[bits] Eine mögliche Verfassungswidrigkeit ist als mindestens offen anzusehen

Hallo,

am Mittwoch soll das Registermodernisierungsgesetz ins Bundeskabinett gehen. Der Gesetzentwurf aus dem Bundesinnenministerium sieht die Weiterentwicklung der Steuer-ID zu einer einheitlichen Personenkennzahl und die Verknüpfung von mehr als 50 unterschiedlichen staatlichen Datenbanken und Registern vor. Als die Steuer-ID Ende der Nuller Jahre von der damaligen Großen Koalition eingeführt wurde, hieß es noch, diese Befürchtungen einer Weiterentwicklung seien „ein konstruierter Erregungszustand der Sommerpause“ (der damalige Finanzminister Peer Steinbrück) und die Union betonte, der Vorwurf, es entstünde ein gläserner Bürger, sei „durch nichts gedeckt“.

2020 ist das Schnee von gestern und selbstverständlich wird das so gemacht. Wir haben schon mehrfach auf die Bedenken und Befürchtungen von Bürgerrechtler:innen und Datenschützer:innen in unserer Berichterstattung und unseren Analysen hingewiesen.

Weitere Bedenken gibt es jetzt vom Wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestages. Dieser kommt in dem Gutachten „Einführung einer registerübergreifenden einheitlichen Identifikationsnummer nach dem Entwurf eines Registermodernisierungsgesetzes“ (PDF) zu dem Ergebnis, dass die Beurteilung einer möglichen Verfassungswidrigkeit durch die Einführung eine Personenkennzahl als „mindestens offen anzusehen“ ist.

Dabei gibt es datenschutzfreundliche Alternativen, wie es unser Nachbarland Österreich mit sogenannten „bereichsspezifische Personenkennziffern“ bereits praktiziert. Dieses Modell könnte die verfassungsmäßigen Bedenken mindestens lindern, wenn nicht gar ausräumen.

Aber unser Bundesinnenministerium hält diesen grundrechtsfreundlichen Weg für zu teuer und zu komplex, weil es zu lange dauern würde, dieses System einzuführen. In Anbetracht der Tatsache, das das Bundesinnenministerium in der Regel nicht schafft, überhaupt ein komplexes IT-Systeme einzuführen und wenn, dann schon gar nicht pünktlich, sollte das nun kein Argument sein, Datenschutz und Privatsphäre mit den Zielen der Registermodernisierung zusammen zu denken.

Markus Reuter hat sich das Gutachten angeschaut und fasst die Kritik nochmal zusammen: Personenkennziffer – Gutachten des Bundestages sieht „erhebliche Schwierigkeiten“.

Neues auf netzpolitik.org

Weitere News aus der TikTok-Soap: Sowohl TikTok als auch die chinesische App WeChat dürfen vorerst in denn App-Stores verbleiben. Chris Köver fasst den aktuellen Verlauf der Debatte mit allen heute zur Verfügung stehenden Informationen zusammen: TikTok und WeChat dürfen bleiben.

Im August hatte der US-Präsident angekündigt, chinesische Apps in den USA effektiv zu verbieten. Jetzt ist das Ultimatum abgelaufen: Sowohl TikTok als auch WeChat bleiben in den App-Stores – aus sehr verschiedenen Gründen.

Unklarheit gibt es über die Ankündigung von Donald Trump, dass Teil des Deals eine fünf Millliarden Dollar Finanzierung eines von ihm forcierten Bildungsfonds sein soll, der US-Amerikaner:innen eine Sklavereifreundliche Geschichtserzählung vermitteln soll. Die chinesische Regierung will davon aus dem Fernsehen erfahren haben.

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Am Freitag wurden im Livestream aus Bielefeld heraus die Gewinner:innen der diesjährigen BigBrother-Awards verkündet. Dazu gehören u.a. Tesla für Autos, die aus dem Innen- und Außenraum Videoaufnahmen nach Hause schicken, das Baden-Würtembergische Kultusministerium für seine Microsoft in Schulen – Strategie und „Die Geschichtsvergessenheit der Innenminister“ mit der geplanten Einführung der Perosnenkennziffer. Jana Ballweber fasst die Gewinner:innen zusammen.

Es sind die Oscars der Überwachung, die Goldene Himbeere des Datenschutzes. Auch im Corona-Jahr 2020 haben es sich Projekte, Gesetze und Initiativen redlich verdient, beim Big Brother Award ins Rampenlicht zu rücken.

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Chris Köver und Daniel Laufer haben im Netzpolitik-Podcast Folge 2010 über unsere aktuellen Recherchen gesprochen, wohin Spenden-Gelder der Corona-Skeptiker:innen fließen und warum das alles so intransparent ist: Spenden für Corona-Klagen – Wohin fließt das Geld?

Eine Reihe von Organisationen im Umfeld der „Anti-Corona-Bewegung“ sammelt Spendengelder. Wohin fließt dieses Geld? Unsere Recherchen führten uns zu treuhändischen Konten ohne Treuhänder und zu Firmen, die mit Esoterik-Artikeln handeln. Über die intransparente Geldflüsse sprechen in dieser Folge Daniel Laufer und Chris Köver.

Kurze Pausenmusik:

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Was sonst noch passierte:

Im Digitalpakt für Schulen liegen 6,5 Milliarden Euro bereit. Bis zum 30. Juni sind davon gerade al 15,7 Millionen Eure geflossen. Weitere 242 Millionen Euro sind wenigstens schon bewilligt worden. Die Gründe dafür sind (wie immer) zuviel Bürokratie, fehlende Ressourcen dafür auf Seiten der Schulen und dann gibt es noch zu wenig Dienstleister, die auf Schulen und ihre Bedürfnisse spezialisiert sind. Tagesschau.de beleuchtet das Armutszeugnis ein wenig: An Geld fehlt es nicht.

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Einen aktuellen Überblick über das Spannungsfeld Desinformation und Meinungsfreiheit mit guten Definitionen bietet der UN-Bericht „Balancing Act: Countering Digital Disinformation While Respecting Freedom of Expression“ (PDF) für die Broadband Commission . Wenn ich mehr Zeit hätte, würde ich den sofort lesen. Er ist aber mit 348 Seiten leider sehr umfangreich und dafür müsste ich diesen Newsletter für heute aufgeben. Das Executive Summery ist dafür kürzer und für den Einstieg gut geeignet (Ab Seite 8).

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Youtube ist eine der zentralen Plattformen für die Verbreitung von Verschwörungsideologien. Wired berichtet jetzt über Strategien der Video-Plattform, mit dem Problem umzugehen: YouTube’s Plot to Silence Conspiracy Theories.

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Auch Facebook hat dasselbe Problem, löscht mittlerweile fleißig QAnon-Gruppen auf der eigenen Plattform, bekommt die Situation nicht unter Kontrolle, wie die New York Times recherchiert hat: Facebook Tried to Limit QAnon. It Failed.

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Die Hoffnung der großen Plattformen liegen auf automatisierte algorithmische Entscheidungssysteme, im Volksmund auch „Uploadfilter“ genannt. Diese bergen aber zahlreiche Gefahren. Für den Rechtsausschuss im EU-Parlament wurde zu der Problematik jetzt ein Gutachten erstellt und veröffentlicht: The impact of algorithms for online content filtering or moderation. (PDF)

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Ein internationales Netzwerk an Medien und Journalist:innen-Netzwerke hat mit den FinCENfiles ein vergleichbares kollaboratives und globales Recherchepaket abgeliefert, wie seinerzeit bei den Panama-Papers. In der aktuellen Recherche geht es um ein Datenleak aus dem US-Finanzministerium. In rund 2100 Geldwäsche-Verdachtsmeldungen aus der US-amerikanischen Anti-Geldwäsche-Behörde „Financial Crimes Enforcement Network“ finden sich zahlreiche Hinweise, wie Banken wie die Deutsche Bank über Jahre hinweg Kund:innen geholfen haen, Anti-Geldwäscheregularieren zu umgehen und damit Korruption und Geldwäsche aus kriminellen Quellen zu ermöglichen.

Zu den deutschen Partnern gehört das Recherche-Netzwerk SZ, WDR und NDR, sowie der deutsche Ableger von Buzzfeed-News (jetzt von Ippen gekauft, dem Verlag gehört u.a. die Frankfurter Rundschau). Gute Überblicksartikel finden sich bei der Tagesschau („Wie die Geldwäsche-Bekämpfung versagt“), der Süddeutschen Zeitung („Die wichtigsten Fakten zu den FinCEN-Files„) und BuzzfeedNews („Dirty money pours into the world’s most powerful banks.„).

Heute Abend läuft um 22:50 Uhr in der ARD die Dokumentation „Trumps Deutsche Bank… und die Spur des russischen Geldes„.

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Die AfD Niedersachsen informiert ihre Mitglieder in einem Leitfaden für „Beamte, Soldaten und Angestellte des öffentlichen Dienstes“ darüber, dass diese sich besser bei Diskussionen im Kollegium mit politischen Ansichten wie, „dass das Demokratieprinzip in Deutschland abgeschafft werden soll“, besser zurückzuhalten. Im Idealfall sollte man „jegliches Gespräch im beruflichen Umfeld über Politik vermeiden“, damit man keine unnötigen Probleme wie Verlust von Waffenscheinen oder Jobperspektiven bekomme. Die Taz hat mehr: Bitte unauffällig bleiben!

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Im Frühjahr waren Masken und Desinfektionsmittel knapp. Mittlerweile soll es riesige Desinfektionsmittel-Seen geben, dafür werden jetzt Einmalhandschuhe knapp. Auf baldige Lieferengpässe und massive Preissteigerungen durch Spekulation weist das Deutsche Rote Kreuz hin: Einmalhandschuhe werden knapp – und teuer.

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3sat Kulturzeit hat ein paar Prepper-Blogger:innen in den USA besucht und kurz dokumentiert, wie diese sich jetzt durch Corona in ihrem Lifestyle bestätigt fühlen: Die Prepper-Szene in den USA.

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Am kommenden Freitag, den 25. Setember, gibt es wieder einen globalen Fridays for future – Aktionstag mit zahlreichen Demonstrationen weltweit. Der Tagesspiegel hat mit vielen Aktivist:innen aus Berlin über ihre Motivation und ehrenamtliche Arbeit gesprochen und einige der Jugendlichen portraitiert: Was die jungen Aktivisten treibt und wer sie sind.

Audio des Tages: Journalist:innen in der Weimarer Zeit, FinTechs und die Wau Holland-Stiftung

Der Deutschlandfunk blickt auf „Vergessene Journalistinnen und Journalisten der Weimarer Zeit“ und eine „Blütezeit des deutschsprachigen Journalismus zurück. Einige der Portraitierten mussten für ihre Arbeit mit dem Leben bezahlen: „Wir hatten eine Mission, und wir konnten sie nicht erfüllen“.

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Ebenfalls im Deutschlandfunk berichtet der Hintergrund über mögliche Regulierungswege von sogenannten FinTechs: Zwischen Kontrolle und Innovationsförderung.

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Bei Deutschlandfunk Kultur gibt es ein Portrait der Wau-Holland-Stiftung, die dem Chaos Computer Club sehr nahe steht: Hacker im Ehrenamt.

Video des Tages: Notorius RBG

Die US-Verfassungsrichterin und Bürgerrechts-Ikone Ruth Bader Ginsburg ist verstorben. In der ZDF-Mediathek zeichnet eine Dokumentation ihr Leben und Schaffen nach: RBG – Ein Leben für die Gerechtigkeit. Währenddessen freut sich Donald Trump über ein Mobilisierungsthema für den aktuellen Wahlkampf und ein gutes Ablenkungstheater von seinem eigenen Versagen in der Bewältigung der Corona-Pandemie.

Netzpolitik-Jobs

Ich bekomme regelmäßig Job-Angebote im netzpolitischen Bereich zugeschickt und dachte mir, dass eine zusätzliche Rubrik ein guter Service sein könnte. Zweimal die Woche werde ich zukünftig auf aktuelle Job-Angebote hinweisen.

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Wikimedia Deutschland sucht eine/n „Referent für Bildung und Teilhabe in der digitalen Welt“ (m/w/d).

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Und eine zweite Ausschreibung von Wikimedia Deutschland sucht nach „Manager digitale/ offline Events (m/w/d)“.

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Die Deutsche Welle sucht eine/n „Redakteur (w/m/d) für Digitalpolitik“ in Berlin.

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Die Free Software Foundation Europe setzt sich für die Förderung von Freier Software (im Volksmund auch Open-Source genannt) ein. Für ihr Team in Berlin, das drei Türen weiter neben unserem Büro auf derselben Etage sitzt, sucht die FSFE jetzt eine Büroassistenz.

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Der Digital Freedom Fund ist ein weiterer Zusammenschluss verschiedener Stiftungen, die zivilgesellschaftliche Organisationen bei strategischen Prozessführungen finanziell unterstützt und vernetzt. Dafür wird ein Operations Officer für das Büro in Berlin gesucht. Das ist weitgehend Reise- und Eventmanagement.

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Das war es für heute. Viele Grüße und bleibt gesund,
Markus Beckedahl

Ich freue mich immer über Feedback und gute Hinweise. Meine Mailadresse ist markus@netzpolitik.org. Ich bin zwar häufig von zu vielen eMails überfordert und bekomme nicht alle beantwortet. Aber ich lese alle Mails.

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