Hallo,
die Beta für die kommende Betriebssystem-Version von Apples iOS 14 ist raus. Eine kleine und feine Änderung findet sich im Detail und muss etwas erklärt werden.
iOS hat bis zur aktuellen Version eine Werbe-ID. Der Advertising Identifier (IDFA) ist eine eindeutige Nummer, auf die Apps zugreifen können, um das Gerät zu identifizieren. Zwar ist mit der ID erstmal nicht verknüpft, wer man genau ist. Für die Aufzeichnung aller Aktivitäten in Apps und im Netz sowie die darauf basierende Werbung reicht aber auch das Pseudonym. Die Werbe-ID kann zudem zu einem zentralen Verknüpfungspunkt für die Zusammenführung unterschiedlichster Datenpunkte werden.
Bisher ist das Auslesen der ID von der Werkeinstellung her für alle Apps freigeschaltet. Das ändert sich mit der neuen Version von Apples mobilen Betriebssystem. Dann wird diese Werbe-Überwachungsfunktion werksmäßig ausgestellt und man muss sich aktiv selbst darum bemühen, wieder heimlich im Hintergrund getrackt zu werden. Denn viele Apps, vor allem die vermeintlich kostenlosen, greifen gerne auf den IDFA zu und sammeln noch weitere Daten, die sie können, um diese dann gerne an Datenbroker weiterzuverkaufen, die diese dann weiterverkaufen,…
Erst Anfang des Jahres hatten norwegische Verbraucherschützer aufgezeigt, wie auf dieser Basis auch intime Daten aus Dating-Apps wie Tinder, Grindr oder okCupid an dutzende Firmen verschleudert werden. Die britische NGO Privacy International führt mehrere Datenschutzverfahren gegen die Datenhändler und auch deutsche NGOs haben als Teil eines internationalen Bündnisses diverse Beschwerden gegen Firmen aus diesem dubiosen Werbesystem eingereicht.
Mit der Umstellung geht Apple auf die Forderungen von vielen Datenschützer:innen ein, die sich für datenschutzfreundliche Voreinstellungen einsetzen. Denn bisher ist es leider fast überall andersherum: Erstmal sind alle Schotten offen und man muss das Wissen, die Motivation und die Zeit mitbringen, um sich im Rahmen der digitalen Selbstverteidigung zu schützen. Aufgrund von Bequemlichkeit, mangelndem Wissen und manipulativem App-Design bleiben aber in den meisten Fällen die Werkseinstellungen bestehen.
Zukünftig ist der Zugriff auf den IDFA für Apps aus dem Store erstmal ausgeschaltet. Das wird dazu führen, dass Apps um ein Einschalten der Möglichkeit betteln und dabei in vielen Fällen vielleicht auch versuchen werden, Nutzer:innen hinters Licht zu führen. Was dann kommt, könnte spannend werden: Denn nach strenger Auslegung der Datenschutzgrundverordnung müssten sie dann mindestens eine datenschutzfreundliche Bezahl-Alternative anbieten, die dann eben keine intransparenten Tracking-Sachen im Hintergrund ausführen dürfen.
Dieser kleine und feine Unterschied durch ein künftig anders voreingestelltes Häckchen gefährdet bestehende Werbe-Ökosysteme wie die von Facebook und Google. Aber das ist gut so, denn die Politik hat es in den vergangenen Jahren nicht geschafft, Nutzer:innen ausreichend vor diesem heimlichen Ausspionieren zu schützen. Eigentlich schreibt die Datenschutzgrundverordnung dieses „Privacy by default“ genannte Prinzip der datenschutzfreundlichen Voreinstellung vor. Praktiziert wird es bisher aber kaum.
Das sollte die „kleine Schwester“ der Datenschutzgrundverordnung, die ePrivacy-Verordnung, ändern. Aber nachdem das EU-Parlament für mehr Verbraucher:innenrechte gegen intransparentes Tracking und für datenschutzfreundliche Voreinstellungen gestimmt hatte, lief die Werbe- und Medienindustrie Amok, und dämonisierte die Verordnung gar als „Angriff auf den freien Journalismus“ (Kein Scherz: O-Ton Verband der Zeitungsverleger) und blockierte den kompletten Prozess mit ihrer Lobbyarbeit.
In der Debatte zeigt sich übrigens, dass Axel-Springer und Google mehr miteinander gemein haben als man sonst denkt. Beide wollen größtmögliche Überwachungs-Freiheiten für ihre Werbemodelle.
Apple legt jetzt den Haken um. Das könnte für die Privatsphäre von Apple-Nutzer:innen mehr verändern als die Politik es bisher vermochte.
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iOS-Nutzer:innen können und sollten das jetzt in der aktuellen Version noch ändern: Unter Einstellungen/Datenschutz/Werbung muss man die Funktion „Ad-Tracking beschränkungen“ einschalten. Dazu sollte man noch regelmäßig darunter auf „Ad-ID zurücksetzen“ klicken und es wird eine neue erzeugt. Das ist vergleichbar mit Cookies im Browser löschen.
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In unserem Netzpolitik-Shop gibt es T-Shirts, Hoodies, Tassen und Masken mit unseren Designs. Aktuell haben wir eine Sommeraktion bis Mitternacht am laufen und geben bei jeder Bestellung einen Turnbeutel (gibt es in verschiedenen Farben) und ein Lanyard (gibt es in einer Farbe, passen aber verschiedene Schlüssel dran) dazu. Bei den Turnbeuteln war ich Anfang auch skeptisch, aber mittlerweile finde ich sie praktischer als Jutebeutel. Und wir haben für fast jeden Anlass die passende Farbe.
Neues auf netzpolitik.org:
Es gibt zwei Hotlines für die Corona-Warn-App. Das führt offensichtlich zur Verwirrung bei Nutzer:innen auf der Suche nach den richtigen Antworten. Anna Biselli und Ingo Dachwitz berichten darüber: Mehr als 200.000 Anrufe: So funktionieren die Hotlines zur Corona-Warn-App.
Die technische Support-Hotline zur Corona-Warn-App leistet offenbar ihren Dienst. Nutzer:innen berichten von überwiegend positiven Erfahrungen. Aus Zahlen des Gesundheitsministerium wird jedoch deutlich, dass es am Anfang wohl häufiger zu Verwirrungen kam.
Das US-Unternehmen Clearview AI steht seit Monaten in der Kritik wegen seiner Technologien zur automatisierten Gesichtserkennung. Daniel Laufer hat herausgefunden: Clearview AI verweigert Zusammenarbeit mit deutscher Datenschutzaufsicht.
Hamburgs Datenschutzbeauftragter wirft Clearview AI vor, auf Fragen zu seiner Gesichtserkennungssoftware nur ausweichend geantwortet zu haben und droht mit einem Zwangsgeld. Die US-Firma widerspricht dem nicht – fühlt sich aber trotzdem im Recht.
Markus Reuter zeigt, wie eine kleine Kunst-Aktion viral geht: Ebay löscht Kunst-Auktion und sperrt Peng-Kollektiv ohne Angabe von Gründen.
Provokation gelungen oder Cancel Culture von rechts? Der Online-Marktplatz Ebay löscht eine Kunstaktion und sperrt den Account der Aktionskünstler:innen. Die berufen sich auf die Kunstfreiheit – und erhalten Unterstützung vom Museum.
Anna Biselli hat zusammengefasst, wie die Bundesregierung unseren Bundesdatenschutzbeauftragten bei der Ausübung seines Amtes behindert: Bundesregierung lässt sich mit Vorschlägen des Datenschutzbeauftragten Zeit.
Ulrich Kelber forderte Nachbesserungen bei seinen Aufsichtsmöglichkeiten, gerade über Bundespolizei und Geheimdienste. Doch die Bundesregierung scheint es damit nicht besonders eilig zu haben.
Kurze Pausenmusik:
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Was sonst noch passierte:
Der Hack der Bundestags-Fahrbereitschaft war wohl nicht so schlimm wie gedacht, sondern „nur“ der Angriff eines Verschlüsselungstrojaners und Daten sind möglicherweise gar nicht geflossen: Nochmal Glück gehabt. Aber einen positiven Effekt hatte das ganze: Zwischendurch ist dabei Abgeordneten aufgefallen, dass die Daten für drei Monate vorrätig gehalten werden und das beim früheren Dienstleister weniger war. Wenn man die (Limousinen-)Bewegungsprofile von Abgeordneten über drei Monate hat, dann kann man bei reger Nutzung sehr viel über Gewohnheiten und Privates rausfinden.
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Facebook hat einer ganzen Reihe an Gruppen den Stecker gezogen oder deren Verbreitung eingeschränkt. Das soziale Netzwerk löschte 790 Gruppen, 100 Seiten und 1500 Anzeigen von QAnon-Verschwörungserzählern, neben hunderten Hashtags auf Facebook und Instagram. Rausgeflogen sind zudem rechte militante US-Gruppen – und bemerkenswerterweise auch antifaschistische Gruppen, die laut Facebook zu Ausschreitungen aufrufen würden. Vermutlich geht dies auf die jüngsten Bemühungen Donald Trumps zurück, Antifa-Gruppen zu „Terroristen“ zu erklären.
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Die Nachrichtenagentur AP stellt ihren internationalen Lesenden deutsche Funklöcher mit schönen Bildern vor. Ich konnte mir das erst vergangene Woche live in Brandenburg ansehen, wo es über viele Dörfer verteilt keinen Telefon-Empfang mit meinem Telekom-Vertrag hatte.
Wir sind nur über eine Statistik in dem Artikel gestolpert und wissen noch nicht, wie wir die bewerten sollen: Im internationalen Vergleich liegt Deutschland bei der LTE-Auslastung vor Neuseeland. Das Problem ist, dass wir auf Platz 50 von 100 untersuchten Staaten landen und vor uns noch Laos, Serbien, Saudi-Arabien, Kirgisien und eigentlich der Rest der EU liegen. Soweit, so klar. Irritiert hat uns aber dann, dass die USA auf Platz drei gelandet sind. Was wiederum gegen die Statistik spricht.
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Das Politik-Magazin „Monitor“ warnt vor Bahnfahren in Corona-Zeiten (was leider keine Überraschung ist): Unterschätztes Risiko? Wenn viele Menschen für einen längeren Zeitraum auf engem Raum sitzen, ein Teil davon sich weigert, Masken zu tragen, die Klimaanlagen bei etwas mehr Außenhitze schnell den Geist aufgeben und Züge dadurch ausfallen und zusammengelegt werden und anschließend alle dicht gedrängt zusammenstehen müssen, hat man eben als Virus gute Verbreitungsmöglichkeiten. Und zwar selbst dann schon, wenn der Zug nicht zusammengelegt wird.
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Bundesgesundheitsminister Jens Spahn kauft sich zusammen mit seinem Partner eine Villa in Berlin. Die Geschichte ist bisher im Boulevard gelaufen und war für mich nicht interessant. Aber mittlerweile kam heraus, dass er sich zur Finanzierung eines Kredites die Unterstützung einer Sparkasse geholt hat. Und davor in deren Verwaltungsrat saß. Das wirft interessante Fragen auf.
Audio des Tages: Sportbrigaden kaputt machen
Vor 50 Jahren erschien „Macht kaputt, was euch kaputt macht.“, die erste Single der Ton Steine Scherben. Im Deutschlandfunk Kultur wurde dazu Gert Möbius interviewt, der als Bruder von Rio Reiser das musikalische Vermächtnis der Band verwaltet: Die Jahre werden wieder wild. Fun-Fact: Die Band hat den Song nur im ersten Jahr gespielt, weil man etwas Angst vor zu viel Aggressionen im Publikum hatte.
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Vor 20 Jahren gab es das erste Techno-Set der Sportbrigade Sparwasser aus Berlin. Anlässlich ihres Jubiläums haben sie ein fast dreistündiges Set auf Soundcloud gestellt, wozu man in diesem Jahr aber zuhause tanzen muss.
Video des Tages: Fritz Bauer
In der Arte-Mediathek gibt es derzeit eine einstündige Dokumentation über Fritz Bauer zu sehen: Fritz Bauer – Generalstaatsanwalt. Nazi-Jäger. Der hat auch was mit Cancel Culture gemacht.
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Das war es für heute. Viele Grüße und bleibt gesund,
Markus Beckedahl
Ich freue mich immer über Feedback und gute Hinweise. Meine Mailadresse ist markus@netzpolitik.org. Ich bin zwar häufig von zu vielen eMails überfordert und bekomme nicht alle beantwortet. Aber ich lese alle Mails.
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