[bits] Und er bewegt sich doch

Hallo,

vor einem Monat kündigte Twitter an, mehr gegen Hass auf der eigenen Plattform unternehmen zu wollen und auch US-Präsident Donald Trump keine Extrawurst mehr gönnen, den eigenen Hass und Aufstachelungen zu Gewalt ohne Filter und Warnhinweise heraus posaunen zu können.

Twitter stand damit unter Druck, auch weil Facebook sich weigerte, ähnliche Schritte zu unternehmen. Das führte zu Verwerfungen bei Facebook, weil sich viele Mitarbeitende mit der eigenmächtigen Entscheidung von Mark Zuckerberg, nichts dergleichen tun zu wollen, nicht glücklich fühlten.

Und dann passierte es doch. Am Freitag verkündete Mark Zuckerberg ähnliche Schritte wie Twitter einen Monat zuvor. Es soll strengere Regeln für politische Werbung geben und auch die Hasstiraden von Donald Trump sollen nicht mehr so einfach kommentarlos stehen bleiben, sondern dementsprechend gekennzeichnet werden.

Das ist die am wenigsten schlechte Option, um mit Donald Trump in sozialen Medien umzugehen, argumentiert der Harvard-Professor Jonathan Zittrain in The Atlantic.

Der Sinneswandel von Facebook fiel nicht vom Himmel und sowas passiert auch immer erst, wenn der Konzern mit dem Rücken zur Wand steht und überhaupt nichts mehr geht. Vorausgegangen war eine Kampagne der Anti-Defamation League (ADL), die zusammen mit anderen Organisationen wie Mozilla über die Kampagnenseite „Stop Hate for Profit“ Druck auf Werbetreibende ausgeübt hat, die mit ihren Marketinggeldern das System Facebook finanzieren.

Die #StopHateForProfit – Kampagne argumentiert, dass 99 Prozent der 70 Milliarden Dollar Umsatz von Facebook durch Werbung verdient werden. Und das damit durch Werbetreibende ein System finanziert wird, welches die Verbreitung von Hass, Rassismus und Holocaustleugnung fördert.

Es gibt das Sprichwort „Du bist kein Kunde von Facebook, Du bist das Produkt“. In vielen Netzdebatten wurde darüber gestritten, ob das stimmt. Der Spruch kommt ursprünglich auch nicht aus dem Netz, sondern ist älter und beschrieb früher schon das Geschäftsmodell von kostenlosen Fernsehsendern, die sich über Werbung finanzierten. Die Zuschauenden zahlten nichts, sondern gaben ihre Aufmerksamkeit und zwischen den Werbebocks wurde Programm angeboten.

Genau an dieser Stelle setzten in den vergangenen Jahren die Aktivist:innen der „Sleeping Giants“-Initiative an. Die Mitgründer von #StopHateForProfit machen rechten Medien wie Fox News oder Breitbart erfolgreich das Leben schwer, indem sie zahlreiche Werbepartner zum Absprung drängten und damit eine Blaupause für die gegen Facebook gerichtete Aktion schufen.

Das Geschäftsmodell von Facebook ist nicht, für uns einen schönen Ort im Netz zu schaffen. Das Geschäftsmodell ist, soviel Aufmerksamkeit und Zeit von uns zu bekommen und gleichzeitig so viele Daten über uns zu sammeln, damit Facebook uns Werbung seiner eigentlichen Kunden, den Werbetreibenden, möglichst spitz in eine Zielgruppe hinein ausspielen kann.

Seit vergangener Woche haben sich mehr als 160 Unternehmen der Kampagne und ihren Zielen mehr oder weniger angeschlossen und zumindest einen temporären Werbeboykott angekündigt, darunter große Marken wie Coca Cola.

Wenn daraufhin Mark Zuckerberg eine Kehrtwende einleitet, die er vor Wochen noch abgelehnt hat, dann macht das sehr deutlich, dass Facebook vor allem ein Werbevermarkter ist.

Und es sollte uns allen zu denken geben, dass Marketingverantwortliche offensichtlich mehr Druck auf digitale Konzerne ausüben können, als es die Nutzenden und Politiker:innen bisher vermögen. Das muss sich ändern, denn eine gute Regulierung mit klaren Regeln für alle ist immer besser als Selbstregulierung aufgrund von wirtschaftlichem Druck.

Neues auf netzpolitik.org:

Vergangene Woche hat Daniel Laufer eine längere Reportage über DDoS-Angriffe aus Einsamkeit gemacht: „Eine Geschichte ungehörter Hilferufe“. Daraufhin wurde unsere Seite mit vielen Datenpaketen beschossen, aber unser Admin hat das schnell in den Griff bekommen.

Zwei junge Männer aus Deutschland sollen DDoS-Attacken verübt und einen Millionenschaden verursacht haben. Einer war erst 16 Jahre alt. Seine Geschichte begann in der Klötzchenwelt von Minecraft, Warnsignale gab es viele.

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Es gibt viele ungeklärte Fragen zum Umgang des Staates mit Schwachstellen-Management in der IT-Sicherheit und der Munitionierung von Staatstrojanern. Andre Meister hat einen Überblick: „Der Staat sollte alle IT-Sicherheitslücken schließen. Manche lässt er lieber offen“.

Viele Behörden nutzen Sicherheitslücken zum Hacken statt sie zu stopfen. Die Bundesregierung arbeitet an einer Entscheidungsstruktur, was mit einzelnen Schwachstellen passiert. Abgeordnete haben nachgefragt, zu den meisten Fragen schweigt die Regierung. Wir veröffentlichen die Antworten.

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Das netzpolitische Topthema des vergangenen Jahres war die EU-Urheberrechtsreform, die alleine in Deutschland rund 200.000 Menschen auf die Straße brachte, um gegen drohende Uploadfilter zu demonstrieren. Jetzt gibt es einen Vorschlag für eine nationale Umsetzung. Leonhard Dobusch und Markus Reuter haben eine erste Analyse veröffentlicht: „Grenzen für Uploadfilter“.

Das Justizministerium hat einen Diskussionsentwurf für ein neues Urheberrecht vorgestellt. Im Rahmen der engen EU-rechtlichen Möglichkeiten wird damit das Urheberrecht an das digitale Zeitalter angepasst. Die umstrittenen Uploadfilter werden trotzdem kommen. Eine Kurzanalyse.

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Etwas zeitversetzt haben wir unseren Transparenzbericht für den April veröffentlicht. Stefanie Talaska beschreibt, wie wir den Monat über aus dem Home-Office berichtet haben und wie wir in dieser Krisensituation trotzdem von vielen Leser:innen unterstützt worden sind: Unsere Einnahmen, Ausgaben und eine geplatzte Tradition im April 2020.

Etwas, worauf sich die Redaktion jedes Jahr freut, dieser eine Tag, an dem alle mit Kaffee und Kuchen zusammensitzen und sich beömmeln. Dieser eine Tag im Jahr, an dem wir alles hopsnehmen können – diesen Tag gab es in diesem Jahr nicht. Die Ausgabe zum ersten April.

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Einige große Medien bieten mittlerweile Angebote an, wie man ihre Angebote ohne Werbetracking nutzen kann. Matthias Eberl hat für uns untersucht, ob das alles so stimmt, was die Werbung suggeriert: Pur-Abos im Test: Nicht ganz ohne.

Zeit und Spiegel haben nach dem Vorbild des österreichischen Standard ein sogenanntes Pur-Abo eingeführt. Aber kommen die Angebote wirklich ohne Werbetracking aus? Wie es um den Datenschutz steht, schaut sich unser Gastautor in einem Test der drei Anbieter an.

Auch wenn es nicht nicht nach Absicht aussieht, so gibt es zumindest bei den Angeboten von Zeit.de und Spiegel.de noch etwas Luft nach oben, das Werbetracking auch wirklich auszuschalten und die Leistung zu verkaufen, die man anpreist.

Was sonst noch passierte:

Simon Hurzt hat für Sueddeutsche.de die netzpolitische Sprecherin der Grünen Tabea Rößner dazu interviewt, wie es um die Uploadfilter steht: „Größter Humbug war die Behauptung, die Richtlinie könne ohne Upload-Filter umgesetzt werden“. Das Justizministerium hatte letzte Woche einen Entwurf zur Umsetzung der Urheberrechtsreform veröffentlicht, der gegen die Versprechungen Uploadfilter zu bringen droht. Rößners Fazit: „Auf den ersten Blick sieht vieles im neuen Entwurf ganz vernünftig aus, aber die Tücke steckt oft im Detail.“ Wir kamen bei unserer Kurzanalyse zu einem ähnlichen Ergebnis.

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Ein spannendes Interview über das Tabuthema „Rassismus in der Polizei“ hat der Deutschlandfunk mit dem ehemaligen Polizisten und heutigen Polizeisoziologe Rafael Behr geführt: „Die gesamte Polizei stemmt sich gegen Aufklärung“.

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Gleichzeitig heißt es, dass die Gewalt gegen Polizist:innen „Immer mehr, immer brutaler?“ werden würde. Der Faktenfinder der Tagesschau ist dieser These nachgegangen, hat aber im BKA-Lagebild keine eindeutige Tendenz dafür gefunden.

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Dazu passt auch eine Anleitung von The Intercept, wie man sich und seine Daten gegen Überwachungsmaßnahmen auf Demonstrationen verteidigen kann.

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Die New York Times portraitiert die Ärztin Dr. Camilla Rothe von der Universität München, die bereits früh herausgefunden hatte, dass Covid19 auch über Menschen ohne Symptiome übertragen werden kann. Ihr wurde damals aber leider nicht richtig zugehört: How the world missed COVID-19s silent spread.

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Eine großartige Datenvisualisierung über die Ausbreitung bon Covid19 in den USA hat die New York Times mit „How the virus won“ gebaut. Das ist schon beeindruckender Datenjournalismus.

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Ein kleiner und feiner Ort für Konzerte und Kulturveranstaltungen in Neukölln ist von der Coronakrise bedroht, weil keine Veranstaltungen in Clubs mehr gehen. Der Ort kann leider seinen Namen nicht öffentlich nennen, weil er bisher unter dem Radar lief, wie das manchmal so üblich ist in Berlin. Aber es gibt ein Fundraising auf Startnext, um zumindest die Mietkosten für die lange Durststrecke zu bezahlen, wie keine Parties und Konzerte in Berlin stattfinden können. Da ich die Betreiber:innen kenne und dort schon einige schöne Momente und Konzerte erlebt habe und gerne wieder dahin möchte, habe ich für die Kampagne einen Workshop zum Thema Communitybuilding gespendet. Es gibt aber auch andere Dinge zu klicken.

Audios des Tages: Acid Pauli im Chaosradio

In einem normalen Leben wäre jetzt Fusion-Montag und langsam würden viele DJ-Sets auf den üblichen Plattformen erscheinen und das vergangene Wochenende dokumentieren. Doch das große unabhängige und nicht-kommerzielle Musikfestival konnte wie alle anderen Großveranstaltungen nicht stattfinden und so blieb mir zwar am Wochenende Zelten erspart, aber ich vermisse auch die vielen aktuellen DJ-Sets. Allerdings hat zumindest Acid Pauli in einer Hommage an die entgangene Fusion sein traditionelles jährliches Set auf Soundcloud hochgeladen und das begleitet mich beim Schreiben dieser Zeilen.

Das Chaosradio Folge 261 hat vergangene Woche über offene und dezentrale Videokonferenzsysteme diskutiert. Dabei ging es um Technik, Hosting und Sicherheit bei BigBlueButton und Jitsi. Wer Alternativen zu Skype, Zoom und Co sucht und Interesse an tiefen Nerd-Talks hat, wird in dieser Folge fünfig. Wer sich nicht für die Technik interessiert, kann auch einfach so Jitsi oder BigBlueButton nutzen.

Videos des Tages: Hass und Lokaljournalismus im Spät-Kapitalismus

Vergangene Woche war ich in der Phoenix-Diskussionsrunde „unter den linden“ und hab mit den Justizministerinnen von Deutschland und Österreich über „Grenzenlos? Hass und Hetze im Internet“ diskutiert. Sowas bringt immer viel Leserpost mit (nicht gegendert, es sind immer Männer), die einem dann alles mögliche wünschen (in der Regel leider nichts unterhaltsames). Ich sammel dann die kreativsten und besten Leserbriefe immer in einem Dokument und wenn wir Lust haben, verarbeiten wir das in Kommentarlesungen.

Die Netflix-Sendung Patriot Act with Hasan Minhaj thematisierte vor kurzem, wie Hedge-Fonds in den USA Lokalzeitungen übernehmen und auspressen, daran reicher werden und damit eine kaputte Lokaljournalismus-Landschaft hinterlassen: The News Industry Is Being Destroyed. Das sind 20 Minuten gut angelegte Zeit, um zu lernen, warum Teile der USA zu Informationswüsten geworden sind, worunter wir auch alle zu leiden haben, weil die eben auch wählen gehen. Danke Kapitalismus.

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Viele Grüße und bleibt gesund,
Markus Beckedahl

Ich freue mich immer über Feedback und gute Hinweise. Meine Mailadresse ist markus@np. Ich bin zwar häufig von zu vielen eMails überfordert und bekomme nicht alle beantwortet. Aber ich lese alle Mails.

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