[bits] Es regnet Digitalisierung

Hallo,

die große Koalition hat sich gestern darauf geeinigt, ein Konjunkturprogramm mit 130 Milliarden Euro auszustatten. In dem Paket finden sich auch zahlreiche Digitalisierungsvorhaben mit einem Anteil von rund 20 Milliarden. Das klingt nach viel, ist auch viel, aber zumindest ein Teil davon war eh für irgendwann eingeplant.

Streckenweise klingen die Vorhaben wie das „Best of deutscher Netzpolitik der vergangenen 20 Jahre“: Irgendwann soll es endlich mal eGovernment geben (Jetzt mit drei Milliarden Euro mehr Kosten für das Online-Zugangs-Gesetz) und auch der Riesenhit Breitbandausbau darf nicht fehlen. Hier strebt man vollkommen ironiefrei an, irgendwann bei 6G (!) Weltspitze zu werden. Weitere fünf Milliarden gibt es für das Ziel, bis 2025 flächendeckend 5G-Netze zu haben. In deutscher Zeitrechnung ist das dann frühestens 2030 soweit. Bei 5G wollte man auch mal Weltspitze sein, wie vorher bei 4G und 3G. Zu viele Menschen bei uns würden sich ja wenigstens über 3G freuen.

Für mich fühlt sich vieles in dem Paket auch ein wenig wie bei „Und täglich grüßt das Murmeltier“ an. Vor allem, wenn ich zum Thema Glasfaser-Ausbau Formulierungen wie „werden wir das Fördersystem entbürokratisieren und weiterentwickeln sowie die notwendigen Mittel dafür bereitstellen“ finde. Das klingt nach bekannten Textbausteinen, die man seit Jahren mit sich rumschleppt.

Danke auch an dieser Stelle an den ehemaligen Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt, der es geschafft hat, ein Breitbandausbau-Förderungsprogramm auf den Weg zu bringen, das seit Jahren immer wieder und weiter entbürokratisiert werden muss, damit endlich mal Gelder für Breitbandausbau abgerufen werden können.

Zwei Milliarden Euro soll es für für die Entwicklung von Quantencomputern geben. Das könnte sinnvoll sein, zumindest falls man diese nicht einfach nur dafür einsetzen möchte, gegen gängige Verschlüsselungsstandards vorzugehen.

Geld soll es auch bei der Ausbildung und Finanzierung von Schul-Admins geben. Bisher dachte man leider, die würden vom Himmel fallen, wenn man den Schulen Hardware über den bereits beschlossenen Digitalpakt verspricht.

Wie immer gilt: Auf dem Papier klingt das teilweise gut. In der Praxis wird sich zeigen, ob das ein Förderprogramm für in Not geratene Beraterfirmen wird und ob die geplanten Förderungen auch tatsächlich sinnvoll ausgegeben werden. Unsere Bundesregierung ist da leider etwas vorbelastet.

Neues bei netzpolitik.org:

Staatstrojaner für alle! Andre Meister fasst zusammen, wie der aktuelle Verhandlungsstand beim Verfassungsschutzgesetz ist:“ Bundesregierung einigt sich auf Staatstrojaner für Inlandsgeheimdienst“.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz soll Geräte mit Staatstrojanern hacken, um Kommunikation abzuhören. Darauf haben sich Justiz- und Innenministerium bei Verhandlungen zum neuen Verfassungsschutzgesetz geeinigt. Streit gibt es noch um die Online-Durchsuchung.

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Vorsicht bei Paypal-Überweisungen, um einen Cuba Libre zu bezahlen. Denn „Paypal setzt US-Embargo gegen Kuba weltweit durch„, wie Alexander Fanta recherchiert hat.

Der Online-Bezahldienst sperrt Überweisungen, die auch nur das Wort „Kuba“ enthalten. Sogar wenn es um Longdrinks geht.

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In den USA trendete am Montag plötzlich der Hashtag #dcblackout. Markus Reuter hat das Phänomen mit Forscher:innen und Datenjournalist:innen untersucht und sie sind auf einen interessanten Fall von Desinformation gestossen: „Hunderttausende Tweets über ein Ereignis, das es nicht gab“.

In Zeiten gesellschaftlicher Unruhe floriert auch die Desinformation. Am Montag trendete plötzlich der Hashtag #DCBlackout, in dem behauptet wurde, Washington sei von der Kommunikation abgeschnitten.

Liest das hier überhaupt jemand?

Wir tracken nicht und ich schalte bei jedem Versand auch die Möglichkeit aus, dass wir die Klicks nachverfolgen können. Mit anderen Worten: Wir haben keine Ahnung, ob das hier überhaupt jemand liest. Trotzdem interessiert mich, ob sich die Mühe überhaupt lohnt, hier jeden Tag soviel Energie für dieses Experiment reinzustecken. Feedback, sachdienliche Hinweise und Verbesserungsvorschläge gerne an markus@netzpolitik org schicken. Wir freuen uns auch über Empfehlungen und Werbung. Hier gehts zum Eintragen.

Wissenswertes zur Coronakrise:

Der Tagesspiegel hat die Zahlen der an Covid-19 Verstorbenen im Vergleich zu den häufigsten Todesursachen in Deutschland gesetzt: Woran wir sterben. Es gab in den vergangenen vier Monaten mehr Tote durch Covid-19 als durch Verkehrsunfälle und Gewalt.

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Die Ergebnisse einer neuen Studie deutet in einer Vorveröffentlichung daraufhin, dass Menschen mit der Blutgruppe A ein ca. 50% höheres Risiko für einen schweren Verlauf von Covid-19 haben als diejenigen mit Blutgruppe 0. Die Blutgruppe B liegt dazwischen.

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Am Wochenende fand in Berlin eine Demonstration für den Erhalt der Clubkultur statt, die auf dem Wasser mit Booten geführt wurde. Das Vorhaben ist den Veranstalter:innen etwas entglitten und zum Schluss gab es tausende Teilnehmer:innen in hunderten Schlauchbooten, die vor einem Krankenhaus eine Open-Air-Party feierten, wie es in Berlin außerhalb von Coronakrisen nicht ungewöhnlich ist. Der Musikjournalist Jens Balzer hat das für Radioeins wortreich kommentiert: „Die träumenden Vollhonks vom Landwehrkanal“ Ein Veranstalterkollektiv hat sich jetzt im Rahmen eines Interviews mit Zeit-Online entschuldigt: „Bei Sonne und guter Musik denkt kaum jemand an Abstand“.

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Forscher:innen der TZ Dortmund und der Uni Marburg haben eine Studie zur Qualität des Home-Schooling während der Coronakrise gemacht und erste Erkenntnisse präsentiert. Dazu wurden rund 1000 Elternteile befragt. Keine Überraschung ist, dass viele Eltern nicht zufrieden sind und viele Kinder von ihren Lehrer:innen kein Feedback bekommen. Spiegel-Online fasst die Ergebnisse auch zusammen: So erleben Eltern den digitalen Unterricht.

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Barbara Ferrarese und Alexander Roßnagel schreiben beim Forum Privatheit darüber, wie die Corona-Tracing-App dabei helfen könnte, eine Lösung für neu erkannte Phänomene wie die der Superspreader zu finden. Und was dafür wichtig wäre.

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Die Aktivistin und Forscherin Zara Rahman warnt in The Correspondent davor, dass Technologien zur Nachvollziehbarkeit von Corona-Infektionsketten auch zur Überwachung von Protesten missbraucht werden können: Black Lives Matter protesters aren’t being tracked with Covid-19 surveillance tech. Not yet. Genau deswegen war es sinnvoll, sich bei der deutschen App für eine dezentrale und verschlüsselte Variante zu entscheiden, um diese mögliche Zweckentfremdung gleich auszuschließen.

Was sonst noch passierte:

Ab und an gibt es Aktionstage der Strafverfolgungsbehörden gegen Hetzer. Was eigentlich die Regel sein sollte, ist immer noch die seltene Ausnahme. Aber heute hat man zumindest in Gedenken an den vor einem Jahr ermordeten CDU-Politiker Walter Lübcke die Wohnungen von 40 Tatverächtigten durchsucht, die gegen den toten Politiker gehetzt haben.

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Ich hab ja noch nie verstanden, warum man offizielle Videokonferenzen in der Unterhose machen sollte. Natürlich kann das in Situationen bequem sein, aber letztendlich ist das Risiko, dass irgendwas schief läuft, dann doch zu hoch. Aktuelles Beispiel ist der irische EU-Abgeordnete Luke Ming Flanagan (Linke Fraktion), der in einer Videokonferenz des Agrarausschusses die Kontrolle über sein Bild verlor. Positiver Nebeneffekt: Vorher kannte ihn kaum jemand.

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Der sichere Messenger Signal bietet passend zu den aktuellen Protesten in den USA ein neues Feature an: Im eigenen Signal-Bildeditor kann man recht bequem andere Gesichter unscharf stellen und damit verwischen. Das sollte man aus Respekt vor anderen Teilnehmer:innen auf Demonstrationen (und woanders) eh immer machen. Bisher wird das aber kaum angewendet, auch weil neben fehlendem Bewusstsein dafür bequeme Werkzeuge fehlen. Unklar ist mir, inwiefern die verwendeten Algorithmen auch verhindern, dass wiederum andere Algorithmen die verwischten Gesichter wieder schärfen können. Das wird in den kommenden Jahren noch ein neues „Katz und Maus – Spiel“ werden.

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In den 90er Jahren ging im Netz publizieren vor allem dann, wenn man Ahnung von der Seitenbeschreibungssprache HTML hatte. In der Zeit vor Blogs bestand die Hälfte meiner Zeit beim Publizieren darin, neben den eigentlichen Inhalten HTML-Tags drum herum zu gruppieren, weil man sonst kein Layout hatte. Das Wissen darum und wie man generell Webseiten baute, hatte ich, wie so viele andere, aus der Plattform selfhtml, die heute vor 25 Jahren von Stefan Münz gestartet wurde und mittlerweile von einer Community betrieben wird. Herzlichen Glückwunsch und Danke für das Engagement.

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Das gute, alte Gemeinwohl! In keiner netzpolitischen Absichtserklärung und keinem digitalbezogenen Strategiepapier der Bundesregierung fehlt das Schlagwort, oft steht es sogar an erster Stelle. Klingt toll, nur wird das hehre Ziel, Technologie in den Dienst der Allgemeinheit zu stellen, in der Konkretisierung dann so gut wie nie mit echten Maßnahmen unterfüttert, analysiert Julia Gundlach vom Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz: Zuerst gesagt, zuletzt getan: Digitalpolitische Gemeinwohlorientierung der Bundesregierung.

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Deutschland ist das einzige EU-Land, in dem die Datenschutzaufsicht förderal organisiert ist. Niedersachsen möchte nun gemeinsam mit den Wirtschaftsminister:innen der anderen Länder die Bundesregierung auffordern, die Aufsicht für den nicht-öffentlichen Bereich (Unternehmen, Vereine und andere private Organisationen) zu zentralisieren. Wie Christiane Schulzki-Haddouti berichtet, ist das Vorhaben durchaus umstritten: Landesdatenschützer sollen Kontrolle über Firmen verlieren.

Die CDU wünscht es sich schon länger, auch die Datenethik-Kommission der Bundesregierung hatte die Möglichkeit für den Fall aufgezeigt, dass die Länderbehörden es nicht schaffen, künftig schneller und kohärenter mit einer Stimme zu sprechen. Die SPD hat sich noch nicht festgelegt. Widerspruch kommt naturgemäß von den Behörden selbst. So verweist Baden-Württembergs Datenschutzbeauftragter Stefan Brink darauf, dass Deutschland sich im Europäischen Datenschutzausschuss noch nicht ein Mal enthalten habe müssen, weil sich die Länder nicht einig wurden. Die Wirtschaftsministerkonferenz stimmt Ende Juni über den Vorschlag Niedersachsens ab.

Video des Tages: Die Anstalt

Die Kabarettsendung „Die Anstalt“ im ZDF beschäftigt sich in der aktuellen Ausgabe mit der Debatte um Verschwörungsmythen und störende Fakten. Das ist wie immer eine gute Mischung aus politischen Inhalten, Bildungsfernsehen und häufig auch intelligenten Witzen.

Viele Grüße und bleibt gesund,
Markus Beckedahl

Ich freue mich immer über Feedback und gute Hinweise. Meine Mailadresse ist markus@np. Ich bin zwar häufig von zu vielen eMails überfordert und bekomme nicht alle beantwortet. Aber ich lese alle Mails.

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