[bits] Staatstrojaner plus

Hallo,

seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur sogenannten Online-Durchsuchung versucht die Bundesregierung, Staatstrojaner irgendwie legal zu bekommen, indem man sie als Quellen-Telekommunikationsüberwachung bezeichnet. Damit versucht man mit diesem „Hack“, die Vorgaben des BVerfG zu erfüllen. Mit dem Framing der „Quellen-TKÜ“ behauptet man, dass nur eine einzelne Kommunikation überwacht würde und das vergleichbar mit einer Telefonüberwachung sei. Technisch, politisch und juristisch ist das sehr umstritten. Mittlerweile scheint es aber in politischen Kreisen einen neuen Begriff zu geben: Die „Quellen-TKÜ plus“.

Der Journalist Ronen Steinke weist in der Süddeutschen Zeitung darauf hin, dass im Rahmen der Verfassungsschutzgesetz-Reform gerade mit diesem Begriff weitere Staatstrojaner-Befugnisse geschaffen werden sollen. Die Idee ist, dass man nicht eine laufende Kommunikation überwacht (ein aktueller Skype-Call z.B.), sondern auch rückwirkend Chatverläufe oder Mailboxen durchschauen will. Das ist ein entscheidender Unterschied und ist mehr Online-Durchsuchung als klassische Telefonüberwachung.

Uns liegt leider der aktuelle Kompromiss noch nicht vor, um das ausreichend im Kontext der Grundrechtsurteile bewerten zu können. Aber nachdem wir die frühere Fassung bereits auf unserem Server der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt haben, machen wir das wieder gerne, sobald uns die aktuelle vorliegt.

Noch nicht geklärt ist, was die Sozialdemokraten für das Umknicken in diesem Fall bekommen haben.

Neues auf netzpolitik.org:

Die chinesische Plattform TikTok nimmt das mit den Altersbeschränkungen nicht so ernst und freut sich über viele Kinder als Kunden. In den USA wurde das Unternehmen bereits erfolgreich verklagt. Chris Köver hat dazu den Überblick und konnte mit Quellen bei TikTok sprechen, die ihr exklusive Einsichten gaben, wie das Unternehmen auch gegen die eigenen Regeln und den Kinderdatenschutz verstößt: TikTok setzte seine eigenen Altersbeschränkungen nicht durch.

Laut TikToks eigenen Regeln müssen Nutzer:innen mindestens 13 Jahren sein. Überprüft wird die Altersgrenze nicht. Mehr noch: Insider berichten, dass Moderator:innen in der Vergangenheit angewiesen wurden, selbst Kinder auf der Plattform nicht zu sperren. Auffällige Videos wurden stattdessen an ein Team in Peking geschickt.

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Unser Brüssel-Korrespondent Alexander Fanta hat nachgeschaut, wer in Europa gegen TikTok vorgeht: TikTok im Visier der EU-Behörden:

Datenschützer:innen in drei Ländern prüfen mögliche Verstöße durch die chinesische App. Ein Umzug nach Irland könnte die Untersuchungen allerdings erschweren.

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Über die Schüler:innen-Proteste in Großbritannien habe ich gestern schon berichtet. Mittlerweile ist aber die Regierung eingeknickt, wie Markus Reuter zusammengetragen hat: Jugendproteste in Großbritannien gegen maschinelle Notenvergabe erfolgreich.

In Großbritannien fürchten die Schulabsolvent:innen des ganzen Jahrgangs 2020 um ihre universitäre und berufliche Zukunft. Erst gab es keine Schule und Prüfungen – und jetzt hat auch noch ein eingesetzter Algorithmus die Noten vieler herabgestuft. Nach wachsenden Protesten wurde die Benotung jetzt zurückgenommen.

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Das wird interessant: Innenministerium verklagt Bundesdatenschutzbeauftragten.

Das Bundesinnenministerium widersetzt sich einer Weisung des Datenschutzbeauftragten Ulrich Kelber. Weil das Haus von Horst Seehofer Vorgaben zur Datensparsamkeit bei IFG-Anfragen nicht einhalten will, hat es den Beauftragten verklagt.

Kurze Pausenmusik:

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Was sonst noch passierte:

Für den Hintergrund im Deutschlandfunk hat Peggy Fiebig über die deutsche Umsetzung der EU-Urheberrechtsreform berichtet. Der Beitrag fasst den aktuellen Stand gut zusammen.

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Wie könnte ein modernes Urheberrecht aussehen? Für die Friedrich-Naumann-Stiftung haben das Philipp Otto, Leonhard Dobusch und Lukas Daniel Klausner in einer Studie untersucht und geben konkrete Handlungsempfehlungen für die nächste Urheberrechtsreform (die leider noch weit in der Zukunft liegen wird).

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Am Mittwoch Abend diskutiere ich auf Einladung der Friedrich-Naumann-Stiftung in einem Online-Format über Qualitätsjournalismus und User Generated Content – ein Gegensatz? Das Zuklicken ist frei.

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Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat gestern eine Wissenschaftsprojekt zur Ethik der Digitalisierung als Schirmherr begleitet und dabei eine einführende Rede gehalten. Der Schwerpunkt lag vor allem auf der drohenden Gefahr einer „Balkanisierung des Netzes“, das Transkript ist öffentlich. Es ist gut im Text erkennbar, dass er vorher Außenminister war.

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Sebastian Leber hat für den Tagesspiegel bei „Männerrechtlern“ recherchiert: Das Netzwerk der Antifeministen. Wenn fragile Männlichkeit gefährlich wird.

Audios des Tages: Die Tagebücher von Tocotronic

Ich höre den Elementarfragen-Podcast von Nicolas Semak gerne, weil er in der Regel immer gute Interviews mit interessanten Menschen führt. In der aktuellen Ausgabe 34 hat er Dirk von Lowtzow und Jan Müller zu Gast, die ausführlich über ihre Band Tocotronic sprechen.

Kurzer Service für Tocotronic-Fans aus Berlin und Hamburg: Im kommenden Sommer tritt die Band dort jeweils mit zwei Konzerten auf. Im ersten geht es um die frühen (Hamburger) Jahre und beim zweiten um die späteren (Berliner) Jahre. Ich hab mir Tickets für die Berliner Jahre geklickt.

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Ich mag die klugen und einfühlsamen Radio-Features von Katja Artsiomenka. Für WDR5 hat sie sich mit Tagebüchern aus dem 21. Jahrhundert auseinandergesetzt, also den Gedanken, die Menschen ins Netz stellen. Anhand derer geht sie der Frage nach, was privat und was öffentlich ist: Ganz privat? Tagebücher.

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Das war es für heute. Viele Grüße und bleibt gesund,
Markus Beckedahl

Ich freue mich immer über Feedback und gute Hinweise. Meine Mailadresse ist markus@netzpolitik.org. Ich bin zwar häufig von zu vielen eMails überfordert und bekomme nicht alle beantwortet. Aber ich lese alle Mails.

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