[bits] Handy-Daten ohne Ende!

Hallo,

es geht weiter um Handy-Daten ohne Ende! Nochmal kurz die Erklärung, weil alle durcheinander diskutieren und es nicht allen bewusst scheint: Es geht um mindestens drei verschiedene Szenarien in der Debatte.

1. Die Auswertung von anonymisierten Datensätzen, um z.B. grob Bewegungsströme analysieren zu können. Die Daten werden dabei in anonymisierter Form von Telekommunikationsunternehmen an das Robert-Koch-Institut übergeben. Ich finde es zwar nicht schön, dass Unternehmen diese Datensätze zu Marketingzwecken verkaufen, weil die Gefahr besteht, dass sie deanonymisiert werden könnten. Aber ich kann als Kunde wenigstens einer solchen Nutzung widersprechen. Darüber wurde zuerst diskutiert, aber zur Verfolgung von Infektionsketten bringt dieser Ansatz nichts.

2. Die Übermittlung der Verkehrs- und Standortdaten an die Gesundheitsbehörden. Das ist nichts anderes als eine Vorratsdatenspeicherung, sogar mit noch weniger Rechtsstaat als beim Original. Der Versuch, das in der Reform des Infektionsschutzgesetzes zu verankern, scheiterte vor zwei Wochen zum Glück an zu großem Widerstand. Und das war gut so. Denn dieser Ansatz funktioniert technisch gesehen nicht für den geplanten Zweck, weil die Daten aus Funkzellenauswertungen viel zu ungenau sind. Eine Funkzelle kann ein ganzes Dorf oder mehrere Straßenzüge in einer Großstadt mit tausenden Menschen umfassen. Wie will man da nachvollziehen, wer mit wem Kontakt gehabt haben könnte? Außerdem sprechen diverse Grundrechtsfragen gegen diesen Ansatz. Eine Abwandlung dieser Debatte sind GPS-Daten, die aber auch zu ungenau sind, um technisch Sinn zu machen.

3. Eine freiwillige App bietet die Chance, mögliche Infektionsketten grundrechtsfreundlich zu dokumentieren und nachvollziehbar zu machen. Das ist die aktuelle Debatte in der vierten Woche. Darüber hat gestern auch prominent die Tagesschau berichtet und es gibt ein App-Vorbild aus Singapur. Natürlich kommt es hier vor allem auf die technische und rechtliche Gestaltung einer solchen App an, was sehr wichtig ist, denn diese soll ja auch Vertrauen und Akzeptanz in der Gesellschaft schaffen. So dass sie häufig genutzt wird.

Wie eine solche App aussehen könnte, haben gestern Johannes Abeler, Matthias Bäcker und Ulf Buermeyer in einem Gastbeitrag auf netzpolitik.org skizziert: Corona-Tracking & Datenschutz: kein notwendiger Widerspruch.

Ich habe dazu heute Ulf Buermeyer angerufen und er hat mir in rund acht Minuten nochmal den Artikel zusammengefasst. Hier könnt Ihr euch das anhören:

Neues bei netzpolitik.org

Am Wochenende haben wir unseren monatlichen OnTheRecord-Podcast veröffentlicht, für den Chris Köver, Daniel Laufer und ich aus dem Heim-Office darüber geredet haben, wie wir unsere Arbeit aktuell umgestellt haben, was das für uns bedeutet und was wir trotzdem geschafft haben.. Das einstündige Gespräch gibt es im Netzpolitik-Podcast zu hören.

Der Wissenschaftler Maximilian Heimstädt beschreibt in einem Gastbeitrag, wie auf sogenannten Preprint-Servern im Moment auch ein Kampf um wissenschaftliche Deutungshoheit im Rahmen der Coronakrise und -forschung stattfindet. Wer im Drosten-Podcast an der passenden Stelle aufgepasst hat, findet hier eine grundlegendere Einordnung: Zwischen Fast Science und Fake News.

Ebenfalls zur Coronakrise zählt der Gast-Kommentar von Wolf Schünemann über die „Infodemie“ im Rahmen der Pandemoie. Es geht um Falschnachrichten und die Frage, wer festlegt, was falsch oder richtig ist. Und er erinnert an den Fall des chinesischen Arztes Li Wenliang, der die Weltöffentlichkeit über Covid19 unterrichtete, der aber von der eigenen Regierung deswegen als Verbreiter von Fake News angegriffen wurde. Das sei ein mahnendes Beispiel: Desinformation zu bestrafen, ist die falsche Therapie.

Wissenswertes zum Coronavirus

Das LexCorona-Wiki sammelt „im Zusammenhang mit der sogenannten Corona-Krise erlassenen Rechtsakte (Gesetze, Rechtsverordnungen, Allgemeinverfügungen etc.) und Gerichtsentscheidungen.“ Nicht nur für Jura-Nerds interessant.

Auf Zeit-Online beschreibt Kai Biermann, wie manche Pläne zur Bekämpfung der Coronakrise zu „gefährlicher staatlicher Willkür und Überwachung“ führen können: Der Rechtsstaat leidet unter Corona.

Für Deutschlandfunk Kultur hat Moritz Metz beschrieben, wie die Maker-Szene Beatmungsgeräte im Eigenbau entwickelt.

Was sonst noch passierte:

Google’s Right-to-Be-Forgotten Fine Toppled by French Court (Bloomberg)
Ein französisches Gericht hat eine 100.000-Euro-Strafe gegen Google wegen vorgeworfener Verstöße gegen das „Recht auf Vergessenwerden“ aufgehoben. Das Urteil kommt nach einer Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs im Vorjahr, nachdem das Recht auf Vergessenwerden nur innerhalb Europas gilt, nicht global.

Trump Won the Internet. Democrats Are Scrambling to Take It Back. (New York Times)
Die Pandemie hat den laufenden Vorwahlkampf in den USA aus den Schlagzeilen vertrieben, aber diesen Herbst tritt Donald Trump wohl dennoch zur Wiederwahl an. Wichtigstes Wahlkampfgebiet ist mehr denn je das Internet, dort hat Trump mit seinen massiven Facebook-Kampagnen und Desinformationstaktiken bisher einen Vorteil. Die US-Demokraten bemühen sich darum, das zu ändern, allerdings gilt ihr wahrscheinlicher Gegenkandidat Joe Biden als der am wenigsten digitalaffine Bewerber.

Coronavirus: Media Markt und Saturn stoppen Mietzahlungen (Golem.de)
Dass es mal en vogue werden würde, keine Miete zu zahlen, hätte vor ein paar Wochen wohl auch keiner gedacht. Was früher noch der Hausbesetzer:innen-Szene vorbehalten war, entdecken nun auch nach Adidas und H&M die großen Elektronikmärkte für sich.

Open letter: Civil society urges Member States to respect the principles of the law in Terrorist Content Online Regulation (EDRi)
Trotz Corona steht die EU-Gesetzgebung nicht still: Die EU-Staaten und die Kommission drängen weiterhin darauf, Uploadfilter und sehr kurze Löschfristen für angebliche oder tatsächliche terroristische Inhalte auf Online-Plattformen verpflichtend zu machen. Ein breites Bündnis von zivilgesellschaftlichen Gruppen ruft nun die EU-Mitgliedsstaaten auf, in dem laufenden Gesetzgebungsprozess geltendes Recht und Grundrechte zu respektieren. Wie schlimm, dass das extra gefordert werden muss!

Audio des Tages: Corona-Verschwörungen

Die Bundeszentrale für politische Bildung hat mit „Die Wahrheit in Zeiten von Corona“ einen neuen Podcast zum Thema Verschwörungsmythen rund um das Virus gestartet. Bisher gibt es zwei Folgen, in der ersten geht es um die gängigsten Mythen und im zweiten um die sozialpsychologischen Aspekte. Bin gespannt auf mehr.

Video des Tages: Maja Göpel

Die Politökonomin Maja Göpel ist Generalsekretärin des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WGBU) und Mitglied bei Scientists for Future. Auf unserer vergangenen Netzpolitik-Konferenz hat sie über den Zusammenhang von Digitalisierung und Nachhaltigkeit gesprochen (Video) und gerade das Buch „Unsere Welt neu denken“ publiziert. Das ist leider auf dem Weg zu mir ins Büro wegen Corna verschollen, aber ich werde es noch lesen. Einen Auszug gibt es bei den Blätter für deutsche und internationale Politik: Unser Wunsch nach mehr, unsere Angst vor weniger. Dazu war sie in der Talk-Sendung von Richard David Brecht und plädiert dort in 45 Minuten dafür, Öknonomie und Ökologie angesichts des Klimawandels in Einklang zu bringen.

Aus der Reihe: Ehrlicher Kommentar

Bei netzpolitik.org bekommen wir täglich zahlreiche Zuschriften und Leser:innenkommentare. Selten werden diese aber durch so wahre Worte eingeleitet, wie ich heute überrascht wurde:

„ohne Ihre Darstellung gelesen zu haben, möchte ich anmerken:“.

Das war es für heute. Viele Grüße und bleibt gesund,
Markus Beckedahl

Ich freue mich immer über Feedback und gute Hinweise. Meine Mailadresse ist markus@np. Ich bin zwar häufig von zu vielen eMails überfordert und bekomme nicht alle beantwortet. Aber ich lese alle Mails.

Diesen Newsletter kann man hier abonnieren.

Im Anfangsstadium gibt es hier keine zusätzliche Redaktion und Qualitätskontrolle. Rechtschreibfehler werden zwar vermieden, können aber auftreten und müssen in diesem Fall leider auch behalten werden. Dieser Newsletter wird auch von vielen Spenden im Rahmen der freiwilligen Leser:innenfinanzierung von netzpolitik.org ermöglicht. Mit Deiner Unterstützung können wir noch viel mehr machen.