[bits] Keine Masken, keine Demo?

Hallo,

am Wochenende mobilisieren alle neurechten Netzwerke, rechtsradikale Parteien und sonstige Corona-Leugner:innen zu Demonstrationen und Camps nach Berlin. Damit möchte man an die letzte Anti-Corona-Demo anschließen, als Anfang des Monats bereits rund 20.000 Menschen mit demselben Anliegen zusammenkamen.

Auf der letzten Demo wurde provokant auf das Tragen von Masken verzichtet und die Polizei schien überfordert, das Tragen von Masken und einen Mindestabstand durchzusetzen.

Der Berliner Innensenator Andreas Geisel (SPD) hat jetzt die für Samstag geplante Demonstration verboten und begründet das mit den Erfahrungen von Anfang August. Dies sei keine „Entscheidung gegen die Versammlungsfreiheit, sondern eine Entscheidung für den Infektionsschutz“. Ich bin mir immer noch unsicher, ob ich ihm ausnahmsweise mal Recht geben sollte.

Hier geht es um die Abwägung zweier Grundrechte und das wird häufig übersehen, wenn nur auf die wichtige Versammlungsfreiheit geschaut wird. Es ist auch klar, dass die Durchsetzung von Demo-Auflagen wie dem Tragen von Masken ab einer bestimmten Teilnehmer:innen-Menge nicht wirklich funktioniert, gerade bei der Klientel – oder möglicherweise nur mit Gewalt erreicht werden kann. Das wäre genau die Bilder, von denen viele rechtsextreme Akteure seit langem in ihren Bürgerkriegs-Fantasien träumen. Aber vielleicht könnte man es doch motiviert durchsetzen. Noch ist unklar, wie die Gerichte reagieren werden und ob das Verbot Bestand haben wird.

Ich bin mal gespannt, wie sich die Situation am Wochenende in Berlin entwickelt, wenn auch ohne genehmigte Demonstration viele Menschen deswegen anreisen wollen. In den vielen Kanälen der zur Demo aufrufenden Akteure findet man jetzt Aufrufe zu Waffengewalt, Besetzungen, dem Bauen von Galgen und sonstigen Fantasien.

Vor allem ist es etwas absurd, wenn diejenigen sich jetzt als Hüter der Verfassung inszenieren, die sonst nur damit beschäftigt sind, diese abzuschaffen.

Interessant fand ich einen Kommentar von Christian Bangel auf Zeit-Online. Er argumentiert, dass das Verbot aus epidemiologischen, aber auch aus politischen Gründen richtig sei. Und die Politik keine Angst mehr vor den Rechten haben sollte: Neue Härte.

Markus Reuter sieht das bei netzpolitik.org etwas anders: Demonstrationsfreiheit ist nicht Geschmacksache.

Wer Grundrechte wie die Versammlungsfreiheit verteidigt, muss das auch für Nazis und Verschwörungsfreaks tun. Das Verbot der Demo in Berlin ist falsch, der plötzliche Kampf der Bild-Zeitung für Grundrechte verlogen. Ein Kommentar zwischen allen Stühlen.

Neues auf netzpolitik.org

Marie Bröckling hat nochmal die aktuelle Debatte um die Nutzung von privaten eMails durch Regierungsmitglieder aufgeschrieben, das hier im Newsletter vor zwei Tagen Thema war: Regierungsmitglieder dürfen ihre privaten E-Mail-Konten offiziell nutzen.

Die Arbeit von Abgeordneten und Minister:innen soll nachvollziehbar sein. Doch es gibt keine rechtliche Regelung, die ihnen vorschreibt, auf welchem Wege sie dienstliche Kommunikation verschicken dürfen.

Jana Ballweber fasst eine neue Studie zusammen: Immer dichtere Vernetzung bei YouTube-Accounts am rechten Rand.

Rechte politische Akteur:innen haben auf YouTube in den letzten Jahren ein immer engeres Netzwerk unter Kanälen und Kommentator:innen aufgebaut. In der Themenwahl und Tonalität unterscheiden sich die YouTube-Kanäle zwar, doch sie eint die Ablehnung der aktuellen deutschen Migrationspolitik.

Kurze Pausenmusik:

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Was sonst noch passierte:

Neues aus dem ZDF-Fernsehrat, wo unser Autor Leonhard Dobusch als „Vertreter des Internets“ drin sitzt (und regelmäßig auf netzpolitik.org über seine Arbeit und die des Gremiums berichtet. Leonhard hat mit anderen durchgesetzt, dass es zukünftig Livestreams der Sitzungen geben kann. In der Realität wird sich zeigen, wie oft es diese tatsächlich geben wird, aber alleine schon die Aufnahme der Möglichkeit in die Tagesordnung ist eine kleine Revolution für solche Gremien, die jahrzehntelang davon lebten, dass die Öffentlichkeit aufgrund fehlenden Zugangs nicht so genau mitbekam, was da in unserem Namen beschlossen wurde.

In der Medienkorrespondenz gibt es eine Einordnung: Mehr Transparenz: ZDF‑Fernsehrat ermöglicht Livestreams von Sitzungen des Gremiums. Im Vorfeld der letzten Sitzung hatte Leonhard die Idee vorgestellt: Vorschläge für mehr Transparenz in der Geschäftsordnung.

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Das Bundeskanzleramt hatte leider vergessen, dem Bundestag mitzuteilen, dass Karl-Theodor zu Guttenberg einen Termin bei Angela Merkel wahrgenommen hatte, um für die beiden dubiosen Unternehmen Wirecard und Augustus Intelligence zu lobbyieren. Der Termin ist jetzt durch eine Informationsfreiheitsanfrage rausgekommen. Ende Juni hatte das Bundeskanzleramt den Termin in der Antwort auf eine kleine Anfrage zu Lobbyterminen rund um August Intelligence nicht genannt, wie der Spiegel berichtet: „Liebe Angela, danke für das gute Gespräch“.

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Einen sehr langen Text mit Einordnungen und Forderungen zur Überwindung des Überwachungskapitalismus in fast schon Buch-Form hat der Science-Fiction Autor und Aktivist Cory Doctorow bei Onezero veröffentlicht: How to Destroy Surveillance Capitalism. Geschätzte Lesezeit laut Medium: 109 Minuten. Davon hätte ich jetzt gerne noch eine eBook-Fassung.

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Gamesplattformen wie Steam werden auch von Rechtsextremen bespielt, um dort Nachwuchs zu rekrutieren. Dabei hilft ihnen auch eine toxische „Ironie“-Kultur, die man von Imageboards wie 4chan kennt, und wo mit Memen und bestimmten Codes Propaganda verbreitet wird. Bei Tagesschau.de gibt es dazu ein Interview mit dem Kulturwissenschaftler Christian Huberts, der erklärt, wie das funktioniert: „Hass wird normalisiert“.

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Gute Nachrichten von HBO: Zur kommenden US-Wahl soll es eine Sonderepisode von „The West Wing“ mit dem alten Cast geben, um mehr Menschen zum Wählen zu motivieren: Legendäre US-Serie „The West Wing“ kehrt mit Sonderfolge zurück. „The West Wing“ wurde nach sieben Staffeln 2007 abgesetzt und gilt als eine der größten Politik-Serien aller Zeiten. Ich wundere mich immer noch, dass die Staffeln nirgends auf legalen Videoplattformen im deutschsprachigen Raum zu finden sind.

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Die isländische Band GusGus wird 25 Jahre alt und fast genauso lang bin ich Fan ihres Techno/Souls, wie sie sich selbst beschreiben. In einem Interview mit einem isländischen Musik-Magazins schauen sie in ihrer Karriere zurück und es gibt Musikvideos ihrer diversen Phasen: GusGus, The Impossible Band: 25 Years Of Intrigue, Drama And Music.

Video des Tages: Wo sind die Bitcoins?

Die Dokumentation „Bitcoin Big Bang – 800 Millionen Dollar verschwinden“ verfolgt die Geschichte des Online-Handelsplatzes Mt.Gox, wo mal sehr viele Bitcoins verschwunden sind.

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Das war es für heute. Viele Grüße und bleibt gesund,
Markus Beckedahl

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