[bits] Nach den Rechten schauen

Hallo,

nach dem Ausstieg von IBM aus dem Verkauf von Gesichtserkennungsüberwachungsdienstleistungen hat jetzt auch Amazon angekündigt, keine Gesichtserkennungssysteme an die US-Polizei zu verkaufen – zumindest für ein Jahr. Während die Aussagen und Bekenntnisse im Fall von IBM klarer waren, muss man das bei bei Amazon eher für einen geschickten PR-Zug sehen und einem erneuten Ruf nach Regulierung. Die großen Plattformen sitzen auf Technologien, die leider besser funktionieren als man denkt. Gleichzeitig ist ihnen auch bewusst, welchen Schaden der Einsatz dieser Überwachungstechnologien mit sich bringen kann und wünschen sich Vorgaben durch den Gesetzgeber. Auch, um sich selbst aus der Verantwortung ziehen zu können.

Markus Reuter fasst das zusammen: Amazon setzt Gesichtserkennung für Polizei ein Jahr aus.

Gerade auch im Kontext von #blacklivesmatter kommt immer mehr Kritik an automatisierten Gesichtserkennungsüberwachungssystemen auf. Die Algorithmic Justice League formulierte vergangene Woche in einem offenen Brief: We Must Fight Face Surveillance to Protect Black Lives“.

Auch in Deutschland besteht die Gefahr, dass immer mehr solche Überwachungssysteme im öffentlichen Raum verbaut werden. Die Kampagne gesichtserkennung-stoppen.de warnt vor dieser Hoch-Risikotechnologie, die mehr Schaden als Nutzen bringen kann.

Neues bei netzpolitik.org:

Europol arbeitet mit der umstrittenen Überwachungsfirma Palantir zusammen, wie Mathias Monroy berichtet: „Europol nutzt Palantir“.

Zur Auswertung von Massendaten setzt die Europäische Polizeiagentur seit 2016 die Software „Gotham“ ein. Den Vertrag über 7,5 Millionen Euro hat Europol mit der Firma Capgemini geschlossen, etwas mehr als die Hälfte des Geldes ist bereits ausgegeben. Palantir warb für die Software auf dem „Europäischen Polizeikongress“.

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Julia Barthel hat sich angeschaut, wie die Bertelsmann-Stftung zusammen mit iRights Labs einen Baukasten für die KI-Praxis gebaut haben: „Mit 145 Fragen zu besseren Entscheidungssystemen“.

Mit ihren „Algo.Rules“ legt die Bertelsmann Stiftung einen Werkzeugkoffer für Entwickler:innen, Programmierer:innen und Designer:innen von automatisierten Entscheidungsregeln vor. Neben neun grundsätzlichen Regeln setzt der Leitfaden vor allem auf Orientierungsfragen für die Praxis.

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Wissenswertes zur Coronakrise:

Kommende Woche soll die Corona-Tracing-App offiziell gelauncht werden, die zur möglichen Nachvollziehbarkeit von Infektionsketten genutzt werden soll. Es ist ein großes Experiment und noch ist es unklar, ob und wie die App dazu beitragen kann, dass wir weitere Wellen und Ausgangsbeschränkungen bis zu einem Impfstoff verhindern können. RBB-Inforadio hat mir mir in der Sendung vis-a-vis darüber gesprochen. Das längere Gespräch gibt es auf der RBB-Seite zum Nachhören.

Die Entwicklung der App soll den Steuerzahler übrigens rund 20 Millionen Euro kosten. Dazu kommen Betriebskosten zwischen 2,5 und 3,5 Millionen Euro pro Monat, die hauptsächlich für den Betrieb zweier Call-Center der Deutschen Telekom verwendet werden. Unklar ist, ob man sich dann bei der Hotline auch andere Funktionen des eigenen Smartphones erklären lassen kann.

Der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber hat gestern einen Brief an das Gesundheitsministerium veröffentlicht, in dem er Mitte Mai seine Position zur Frage einer gesetzlichen Grundlage für eine Corona-Tracing-App dargelegt hat. Er skizziert dabei drei mögliche Szenarien. Kurzfassung: Wenn die App wie bisher geplant nur auf mögliche Infektionskontakte für die Nutzenden selbst hinweisen soll, brauche es nicht zwingend ein eigenes Gesetz. Die Verarbeitung könne auf Grundlage der Einwilligung der Nutzer:innen erfolgen. Sinnvoll sei so ein Gesetz trotzdem, findet Kelber aus unterschiedlichen Gründen.

Was sonst noch passierte:

Der zuletzt beliebt gewordene Videokonferenzanbieter Zoom hat den Account einer chinesischen Dissidentengruppe gesperrt: Zoom suspends account of US-based Chinese activists after Tiananmen meeting. Das Vergehen der in den USA tätigen Aktivist:innen? Sie hatten zum Jahrestag des Massakers am Tiananmen-Platz eine virtuelle Gedenkveranstaltung auf der Plattform abgehalten. Rund 250 Nutzer:innen nahmen daran teil, einige davon waren aus China zugeschaltet. Der gesperrte und mittlerweile wieder aufgedrehte Account habe gegen „lokale Gesetze“ verstoßen, sagte das Unternehmen, das offensichtlich Interesse am chinesischen Markt hat.

Herzlichen Glückwunsch an Claudia Roth, die auch in zweiter Instanz gegen Roland Tichy gewonnen hat, der eine Unterlassungsklage gegen das folgende Zitat von ihr versucht hatte:

„Wir müssen die Stichwortgeber benennen, all diese neurechten Plattformen, deren Geschäftsmodell auf Hetze und Falschbehauptungen beruht – von Roland Tichy über Henryk M. Broder bis hin zu eindeutig rechtsradikalen Blogs.“

Das kann ich als Meinungsäußerung so unterschreiben. Wer sich gerade fragt, wer Henryk M. Broder ist: Der irrlichtert seit über zehn Jahren an der medialen Grenze zur rechtsextremen Szene und hat erst vor wenigen Tagen in der Zeitung Die Welt einen Beitrag veröffentlichen dürfen, der mit „Antifaschismus ist der neue Faschismus“ begann. Keine weiteren Fragen.

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Die Taz hat dafür mal wieder vor Verfassungsschutz und Co entdeckt, dass rechtsextreme Prepper mutmaßlich illegal auf einer Schießanlage in Sachsen-Anhalt trainierten: Schießtraining beim Verbandsbruder.

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Der mutmaßliche rechtsextreme Mörder des CDU-Politikers Walter Lübcke hätte eigentlich keine legale Waffe besitzen dürfen. Der Verfassungsschutz hatte Informationen über sein rechsextremes Engagement, aber aufgrund einer „Panne“ kam die Info leider nicht weiter: Panne beim Verfassungsschutz. Erst durch journalistische Recherchen wurde diese Information jetzt ein Jahr nach dem Mord bekannt, ein bekanntes Muster.

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Es gibt mal wieder einen neuen Einzelfall bei der Elitetruppe Kommando Spezialkräfte (KSK). Ein Stabsfeldwebel soll vom Militärischen Abschirmdienst (MAD) als Rechtsextremist eingestuft und vom Dienst suspendiert worden sein, da er eine „große Nähe“ zur Identitären Bewegung gehabt habe, die vom Verfassungsschutz als rechtsextremistisch eingestuft wird.

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Die Journalistenvereinigung Netzwerk Recherche zeichnet einmal im Jahr Journalist:innen mit dem „Leuchtturm für besondere publizistische Leistungen“ aus. Der Preis geht in diesem Jahr an Andrea Röpke, Julian Feldmann und Anton Maegerle. Alle drei recherchieren seit Jahren in der rechten Szene, wurden dafür vielfach bedroht und angefeindet, aber sie lassen sich nicht entmutigen und haben einen langen Atem. Aus der Begründung:

„Sie sind ausgewiesene Experten, wenn es um Personen, Strukturen und Verflechtungen in der rechten Szene geht. Alle drei behalten diese Szene auch dann im Blick, wenn das Thema Rechtsradikalismus für viele Medien gerade mal „keine Konjunktur“ hat.“

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Eine der absurdesten aktuellen Verschwörungsideologien ist der QAnon-Kult. In diesem Rahmen glauben Menschen u.a. daran, dass zigtausende US-Soldaten unter der Erde Europas in riesigen Tunnelsystemen gegen irgendwelche Kinderschänder kämpfen und Donald Trump der große Erlöser ist, der zusammen mit Putin und Xi Jinping im Hier und Netz gegen das Böse kämpft. Das ist alles eigentlich so absurd, dass man sich nicht damit beschäftigen möchte. Aber es gibt mit Xavier Naidoo prominente und reichweitenstarke Fürsprecher auch bei uns und in den USA sind die QAnons eine starke Unterstützerbewegung für Donald Trump geworden.

Dabei wirkt der Kult wie ein gescriptetes Alternate Reality Game, wird aber auch immer mehr zu einer Religion. (Was sich nicht widersprechen muss). Darüber berichtet der Deutschlandfunk in seiner Sendung „Tag für Tag“: Die Bewegung „QAnon“ wird zur Religion. Einen langen Text zum Thema gibt es bei The Atlantic: The Prophecies of Q – American conspiracy theories are entering a dangerous new phase.

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Dazu passt auch dieser Artikel in der Süddeutschen Zeitung, der über ein „Umstrittenes Fingerzeichen“ berichtet, das aktuell in den USA gerne als Geheimzeichen von Rechtsextremen verwendet wird und immer häufiger auch in der Popkultur zitiert wird.

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Die BBC hat jetzt einen Corona-Fact-Checking-Service für Afrika gestartet. Dort werden gängige Falschmeldungen auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft. Ich fand es sehr interessant, auch wenn man das mit deutschen Mythen vergleicht. Der Unterschied ist leider: Bei uns ist das lästig und nervig, in diversen Staaten Afrikas können Falschmeldungen dazu führen, dass Menschen sterben. Zu dem Thema hab ich mal vor einem Jahr eine BBC-Journalistin interviewt, die zur Verbreitung und den Folgen von Falschinformationen in Nigeria recherchiert hatte: Desinformationen auf Facebook und WhatsApp: „Sie führen zu ernsthaften Schäden in der realen Welt“.

Video des Tages: Pillenknick, Fußballplatz und kleine Nazis

Das Recherchezentrum correctiv hat zusammen mit der ARD-Dopingredaktion ein Jahr lang über Schmerzmittelmissbrauch im Fußball recherchiert und daraus ist 45 Minuten lange ARD-Dokumentation „Pillenknick“ entstanden.

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Und um damit wieder den Bogen zu den vielen rechtsextremen Themen des heutigen Tages zu spannen: In der WDR-Mediathek findet sich die 12 Minuten lange Kurz-Dokumentation „Tatort Fußballplatzsport“ über die rechtsextremen Grauen Wölfe, die auf Fußballplätzen Jugendliche in Deutschland für den türkischen Faschismus rekrutieren.

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Ebenfalls in der ARD-Mediathek gibt es die Dokumentation „Kleine Germanen – Eine Kindheit in der rechten Szene„. In einer Verbindung aus Animations- und Dokumentarfilm gibt es hier Einblicke in die Strukturen rechtsextremer Familien verschiedenster Ausprägung.

Audio des Tages: Österreichische Clubhits

Dann doch noch mal was positives zum Schluss: Die Redaktion des Radiosender FM4 hat die 50 (ihrer Meinung nach) besten Clubhits aus Österreich seit 1990 zusammengestellt. Die Liste kann man auf ihrer Webseite und auf Streaming-Plattformen anhören. Darunter sind zahlreiche aus der Hochphase österreichischer Kultur in den 90er Jahren, wo es mehr spannende Downtempo, Drum’n’bass und Acid Jazz-Sachen gab, als mir in dem Zeitraum aus Deutschland einfallen.

Viele Grüße und bleibt gesund,
Markus Beckedahl

Ich freue mich immer über Feedback und gute Hinweise. Meine Mailadresse ist markus@np. Ich bin zwar häufig von zu vielen eMails überfordert und bekomme nicht alle beantwortet. Aber ich lese alle Mails.

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