[bits] Politisch motivierte Online-Zensur, leicht gemacht

Hallo,

heute dominiert hier mal ein anderes Thema außer Handy-Tracking, denn auch ohne Coronavirus gibt es weiter laufende (netz-)politische Prozesse. Wir verfolgen auf netzpolitik.org die Debatte um die Bekämpfung von Terrorismuspropaganda seit vielen Jahren. Anfänglich kritisierten wir vor allem die Privatisierung der Rechtsdurchsetzung durch intransparente Mechanismen und ohne jegliche demokratische Kontrolle.

Mittlerweile geht es seit über zwei Jahren konkret um eine EU-Verordnung gegen Terrorismuspropaganda. Aber auch die macht es nicht besser, eher im Gegenteil.

Maßnahmen gegen Terrorismuspropaganda mögen vielleicht sinnvoll klingen, wenn man sich mit den Details nicht auseinandersetzt und klassische Enthauptungsvideos des Islamischen Staates im Blick hat. Aber hier geht es konkret geht es um mögliche Uploadfilter auf allen Plattformen, einstündige Reaktionszeiten, auch für Blogs und grenzüberschreitende Löschanordnungen ohne ausreichende rechtsstaatliche Kontrollmöglichkeiten.

Und vor allem ist es auch eine politische Frage, was für wen Terrorismuspropaganda ist. Für RWE und Teile der Landesregierung NRW galten die Proteste im Hambacher Wald als „Terrorismus“. Sollten wir dem NRW-Innenministerium die Möglichkeit geben, EU-weit Bilder, Berichte und Videos von Protesten aus dem Hambacher Forst löschen und sperren zu lassen?

Der ehemalige Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen bezeichnete Videos von Hetzjagden in Chemnitz als „Fake-News“, die das Ziel hätten, die Demokratie zu destabilisieren und er rückte diese damit in die Nähe von Terrorismuspropaganda. Sollten wir jemanden wie Maaßen die Möglichkeit geben, solche Augenzeugen-Videos, die zu einer gesellschaftlichen Debatte geführt haben, per Meldung einfach aus dem Netz zu löschen? Sollten wir ungarischen Behörden, wo gerade die Demokratie ausgeschaltet wird, die Möglichkeit geben, Regierungskritische Äußerungen EU-weit löschen zu lassen? Ich finde: Nein, das müssen wir verhindern und auf ausreichend demokratische Kontrollmöglichkeiten drängen!

Die Verhandlungen laufen momentan im sogenannten Trilog auf der Endspur. In dem Verfahren kommen auf EU-Ebene Kommission, Rat und Parlament zusammen, um gemeinsam hinter verschlossenen Türen einen Kompromiss zu finden, der dann in der Regel anschließend von Rat und Parlament abgenickt wird.

Ein Bündnis von digitalen Bürgerrechtsorganisationen appelliert in einem gemeinsamen offenen Brief an die Verhandlungspartner im EU-Trilog, Rechtsstaatlichkeit und demokratische Kontrollmöglichkeiten nicht zu vergessen. Tomas Rudl hat auf netzpolitik.org die Hintergründe aufgeschrieben: Politisch motivierte Online-Zensur, leicht gemacht.

Neues bei netzpolitik.org

Leonard Dobusch plädiert für ein öffentlich-rechtliches KulturTube: Von Kultur bis Breitensport – Es fehlt ein öffentlich-rechtliches Angebot für Nutzerinhalte.

Die Coronakrise hat einen Boom an digitalen Angeboten von Hochkultur bis hin zu Fitnessvideos für Zuhause ausgelöst. Mangels Angeboten für nutzer:innengenerierte Inhalte bleiben die öffentlich-rechtlichen Anbieter in Deutschland aber außen vor.

Der Philosph Rainer Mühlhoff plädiert dafür, dass digitale Grundrechte auf der Tagesordnung stehen müssen: Warum wir gerade jetzt eine Debatte über Datenschutz brauchen.

Corona provoziert eine Reihe politischer Tabubrüche, auch beim Datenschutz. Das alles geschieht unglaublich schnell, die gesellschaftliche Diskussion kann kaum mithalten.

Alexander Fanta hat sich angeschaut, „Was die EU-Kommission mit Handy-Standortdaten machen will“:

Die EU möchte aus ganz Europa anonymisierte Daten von Handynutzer*innen sammeln, um die Wirksamkeit der Pandemie-Maßnahmen zu überprüfen. Die Kommission betont, es gehe nicht darum, einzelne Menschen zu tracken.

Wissenswertes zum Coronavirus

Die Angst in der Coronakrise und vor allem die mangelhafte Test-Infrastruktur sorgen für viele dubiosen Geschäftemacher. Theresa Locker und Thomas Vorreyer haben für Vice einem Unternehmen hinterher recherchiert, das mit Unterstützung von Bild.de Wattestäbchen für 249 Euro verkauft: ‚Bild‘ empfiehlt dubiose Corona-Test-Firma, gegen die jetzt ermittelt wird. Der Spiegel berichtet ebenfalls darüber: Das Playmate und der Schmu mit dem angeblichen Drosten-Test.

Wenig überraschend ist, dass die neu eingeführte israelische Überwachungsinfrastuktur nicht wirklich für das geplante Ziel funktioniert: Israeli Doctors Warn Shin Bet Surveillance Actually Hindering Efforts to Combat Coronavirus. Aber zumindest der Geheimdienst weiß jetzt mehr über die Bürger:innen, auch wenn diese nicht effektiv über Infektionsketten informiert werden können.

Was sonst noch passierte:

CCC: Youtube-Kanal des Chaos Computer Clubs gehackt (Golem.de)
Sowas kommt in den besten Familien vor… Der YouTube-Kanal des Video Operation Center, auf dem unter anderem die Vortragsaufzeichnungen von CCC-Veranstaltungen zu finden sind, stand kurzzeitig unter fremder Kontrolle. Die Hackerhacker benannten den Kanal in Microsoft US um und bewarben ein Bitcoin-Gewinnspiel. Mittlerweile ist der Spuk aber wieder vorbei.

Ausgangsbeschränkungen: Nachbarn und Kinder werden via Facebook vernadert (Standard.at)
Kontakt-, Ausgangs-, Ausgehsperren und wie sie alle heißen sind auch die große Zeit der selbsternannten Blockwarte. Auf der Facebook-Seite der Wiener Polizei tummeln sie sich wohl und denunzieren – oder „vernadern“, wie es auf österreichisch heißt – emsig ihre Nachbarn.

Der Autovermieter Buchbinder lässt Kunden über sein Datenleck im Unklaren (c’t)
Anfang Januar deckten Die Zeit und c’t ein Datenleck bei der Autovermietung Buchbinder auf, die komplette Kundendatenbank habe eine zeitlang offen im Internet gestanden. Nun hat c’t nachgehorcht, was mittlerweile passiert ist. Ein versteckter Hinweis auf der Website, eine schweigsame Datenschutzbehörde und ratlose Betroffene. „In der öffentlichen Darstellung setzt Buchbinder bislang augenscheinlich auf die Taktik des Schweigens und Aussitzens“, schreibt c’t.

Internet in Zeiten der Corona-Krise: Gut, dass nicht mehr 1990 ist (sueddeutsche.de)
„Vor 30 Jahren gab es Faxgeräte, aber keine Videokonferenzen“, heißt es in einer der Zwischenüberschriften. Wie hätten wir da im Home Office arbeiten können? Dennoch, auch heute hätte vielleicht einiges besser laufen können, resümiert der Autor. Das mit dem Breitbandausband das mit der Digitalisierung bei Firmen und bei Schulen zum Beispiel. Trotzdem, immer noch besser als Faxgeräte.

Video des Tages: Die Stadt von morgen

In der Arte-Mediathek gibt es die fast einstündige Dokumentation „Mobile Zukunft: Die Stadt von morgen“. Darin kommen Stadt- und Verkehrsforscher zu Wort, die sich Gedanken darüber machen, wie wir in 30 Jahren leben und uns bewegen werden. Daneben findet sich auch die Dokumentation „Die Mobilität von morgen“, die sich um die Hyperloop-Technologie dreht. Was mir leider bei beiden zu kurz kommt: Wo bleibt das Beamen?

Das war es für heute. Viele Grüße und bleibt gesund,
Markus Beckedahl

Ich freue mich immer über Feedback und gute Hinweise. Meine Mailadresse ist markus@np. Ich bin zwar häufig von zu vielen eMails überfordert und bekomme nicht alle beantwortet. Aber ich lese alle Mails.

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