarstellung. Kein Problem, dachte sich offensichtlich der Spiegel, als er mit dem Verschwörungsfaschisten Attila Hildmann durch den Wald lief, um ihn dabei zu begleiten, wie er armen Käfern wieder auf die Beine hilft. Stefan Niggemeier kommentiert bei Uebermedien den mit Anlauf gescheiterten Versuch eines Nazi-Portraits: „Spiegel“ sieht Hildmann vor lauter Bäumen nicht.

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Ein Running-Gag auf Youtube ist, dass egal, wo man einsteigt, nach ein paar „Ähnliche Videos“ weiter irgendwas Verschwörungsideologisches auftaucht. Youtube hat sich bei diesem Thema auch aufgrund des öffentlichen Drucks verbessert. Aber die Plattform dürfte immer noch Radikalisierungsplattform Nummer 1 im Netz sein und je nachdem, womit man einsteigt, kommt man immer noch schnell in ein Kaninchenloch. Die Plattform Theirtube zeigt anschaulich, welche Videos welche Gruppen angezeigt bekommen, wenn das automatisierte Empfehlungssystem im Hintergrund denkt, dass man zu einer bestimmten Gruppe gehört. Enno Park fasst die Plattform auf t3n zusammen: Diese Website zeigt, wie sich Verschwörungsmythen auf Youtube verbreiten.

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Der Präsident des Umweltbundesamts, Dirk Messner, fordert im Tagesspiegel ein Recht auf Reparatur. Die Politik müsse Standards festlegen, damit wir langlebigere Elektrogeräte bekommen.

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Der ehemalige SPD-Politiker Hans-Joachim Vogel ist am Wochenende verstorben. Der Hintergrund im Deutschlandfunk lässt sein politisches Leben Revue passieren. Und die ARD hatte eine kurze Sondersendung: Ein Leben für die Politik.

Videos des Tages: Simon & Garfunkel in Amsterdam

Die Dokumentation „Traumwandler des Pop“ erzählt die Geschichte hinter „Bridge Over Troubled Water„, das letzte Album von Simon & Garfunkel. Mir war nicht bewusst, wie politisch seinerzeit Simon & Garfunkel in den USA waren. Und gleichzeitig hab ich gelernt, wie einige grandiose Lieder auf dem Album, wie „The Boxer„, zustande kamen und wie die Klänge erzeugt wurden. Direkt im Anschluss hab ich mir das berühmte „Central Park“-Konzert der Beiden von 1981 angeschaut, um enttäuscht festzustellen, dass sie die beste Stelle in „The Boxer“ mit irgendwelchen Keyboard-Effekten verhunzt haben.

Spannende vierteilige Doku-Mini-Serie bei ARTE über die Entwicklung der Handelsmetropolen Amsterdam, London und New York in Konkurrenz zueinander über die vergangenen vierhundert Jahre: Amsterdam, London, New York: Welt-Städte. Viel Geschichte und Stadtentwicklung anschaulich erklärt.

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Das war es für heute. Viele Grüße und bleibt gesund,
Markus Beckedahl

Ich freue mich immer über Feedback und gute Hinweise. Meine Mailadresse ist markus@netzpolitik.org. Ich bin zwar häufig von zu vielen eMails überfordert und bekomme nicht alle beantwortet. Aber ich lese alle Mails.

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