[bits] Kein blindes Vertrauen gegenüber Polizeibehörden

Hallo,

auf EU-Ebene wird wieder über Gesetzesprozesse diskutiert, die aufgrund der Corona-Krise die vergangenen Monate aus dem Fokus und dem parlamentarischen Alltag geraten waren. Ein problematisches Gesetz ist die sogenannte E-Evidence-Verordnung, die „Verordnung über Europäische Herausgabeanordnungen und Sicherungsanordnungen für elektronische Beweismittel in Strafsachen“.

Damit soll der Zugriff von Behörden auf private Daten von Bürger:innen vereinfacht werden. Dafür gibt es Argumente, da die aktuellen Wege mit Rechtshilfeersuchen sehr bürokratisch und häufig langwierig sind.

Aber der eingeschlagene Weg schafft viele neue Probleme. Vor allem befürchten viele Organisationen aus der digitalen Zivilgesellschaft, dass hier nicht ausreichend rechtsstaatliche Hürden eingebaut sind. Und demnächst ungarische Sicherheitsbehörden ohne richterliche Kontrolle in Deutschland Zugriff auf Daten von ungarischen Demokratie-Aktivist:innen bekommen könnte, oder polnische Sicherheitsbehörden sich für Daten von polnischen LGBTQ-Aktivist:innen interessieren könnten.

Und auch die vielen Abfragen von persönlichen Daten von Journalistinnen und Politikerinnen in deutschen Polizeicomputern wecken Sorgen, dass hier nicht ausreichend rechtsstaatlicher Schutzmechanismen eingebaut sind.

Wir verfolgen die Debatte um die e-Evidence-Verordnung sehr intensiv von Anfang an und waren zwischenzeitlich positiv überrascht, dass vor einem Jahr das deutsche Bundesjustizministerium unsere Sorgen und Bedenken aufgegriffen hat: Bundesregierung fürchtet um Journalisten und Klimaaktivisten. Aber ob sich das BMJV auch gegen das Bundesinnenministerium in diesen Fragen durchsetzen kann, ist ungewiss.

In einem Gastbeitrag bringt Chloé Berthélémy vom NGO-Dachverband European Digital Rights (EDRi) die notwendige Kritik nochmal auf den Punkt: Blindes Vertrauen gegenüber Polizeibehörden.

Neues auf netzpolitik.org:

Es gibt ein Ende der aktuellen TikTok-Soap. Mittlerweile sind aufgrund eines Ultimatums von US-Präsident Donald Trump die Details des Deals klar, den das chinesische Unternehmen Bytedance mit Oracle gemacht hat. Bytedance soll die Mehrheit an einem zu gründenden US-Unternehmen behalten, die US-Sicherheitsbehörden dürften damit demnächst vollen Zugriff auf die US-Nutzer:innen-Daten erhalten. Der Deal muss noch genehmigt werden. Die Auswirkungen auf europäische Nutzer:innen durch dann möglicherweise drei TikTok-Versionen (Chinesisch, USA und Rest der Welt) sind noch unklar.

Markus Reuter hat die aktuellen Entwicklungen zusammengefasst: TikTok wird ein US-Unternehmen.

Zum Ablauf des Trumpschen Ultimatums gegen die chinesische Video-Plattform TikTok scheint es Bytedance gelungen zu sein, einen Verkauf zu vermeiden. Der neue Deal würde bedeuten, dass die Konkurrenz für Facebook, Instagram und Co. nun ebenfalls US-amerikanisch wird.

Schlechte Neuigkeiten aus Österreich hat Matthias Monroy: Polizei nutzt Gesichtserkennung für Demonstrationen.

Der polizeiliche Lichtbildvergleich in Österreich und Deutschland stammt von der Firma Cognitech aus Dresden. In beiden Ländern wurde die Technik in Ermittlungen nach politischen Versammlungen genutzt. Die EU will Abfragen von Gesichtsbildern zukünftig in allen Mitgliedstaaten ermöglichen.

Kurze Pausenmusik:

Dieser Newsletter wird, neben viel Herzblut, durch Spenden unserer Leser:innen ermöglicht. Hier kann man uns mit einem Dauerauftrag oder Spende unterstützen.

Wir freuen uns auch über etwas Werbung für den bits-Newsletter, um mehr Mitlesende zu bekommen. Hier geht es zur Anmeldung.

Feedback und sachdienliche Hinweise bitte an markus@netzpolitik.org schicken.

Was sonst noch passierte:

Über die neuen Pläne der EU-Kommission, Hintertüren in sozialen Medien zu forcieren, haben wir vor zwei Wochen bereits ausführlich berichtet. Jetzt gibt es mehr Kommentierung auf anderen Plattformen. Die ehemalige EU-Abgeordnete Julia Reda kommentiert in ihrer Edit Policy-Kolumne auf Heise-Online: Die neuen Crypto-Wars.

Und bei Golem kommentiert Moritz Tremmel mit guten technischen Beispielen für den Irrsinn: Uploadfilter in Messengern: Ende-zu-Ende-Verschlüsselung muss bleiben!

===

e-Government ist ein Fass ohne Boden, ein ziemlicher Industrie-Sumpf und überhaupt nicht vergnügungspflichtig. Vor allem funktioniert fast nichts richtig. Wir hätten gerne mehr Ressourcen, um bei dem Thema mehr Licht ins Dunkle zu bringen, sind aber mit vielen anderen Themen schon ausgelastet. Der Spiegel berichtet jetzt, dass die seit langem angekündigte Modernisierung der Bundes-IT wieder zuverlässig an die Wand gefahren wird. Zeitpläne und Budgets sind komplett aus dem Ruder gelaufen und es ist unklar, ob die Strategie weitergeführt und beendet werden kann: „Alle Projekte gestoppt“.

===

Über virtuelle Clubnächte in Mindcraft schreibt Verena Dauerer für das Qiio-Magazin: Digital Dancing – Im virtuellen Club mit hüpfenden Avataren. Das ist etwas aufwändig, macht nicht ganz soviel Spaß wie real, aber dafür ist es Corona-Kompatibel. Wenn man alles notwendige installiert und zum laufen bekommen hat.

===

Der Spiegel hat die Nominierungen für den Deutschen Kindersoftwarepreis Tommi vorgestellt. In verschiedenen Kategorien (Vor allem Hardware-Kategorien) gibt es viele aktuelle gute Spiele für Kinder (und Erwachsene) zu finden.

===

Die Süddeutsche Zeitung vermeldet Rekord-Abos bei Digitalen Abonnenten (Verdoppelung auf 150.000 Stück), will aber trotzdem 50 Redakteur:innen entlassen, insgesamt sind das 10 Prozent der Redaktionsbelegschaft. Zu dem „Effizienzprogramm gehören hohe Abfindungen für die, die jetzt freiwillig gehen wollen. Es ist aber unklar, was passiert, wenn sich nicht ausreichend Personal dafür findet, wie Anne Fromm in der taz zusammenfasst: Sparen in München.

===

The Intercept fühlt sich missverstanden in der Berichterstattung der New York Times über die eigenen Fehler beim Aufdecken der NSA-Whistleblowerin Reality Winner (Siehe bits-Ausgabe von Montag). Dazu gibt es jetzt ein Statement der Redaktion, die viele Vorwürfe zurückweist.

===

In Nordrhein-Westfalen ermitteln die Behörden gegen 29 Polizisten wegen der Verbreitung und des Empfangs rechtsextremistischer Propaganda: Rechtsextremes Netzwerk bei Polizei aufgedeckt. Es gab Razzien und die 29 Personen sind vom Dienst suspendiert worden. Besonders betroffen soll das Polizeipräsidium Essen sein.

===

Der Kult-Film „Hackers“ feierte gestern 25. Geburtstag. Jake Davis erinnert auf Motherboard daran: Real Hackers Tell Us Why They Love the Movie ‚Hackers‘. Dabei fiel mir auf, dass man den Film nicht in Deutschland legal sehen kann, aber Bittorrent ist hier der passende Freund.

Video des Tages: Big Pharma

Die Arte-Dokumentation „Big Pharma – Die Allmacht der Konzerne“ beleuchtet den Einfluss der Gesundheitsindustrie auf unsere Gesundheitssysteme.

===

Das war es für heute. Viele Grüße und bleibt gesund,
Markus Beckedahl

Ich freue mich immer über Feedback und gute Hinweise. Meine Mailadresse ist markus@netzpolitik.org. Ich bin zwar häufig von zu vielen eMails überfordert und bekomme nicht alle beantwortet. Aber ich lese alle Mails.

Diesen Newsletter kann man hier abonnieren.

Im Anfangsstadium gibt es hier keine zusätzliche Redaktion und Qualitätskontrolle. Rechtschreibfehler werden zwar vermieden, können aber auftreten und müssen in diesem Fall leider auch behalten werden. Dieser Newsletter wird auch von vielen Spenden im Rahmen der freiwilligen Leser:innenfinanzierung von netzpolitik.org ermöglicht. Mit Deiner Unterstützung können wir noch viel mehr machen.