Hallo,
der Bundesgerichtshof hat heute in einer vorläufigen Entscheidung verkündet, dass Facebook eine marktbeherrschende Stellung auf dem deutschen Markt für soziale Netzwerke hat und diese „mit den vom Kartellamt untersagten Nutzungsbedingungen missbräuchlich ausnutzt“.
Die Meinung vertrete ich seit langem. Aber das OLG Düsseldorf hatte zuvor anders geurteilt, der BGH hebt diese Entscheidung auf. Bei dem Verfahren geht es um die Frage, ob das Bundeskartellamt überhaupt mit den geltenden zur Verfügung stehenden Gesetzen und Regeln gegen Facebook in Deutschland vorgehen darf. Eigentlich könnte man meinen, der Bundesdatenschutzbeauftragte wäre dafür zuständig, aber hier wird es kompliziert zwischen Förderalismus und Europäischer Union. Stattdessen läuft bis auf weiteres alles weiter über Irland.
Aber jetzt bringt sich das Bundeskartellamt wieder ins Spiel. Die Pressemitteilung zum vorläufigen BGH-Urteil kam kurz vor dem Absenden dieses Newsletters rein, ich kam noch nicht zu einer tieferen Analyse der Entscheidung. Aber das klingt spannend.
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Eigentlich wollte Bundesinnenminister Horst Seehofer heute den Verfassungsschutzbericht in der Bundespressekonferenz vorstellen. Der Termin wurde kurzfristig verschoben, weil Seehofer nach Stuttgart gereist ist, um sich ein kaputtes Polizeiauto anzuschauen, das extra für den Fototermin in die Fußgängerzone gestellt wurde. Wenigstens wurde der Weg dahin nicht frei geprügelt.
Keine Neuigkeiten gibt es in der Frage, was denn jetzt mit der angekündigten Strafanzeige gegen die freie Taz-Journalist:in Hengameh Yaghoobifarah geschieht. Horst Seehofer konnte heute mangels Pressekonferenz auch nicht danach gefragt werden. Ich weiß jetzt nicht, was besser ist: Ein Innenminister, der nur für eine Bild-Schlagzeile eine freie Journalistin für eine Kolumne bedroht oder ein Innenminister, der die Drohung ernst meint und eine solche Strafanzeige durchzieht.
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Was passierte Samstag Nacht in Stuttgart? Eine Deutung der Ereignisse ist immer noch medial umstritten. Gute Einsichten gibt ein Artikel bei ZDFheute, wofür zwei Streetworker aus Stuttgart befragt wurden, wer denn da randaliert habe. Sie sehen eine Mischung aus Zukunftsangst, Perspektivlosigkeit sowie Frust und Langeweile nach drei Monaten Coronakrise. Klingt für mich logischer als viele Leitkommentatoren und irritierende Analysen über „die Partyszene“: Das „Pulverfass“ Jugend ohne Perspektive. Und für dieses Problem braucht es andere Lösungen als einfach nur mehr Polizei zu fordern. Da eine Personenkontrolle wegen eines Joints vermutlich der Auslöser gewesen sein dürfte, könnte eine Cannabislegalisierung mehr für Prävention leisten als Fotoreisen von Politiker:innen. Außerdem würde der Staat viel mehr Einnahmen durch Cannabissteuern bekommen. Das scheitert aber zuverlässig immer an der CDU/CSU.
Die kommenden Tage werde ich voraussichtlich nach keinen Newsletter verschicken können, weil ich für wenige Tage mal eine kurze Auszeit nehme. Nach aktuellem Stand gibt es die nächste Ausgabe am kommenden Montag.
Neues bei netzpolitik.org:
Julia Barthel berichtet über eine kleine, aber feine Open Data – Entscheidung: „Der Brandenburger Landtag will offener werden„.
Im Brandenburger Landtag sollen Parlamentsdokumente zukünftig als Open Data veröffentlicht werden. Das ist ein erster Schritt zu mehr Transparenz und Rechtssicherheit. Bei den Details kommt es auf nun Verwaltung und Landtagspräsidium an.
Fun-Fact: Dieser Artikel brachte uns einen erbosten Leserbrief ein, weil wir „die Politik über alle Maßen“ loben würden. Dazu erklärt der Redaktionsrat für interessante Leserbriefe, dass wir gerne politische Prozesse und Entscheidungen loben, wenn sie uns sinnvoll erscheinen. Nach eingehender Prüfung können wir sagen: Das ist hier der Fall. Gerne wieder.
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Als die Netzneutralitätsregeln in der Europäischen Union vor fünf Jahren beschlossen wurde, gab es von zivilgesellschaftlicher Seite die Befürchtungen, dass diese in Bezug auf 5G-Infrastrukturen nicht alles abdecken könnten – und weitere Schlupflöcher entstehen könnten, mit denen die Telekommunikationsanbieter wieder das Prinzip eines offenen Netzes torpedieren könnten. Heute wissen wir, dass das erst mal nicht der Fall sein wird. Tomas Rudl berichtet über die Entscheidung des europäischen Regulierers BEREC: „Leitlinien stellen sicher, dass 5G kein Zwei-Klassen-Internet schafft“.
Der neue 5G-Mobilfunkstandard hätte die Netzneutralität in Europa empfindlich schwächen können. Regulierungsbehörden haben dem nun einen Riegel vorgeschoben. Aktualisierte Leitlinien sollen sicherstellen, dass die Netzneutralität weiterhin gewahrt bleibt.
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Jahrelang galt die sogenannte Störerhaftung in Deutschland als einer der Gründe, warum wir das Land mit den wahrscheinlich wenigsten offenen WLANs sind. Es gab diverse mehr oder weniger motivierte Bemühungen verschiedener Bundesregierungen, hier eine Lösung zu schaffen. Die letzte Große Koalition hatte versprochen, das Thema endgültig zu lösen. Aber das ist wieder mal nicht gelungen, wie Constanze Kurz zusammenfasst: „Mutmaßliche Urheberrechtsverletzungen – Urteile unterlaufen Rechtssicherheit beim Betrieb von WLANs„.
Rechteinhaber gehen bei Urheberrechtsverletzungen mit harten Bandagen gegen Freifunker und private Anschlussinhaber vor, obwohl im Gesetz eine eindeutige Regelung festgeschrieben ist, die Hotspot-Betreiber von einer Haftung ausschließt. Doch Richter setzen sich darüber hinweg: Es häufen sich Urteile, die Betreiber verpflichten, Nachforschungen anzustellen oder Datensammlungen anzulegen.
Was sonst noch passierte:
Journalist:innen von BR, NDR und WDR haben gemeinsam 2,6 Millionen Post sund KOmmentare aus rechten Facebook-Gruppen analysiert. Das zeigt anschaulich, wie Facebook beim Hass im Netz versagt: Die Hassmaschine. Herausgekommen ist auch eine schöne Scroll-Dokumentation. Im BR-Podcast beschreibt der BR-Reporter Hakan Tanriverdi die Recherche.
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Marina Weisband beschreibt bei Perspective daily, was Anschläge mit Stochastik zu tun haben: Terror ohne Anführer – So funktioniert moderne Radikalisierung von rechts.
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Herzlichen Glückwunsch an alle Gütersloher und Warendorfer. Die kommende Woche Ausgangsbeschränkungen wurde ihnen von der Firma Tönnies präsentiert. Jetzt gibt es mehr Zeit für Billigfleisch auf dem Grill. Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie bitte den NRW-Ministerpräsidenten Laschet, der heute bei der dazugehörigen Pressekonferenz konsequent von „Lockdown“ sprach.
Es ist immer noch umstritten, ob man besser von einem „Lockdown“ oder von „Ausgangsbeschränkungen“ sprechen sollte. Der Deutschlandfunk-Journalist Stefan Fries plädierte bereits Ende April dafür, nicht von „Lockdown“ zu sprechen. Ich tendiere auch dazu, auch wenn mir bewusst ist, dass beide Begriffe politisches Framing sind. Aber immer wenn ich „Lockdown“ höre, habe ich die verschiedenen Maschinengeräusche der unterschiedlichen Baustellen um mich herum im Ohr, die mich in der Zeit der Ausgangsbeschränkungen immer zuverlässig früh morgens geweckt haben (Nur das eine mal natürlich nicht, als ich keinen Wecker gestellt hatte). Menschen in anderen Staaten hatten es da sicherlich viel ruhiger, dafür konnte ich jederzeit raus und mich bewegen. Trotzdem würde ich ungern wieder in diesen Zustand zurück.
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„Silicon Children“ ist ein 45 Minuten langes Feature bei Deutschlandfunk Kultur über Bildung und Erziehung im Silicon Valley: Aufwachsen zwischen Absturz und Verheißung.
In der ARD-Mediathek gibt es die Dokumentation „Angela Merkel – „Wir schaffen das!“ – Ein Satz und die Folgen“ über eben dieses Thema und die Polarisierung der Gesellschaft.
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Viele Grüße und bleibt gesund,
Markus Beckedahl
Ich freue mich immer über Feedback und gute Hinweise. Meine Mailadresse ist markus@np. Ich bin zwar häufig von zu vielen eMails überfordert und bekomme nicht alle beantwortet. Aber ich lese alle Mails.
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