[bits] Glauben Sie an Masern?

Hallo,

das Thema Verschwörungsmythen wird endlich ernster genommen. Das zeigen nicht nur die vielen Berichte und Artikel der vergangenen Wochen. Es kommen auch immer mehr Studien heraus, die Gründe und Ursachen untersuchen.

Aktuell hat die Konrad-Adenauer-Stiftung für eine repräsentative Umfrage Meinungen eingeholt: Sie sind überall (PDF). Die gute Nachricht ist: Der Großteil der Gesellschaft ist weiterhin normal. Aber wie gehen wir mit den 15 Prozent Menschen um, die allen medizinischen Erkenntnissen widersprechen und der Meinung sind, die Masernimpfung wäre gefährlicher als die Masern selbst? (CDU/CSU sowie AfD-Anhänger:innen sind noch empfänglicher dafür). Was machen wir mit den 11 Prozent, die sich sicher sind, dass die Welt durch geheime Mächte gesteuert werde? Und wie holen wir die weiteren 19 Prozent, die das nur für „wahrscheinlich sicher“ halten, zurück zu einer empirischen, faktengeleiteten und komplexeren Analyse von Machtstrukturen und politischen Systemen?

Es kommen viele Faktoren zusammen, warum Menschen an solche Mythen glauben wollen. Das Alter spielt eine Rolle, Ängste, Bildung, aber eben auch ein Misstrauen gegenüber Institutionen, das zu Demokratieverdrossenheit führt. Und es fehlt an Digitalkompetenzvermittlung. Denn wenn wir nicht alle lernen, in sozialen Medien Quellen besser einzuschätzen, dann sind wir als Gesellschaft empfänglicher für Desinformation und den größten Mist, den irgendwer auf irgendeinem Kanal verbreitet.

Die große Frage ist immer noch: Wer bezahlt die vielen notwendigen Programme zur Steigerung der Digitalkompetenz? Und wie kann unsere Demokratie wieder mehr Menschen begeistern?

Neues auf netzpolitik.org:

Immer wieder ein Problem bei den großen Plattformen sind intransparente Sperrungen. Aus Brüssel berichtet Alex Fanta: Facebook sperrte Seite von Extinction Rebellion

Drei Tage lang ist die Seite von Umweltaktivist:innen aus Belgien nicht erreichbar. Facebook reagiert erst nach erheblicher Kritik. Warum es überhaupt zu der Sperre kam, beantwortet der Konzern nur vage.

Charlotte Pekel über den Versuch von Energiekonzernen, Kund:innen abzulehnen, die häufig wechseln um günstige Vertragsbedingungen zu bekommen: Datenpools könnten Verbraucher:innen den Stromanbieterwechsel erschweren

Die Wirtschaftsauskunfteien Schufa und Crif Bürgel haben offenbar Konzepte für Datenpools entwickelt, in denen Energieversorger Informationen über Kund:innen sammeln könnten. Die Anbieter könnten die Daten nutzen, um Verbraucher:innen systematisch am Vertragswechsel zu hindern.

Kurze Pausenmusik:

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Was sonst noch passierte:

Einen spannenden aktuellen Überblick auf das Thema „Digitale Souveränität“ (PDF) hat das Kompetenzzentrum Öffentliche IT (ÖFIT) bei Fraunhofer Fokus veröffentlicht: „Wir verstehen digitale Souveränität nicht als absoluten Zustand, sondern als eine facettenreiche strategische Autonomie, die durch den bewussten Umgang mit und das gezielte Steuern von gegenseitigen Abhängigkeiten in der Digitalisierung hergestellt wird.“ Die Handlungsempfehlungen kann ich alle so unterschreiben.

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Über die Ökonomie hinter „Ransomware“ (sogenannte Erpressersoftware) hat die Süddeutsche Zeitung ein Interview mit der IT-Sicherheitsexpertin Sherrod DeGrippo geführt: „Fallen zwei oder drei Gangs weg, kommen fünf neue“. Auch dort gibt es mittlerweile Arbeitsteilung, die einen schreiben die Software, andere mieten die und führen Erpressungen durch und auch Service und Support wird immer wichtiger.

Aber am allerwichtigsten ist natürlich das Thema Backup: Wenn man regelmäßig Backups macht, verringert man die Wahrscheinlichkeit, dass man irgendwann mit dem Chat-Support einer Erpressergruppe über das Rückkopieren der eigenen Daten verhandeln muss.

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Einen Einblick in das Thema journalistischer Selbstkontrolle bietet der Deutschlandfunk-Hintergrund mit einem Beitrag über den Presserat: Wie die deutsche Presse sich selbst kontrolliert. Dieser wird von den großen Medienverbänden und -gewerkschaften betrieben und soll als Institution Fehlentwicklungen und journalistische Übergriffe untersuchen und ggf. rügen. Das funktioniert natürlich nicht immer zu aller Zufriedenheit, vor allem wenn Akteure wie die Bild-Zeitung dort auch Mitglied sind.

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Der Think-Tank Progressives Zentrum hat für die vergangenen drei Jahre Talkshows untersucht und sich hier vor allem für die Themen Repräsentanz und Pluralismus interessiert: Wer spricht für wen? – Die Talkshow-Gesellschaft. Damit ist etwas anderes gemeint als wenn dort Markus Söder und Sarah Wagenknecht gegenübersitzen, weil die sind/waren alle Spitzenpolitiker:innen. Und davon sitzen sehr viele dort, aber wenig zivilgesellschaftliche Vertreter:innen. Und sonst diskutieren Spitzenpolitiker:innen in der Regel mit Journalist:innen, das nennen die Studienmacher:innen „Cliquenbildung“.

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Die kontrovers diskutierte Taz-Kolumne „All cops are berufsunfähig“ hat keine strafrechtlichen Folgen: Nicht strafbar. Das ist nicht überraschend, weil wir in einem Land leben, das Meinungs- und Pressefreiheit hoch hält. Andererseits haben wir einen Bundesinnenminister, der das suggerierte und die Erfüllung von Straftatbeständen gesehen hatte. Unschön ist, dass über die Kolumne dann tagelang diskutiert wurde und die Kolumnistin seitdem zahlreiche Morddrohungen und dergleichen erhalten hat, auch weil Horst Seehofer in populistischer Motivation weiter Öl ins Feuer gegossen hatte. Folgt da noch eine Entschuldigung?

Übrigens hat nicht mal der Presserat etwas gegen die Kolumne zu sagen: Von der Meinungsfreiheit gedeckt.
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In Deutschland wird das Wasser knapp. In Berlin ging man bisher immer davon aus, dass das nicht passieren wird, weil Wasser fließend mit der Spree ankommt. Das ist aber leider nicht mehr so, dem Berliner Boden fehlen pro Quadratmeter 40 Eimer Wasser. Auch die Spree ist abhängig von Regen und der fällt nicht mehr so oft: Das Wasser wird knapp. Und viel Wasser wird verschwendet, indem z.B. Rasen gesprenkelt werden und ein bedeutender Teil des Wassers verdunstet.

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Vergangene Woche ist Marc-André Janizewski verstorben, den viele unter seinem Spitznamen „Zewski“ kannten. Der Chaos Computer Club erinnert sich in einem Kondolenzartikel an sein Ehrenmitglied, dass maßgeblich an der kulturellen (Weiter-)Entwicklung der CCC-Events beteiligt war. Etwas mehr Einblick in sein Handeln und Leben gibt es in älteren Folgen des Küchenradios sowie bei Chaosradio Express zu hören. Gute Reise und danke für alles.

Videos des Tages: Noch mehr Verschwörungs-Hippies

Einige waren in den vergangenen Wochen überrascht, dass Nazis ohne Probleme neben Esoteriker:innen demonstrieren können. Eine drei Jahre alte Dokumentation vom Bayrischen Rundfunk ging schon damals der Frage nach, inwiefern sich in der deutschen Esoterikszene antisemitisches und braunes Gedankengut ausbreiten: Gefährliche Allianz – Grüne Esoterik und braune Philosophie?

Zu dem Thema passt auch der Beitrag „Nazi Hippies: when the New Age and Far-Right overlap“ von Jules Evans, den man bei Medium.com lesen kann.

Eine französische Perspektive auf Verschwörungsmythen bietet die Sendung Square auf Arte: Verschwörungstheorien – Gefahr oder Wirklichkeit.

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Das war es für heute. Viele Grüße und bleibt gesund,
Markus Beckedahl

Ich freue mich immer über Feedback und gute Hinweise. Meine Mailadresse ist markus@netzpolitik.org. Ich bin zwar häufig von zu vielen eMails überfordert und bekomme nicht alle beantwortet. Aber ich lese alle Mails.

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