Hallo,
bis in die Nacht (mitteleuropäischer Zeit) ging gestern die Anhörung von Jeff Bezos (Amazon), Tim Cook (Apple), Sundar Pichai (Google), Mark Zuckerberg (Facebook) vor dem US-Repräsentantenhaus.
Ich hab leider nur wenige Teile mitbekommen, auch weil die Veranstaltung verspätet begann. Die Chefs der Tech-Riesen waren per Videokonferenz-System zugeschaltet, sie wurden aber Remote vereidigt. Dieses Foto zeigt, wie surreal das wirkte.
In Deutschland scheint eine solche Anhörung leider unmöglich. Das hat verschiedene Ursachen. Die Chefs der US-Tech-Konzerne fühlen sich nicht zuständig, verschiedene Einladungen aus dem Bundestag wurden nie angenommen. Wenn Mark Zuckerberg nach Berlin kommt, gibt es Hintergrundgespräche und öffentliche PR-Termine, die so gesteuert sind, dass keine Fragen gestellt werden können, die ihn schlecht aussehen lassen könnten.
Stattdessen kommen dann immer ihre nationalen oder europäischen Lobbyisten, die genau soviel erzählen können und dürfen, wie sie aus der Firmenzentrale per Briefing erlaubt bekommen. Das ist dann in der Regel das, was auch per Pressemitteilung rausgegeben wird.
Und dann haben wir im Deutschen Bundestag leider noch die veraltete Grundeinstellung, dass alle Ausschüsse nicht-öffentlich sind. Ein Ausschuss kann das mit der eigenen Mehrheit ändern. Das kommt aber in den seltensten Fällen vor. Lobbyisten wissen das auch zu nutzen und verhandeln dann gerne rein, dass sie nur kommen, wenn es keine öffentliche Sitzung wird. Ihnen wird das dann gerne in der Hoffnung zugesagt, dass sie dann offener sprechen könnten. Nach meinen Erfahrungen und Informationen ist es aber nie passiert, dass in der Öffentlichkeit unbekannte Details angesprochen wurden.
Hat denn die gestrige Anhörung was gebracht? Tomas Rudl hat die Anhörung komplett verfolgt und einen launigen Kommentar geschrieben, wie die Republikaner die Sache zweckentfremdeten: Wenn Universen aufeinander prallen
Erstmals mussten alle Chefs der großen Silicon-Valley-Firmen den US-Abgeordneten Rede und Antwort stehen. Eigentlich sollte es um die Marktmacht der Konzerne gehen, doch die Republikaner spielten ein anderes Spiel.
Was übrigens fehlte, waren Transparenzeinblendungen bei den Fragen der Politiker:innen, wessen Wahlkampagnen von welchem angehörten Konzern oder CEO unterstützt werden.
Eine weitere Einschätzung zum Hintergrund der Anhörung gibt dieses Interview bei Deutschlandfunk Kultur mit dem Berliner Politikwissenschaftler Dominik Pietron: Marktmissbrauch durch Amazon, Facebook & Google -Plattformen unter Verdacht.
Neues auf netzpolitik.org:
Jana Ballweber berichtet über ein Serious Game zum Nationalsozialismus, das aber nicht gespielt werden kann: Google lässt kritisches Spiel in Deutschland nicht zu.
Das tschechische Spiel „Attentat 1942“ enthält verbotene Symbole der NS-Diktatur. Dennoch ist das ernsthafte von Historiker:innen entwickelte Spiel in Deutschland in der Desktop-Version seit 2018 erlaubt, weil es die Nazis in einen Kontext setzt. Google hat nun die mobile Version, die heute erscheinen sollte, für den deutschen Markt gesperrt – wegen des Nazi-Bezuges.
Markus Reuter freut sich über eine Studie, die sich mit Gesichtserkennung und dem Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes beschäftigt: Masken schützen nicht nur vor Corona, sondern auch gegen Überwachung
Eine Studie des US National Institute of Standards and Technology weist nach, dass das Tragen einer Gesichtsmaske bei allen 89 untersuchten Gesichtserkennungsalgorithmen zu teils hohen Fehlerraten führt. Besonders gut schützen schwarze Masken, die weit über die Nase gehen.
Was sonst noch passierte:
Wir haben uns bei netzpolitik.org vor langer Zeit dazu entschlossen, auf das Tracking unserer Leser:innen zu verzichten, auch wenn uns das Nachteile bringt. Natürlich wäre es schöner, mehr zu wissen, wer was liest um daraus zu schließen, warum was gelesen wird. Aber wir achten lieber die Privatsphäre unserer Leser:innen und vor allem haben wir das Privileg, auf das Geschäftsmodell mit Werbung aufgrund unserer freiwilligen Leser:innenfinanzierung verzichten zu können.
In der Regel nutzen andere Medien eine Vielzahl an (Werbe-)Trackern und die meisten dürften mittlerweile auch den Überblick verloren haben, welche Unternehmen im Hintergrund welche Daten über die eigene Leserschaft sammeln, verarbeiten und weiterverkaufen. Aber es gilt das Prinzip: Auge zu und durch, weil das Geschäftsmodell der Werbefinanzierung irgendwie halbwegs funktioniert.
Die New York Times zeigt mal wieder, dass sie von den großen Medien eine Vorreiterfunktion einnimmt: Die Zeitung zeigt sich jetzt kritisch gegenüber dem bisherigen Tracking und der dazugehörigen Intransparenz auf ihrer Seite. Die Datenschutzbestimmungen sind jetzt in einfacher Sprache geschrieben, damit auch Nicht-Juristen sie verstehen können. Tracker von Drittanbietern wurden von den Artikelseiten entfernt und das sogenannte Programmatic Advertising gestrichen, das im Hintergrund zu einer Art Lotterie für Werbeanzeigen führt, dessen System niemand mehr versteht.
Über ihre Maßnahmen schreibt die New York Times: How The New York Times Thinks About Your Privacy. Online privacy is complex, but it doesn’t have to be.
Ich bin gespannt, wann größere Medien in Deutschland in diese Richtung gehen.
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Vergangene Woche habe ich über Recherchen von dem ARD-Politikmagazin „Panorama“ über den Leiter Social Media bei der Bundeswehr berichtet, der mit rechtsextremen Inhalten im Netz und außerhalb sympathisierte. Seitdem gibt es verschiedene erregte Debatten – aber nicht über den suspendierten Bundeswehr-Soldaten und die ihm vorgeworfenen Sachen, sondern von seiner rechten bis rechtsextremen Fan-Basis gegen die Panorama-Redaktion und gegen Natascha Strobl, die von Panorama als Expertin befragt wurde. Beim Deutschlandfunk gibt es dazu ein Interview mit ihr: Als Expertin im Fadenkreuz eines Springer-Kolumnisten.
Der erwähnte Springer-Kolumnist Rainer Meyer schreibt unter Pseudonym Don Alphonso und ist bekannt für seine Hasstiraden gegen Andersdenkende. Er wird seit vielen Jahren von seinen Arbeitgebern (früher FAZ und jetzt Welt) geschützt, weil er zuverlässig Klicks und Traffic und damit Leser (in der Regel sind es Männer) am rechten Rand abholt. Seine beliebte Methode ist das Markieren von Menschen, die eine andere Meinung vertreten, in seinem Kolumnen mit der immer gleichen Folge, dass danach sein Leser-Mob loszieht, Menschen bedroht und Karrieren vernichten möchte. Beim Volksverpetzer-Blog gibt es zu seinen aktuellen Hass-Triraden eine gute Einordnung: Pseudo-„Panoramagate: Lügen, Ablenkungen und rechtsextreme Gewaltdrohungen.
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Wie kann man Musik in Podcasts nutzen? Das ist leider komplizierter als gedacht, zumindest wenn man GEMA-lizenzierte Musik verwenden möchte. Bei iRights.info gibt Georg Fischer einen Überblick: Die GEMA-Lizenz und ihre Alternativen.
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Die Gesellschaft für Freiheitsrechte hat sich mit einer Stellungnahme in die Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht gegen das Gesetz zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen in Berlin (MietenWoG Bln) vom 11. Februar 2020 eingeschaltet. In dem Verfahren geht es um den sogenannten „Mietendeckel“ und die GFF kommt in ihrer juristischen Prüfung zu dem Ergebnis dass dieser Verfassungskonform ist.
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An der B96 in Sachsen demonstrieren seit Wochen jeden Sonntag Wutbürger:innen gegen Corona, für das Zeigen von Reichsflaggen und für rechtsextreme Inhalte. SpiegelTV hat darüber eine Kurzreportage gemacht.
Das Letzte:
Lustige Idee, gut umgesetzt: Was klänge es vielleicht, wenn Joy Division „Take on me“ von A-ha gemach hätten?
Die Verschwörungsideologen, die für Samstag 500.000 Menschen zur Großdemonstration gegen Corona nach Berlin mobilisieren wollten, haben mittlerweile ihre Erwartungen auf 10.000 Teilnehmende runtergeschraubt. Wahrscheinlich haben sie die Auflagen der Versammlungebehörde für Demo-Ordner:innen und dergleichen gesehen…
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Das war es für heute. Viele Grüße und bleibt gesund,
Markus Beckedahl
Ich freue mich immer über Feedback und gute Hinweise. Meine Mailadresse ist markus@netzpolitik.org. Ich bin zwar häufig von zu vielen eMails überfordert und bekomme nicht alle beantwortet. Aber ich lese alle Mails.
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