Hallo,
vor fünf Jahren wurde mein Leben und das unserer Redaktion mal kurz aus der Bahn geworfen. Wir erfuhren vom Generalbundesanwalt, dass dieser und das Bundeskriminalamt seit Monaten gegen uns ermitteln würden. Der Grund war unsere Berichterstattung über den geheimen Ausbau der Massenüberwachung im Netz durch den Verfassungsschutz. Wir hatten Dokumente veröffentlicht, die verfassungsrechtliche Fragen aufwarfen. Und die vor allem der Erzählung der Bundesregierung widersprachen, dass man mit dem, was in den Snowden-Enthüllungen thematisiert wurde, wenig zu tun habe.
Der damalige Verfassungsschutzpräsident(und heutige Rechtspopulist) Hans-Georg Maaßen hatte die Ermittlungen auf den Weg gebracht und wollte uns wohl im Gefängnis sehen. Dass wir vor einer Haus- und Redaktionsdurchsuchung durch den Generalbundesanwalt informiert wurden, war eher Zufall und Glück für uns, so aber nicht geplant. Wir stellten das Schreiben ins Netz und die rasantesten zehn Tage meines Lebens begannen. In denen waren wir im Zentrum einer Staatsaffäre gelandet, es wurde ein Generalbundesanwalt gefeuert und dann die Ermittlungen schnell eingestellt. Vieles ist immer noch nicht aufgearbeitet. Frühestens in 25 Jahren werden wir erfahren, was in Akten vermerkt wurde. Solange bleibt alles geheim.
Wer das nochmal nachlesen will: Vor vier Jahren hatte ich nach einem Jahr auf die Ereignisse zurückgeblickt. Und für die deutsche Ausgabe der Wired hab ich die Geschichte in einem längeren Essay zusammengefasst.
Aber es gibt einen Bezug zur heutigen Zeit: Der Verfassungsschutz soll das Recht bekommen, Staatstrojaner einzusetzen – auch gegen Journalist:innen. Wir haben bei netzpolitik.org vor Wochen den Gesetzentwurf dazu veröffentlicht. Durch unsere Berichterstattung wurde eine schnelle Abstimmung im Bundeskabinett verhindert, die Gefahr ist aber noch nicht gebannt.
Das WDR-Politikmagazin Monitor hat dem Thema gestern nochmal wichtige Sendezeit gegeben und dabei auch Journalist:innen wie unsere Constanze Kurz zu Wort kommen lassen: Informantenschutz ausgehebelt – Angriff auf die Pressefreiheit.
Neues auf netzpolitik.org:
Daniel Laufer und Sebastian Meineck haben ein Update zu unseren Recherchen zu Pimeyes veröffentlicht: Saskia Esken und Polizei-Gewerkschaften fordern Schutz vor Gesichtserkennung.
Nach netzpolitik.org-Recherchen zur Suchmaschine PimEyes steigt der Druck auf Bundesregierung und EU. Auch Axel Voss fordert eine sofortige Regulierung.
Jana Ballweber hat sich europäische Reaktionen auf das Hongkonger Sicherheitsgesetz angeschaut: EU-Staaten wollen Exporte von Überwachungstechnologie nach Hongkong und China einschränken.
Der Rat der Europäischen Union hat wegen des nationalen Sicherheitsgesetzes ein Maßnahmenpaket gegen China und die Regierung von Hongkong verabschiedet. Es sieht unter anderem eine Beschränkung der Exporte von Technologie zur Überwachung der Bürger:innen vor. Für die deutsche Industrie dürfte sich aber nicht allzu viel ändern.
Was sonst noch passierte:
In einem langen Essay bei The Atlantic beschreibt Ross Anderson, wie China „Künstliche Intelligenz“ als Kontrollinstrument weiter entwickelt und exportiert: Chinese AI Is Creating an Axis of Autocracy.
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SAP und Deutsche Telekom bekommen von der EU-Kommission den Auftrag, für die Interoperabilitt der nationalen Corona-Warn-Apps ein „Interoperability Gateway“ zu bauen.
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Eine Metaanalyse hat 29 Studien zu Masken untersucht und kommt zu dem Ergebnis, dass (wahrscheinlich) selbst die einfachen OP-Masken die Träger:innen besser vor einer Corona-Infektion schützen als bekannt: OP-Masken schützen auch Träger wirksam. Bisher ging man tendenziell eher davon aus, dass diese Masken vor allem andere Menschen schützen und nicht einen selbst. Wenn das nicht mal eine zusätzliche Motivation darstellt, mehr Masken zu tragen (und auch über die Nase)!
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Bei einer Einsatzhundertschaft der Berliner Polizei gab es ein „fragwürdiges“ Aufnahmeritual, wie die BZ in Bezug auf ein vorliegendes Video berichtet: „Wortlaut soll demnach etwa sein „… meine MP5 zerf*** alles … wir weichen nicht zurück … wir haben schon Zecken beim Sex beobachtet …“.“ Wie immer ist es unklar, ob das neue Entwicklungen sind oder einfach die Verfügbarkeit von Smartphone-Kameras so etwas nur sichtbar macht.
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Der Twitter-Hack vor wenigen Wochen lässt das Unternehmen und seinen Umgang mit IT-Sicherheit weiter schlecht aussehen. Mittlerweile ist bekannt, dass die Zugangsdaten, die benötigt wurden um im Namen zahlreicher Prominenter und Politiker:innen zu twittern und auf ihre Direktnachrichten zuzugreifen, per Telefon und Social Engineering abgefragt wurden. Sie standen für viele Mitarbeiter frei zugreifbar im Chat-System rum. WTF?
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Ich war in den vergangenen Wochen häufiger in verschiedenen Wäldern. Und überall fiel mir auf, dass es den Bäumen viel schlechter geht, als ich es jemals wahrgenommen habe. Das ist aber nicht nur ein Gefühl, leider leiden unsere Wälder an den schwersten Schäden seit 200 Jahren. Schuld daran ist die anhaltende Dürre. Das wird sich wahrscheinlich auch nicht bessern.
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Und wo wir schon mal bei den schlechten Nachrichten sind: Das Insektensterben lässt Ernten schrumpfen: Wo sind all die Bienen hin?
Das Letzte:
Wählen per Computer ist eine der bescheuertsten Ideen der Digitalisierungsdebatte. Niemand kann garantieren, dass die Computer auch nur genau das zählen, für was ein/e Wähler/in die eigene Stimme abgibt. Das sieht auch das Bundesverfassungsgericht so, das im Urteil zu Wahlcomputern schon vor über zehn Jahren Kriterien aufgestellt hat, die auf lange Sicht absehbar einfach nicht erfüllbar sind. Und das ist nichts schlechtes, weil so verhindert werden kann, dass unsere Wahlen im Verborgenen manipuliert werden.
Im Youtube-Kanal von Terra X erklärt Harald Lesch in sieben Minuten nochmal das Thema: Wahlmaschinen – eine gute Idee?
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Das war es für heute. Viele Grüße und bleibt gesund,
Markus Beckedahl
Ich freue mich immer über Feedback und gute Hinweise. Meine Mailadresse ist markus@netzpolitik.org. Ich bin zwar häufig von zu vielen eMails überfordert und bekomme nicht alle beantwortet. Aber ich lese alle Mails.
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