[bits] Viel Papier zur Regulierung von Künstlicher Intelligenz

Hallo,

in den vergangenen Jahren gab es eine Vielzahl an unterschiedlichen Arbeitsgruppen, die den Einfluss von algorithmischen Entscheidungssystemen (Im Volksmund gerne „Künstliche Intelligenz“ genannt) untersucht haben. Die Bundesregierung hat eine KI-Strategie vorgelegt, Innen- und Justizministerium hatten eine gemeinsame Datenethikkommission tagen lassen, Forschungs- und Arbeitsministerium pflegen eigene thematische Arbeitsgruppen und der Deutsche Bundestag untersuchte das Feld seit 2018 in der Enquete-Kommission „Künstliche Intelligenz – Gesellschaftliche Verantwortung und wirtschaftliche, soziale und ökologische Potenziale“.

Diese hat heute ihre Arbeit beendet und ihren Abschlussbericht dem Bundestagspräsidenten übergeben. Auf 800 Seiten gibt es einen großen Überblick zu verschiedenen Handlungsfeldern zu lesen. Was damit passiert, steht aber in den Sternen. Ich war von 2010-2013 Mitglied in der früheren Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“. Auch damals gab es einen großen Abschlussbericht mit sehr vielen Handlungsempfehlungen, die teilweise einstimmig über alle Fraktionen und Sachverständigen hinweg beschlossen wurden. Allerdings wurde davon fast nichts von der Bundesregierung umgesetzt.

Eine Enquete-Kommission klingt vom Werbeprospekt her gesehen immer schön nach einer ergebnisoffenen Untersuchung. In der Praxis ist das aber nicht so ergebnisoffen. Im Hintergrund liefern starke Lobby-Vertretungen Textbausteine rein, die ihre Interessen vertreten. Kleine Fraktionen und ehrenamtliche Sachverständige haben hingegen kaum Ressourcen, dem etwas entgegen zu setzen. Zudem vertreten die Mehrheitsfraktionen gerne Positionen, die im Sinne der aktuellen Regierungspolitik sind.

Kaum jemand ist in der Lage, sich einen 800-Seiten Abschlussbericht durchzulesen. Aber dafür gibt es eine Kurz-Zusammenfassung. Trotzdem ist die Arbeit nicht sinnlos, weil eine Enquete-Kommission auch als großes Weiterbildungsprogramm für alle beteiligten Politiker:innen gesehen werden kann, die sich in der Laufzeit mal mehr, mal weniger intensiv damit beschäftigen.

Auch die Datenethikkommission hat in ihrem lesenswerten Abschlussbericht zahlreiche sinnvolle Handlungsempfehlungen abgegeben. Der daran beteiligte Verbraucherzentrale Bundesverband kritisierte aber erst vergangene Woche, dass die Umsetzung nur schleppend vorangehen würde: Bundesregierung enttäuscht bei Regulierung von Algorithmen.

Wir lassen uns mal überraschen, was von den Ergebnissen dieser beiden Kommissionen in die kommende Datenstrategie der Bundesregierung einfließen wird.

Parallel hat übrigens die Nichtregierungsorganisation Algorithmwatch ihren 297-Seiten umfassenden „Automatic Society Report 2020“ (PDF) vorgelegt. Eine englischsprachige Zusammenfassung gibt es in ihrem Blog: Life in the automated society: How automated decision-making systems became mainstream, and what to do about it.

Patrick Beuth fasst die Ergebnisse auf Spiegel-Online zusammen: Wenn Instagram einen Steuerbetrüger verraten soll.

„Wenn wir den derzeitigen Stand von ADM-Systemen in Europa betrachten, sind Positivbeispiele mit echten Vorzügen selten.“ Die „große Mehrheit“ der Systeme „setzt Menschen eher einem Risiko aus, als ihnen zu helfen“.

Neues auf netzpolitik.org

In ihrem neuen Artikel aus der Reihe „Medienmäzen Google“ beleuchten Ingo Dachwitz und Alexander Fanta, wie genau eigentlich die 21,5 Millionen Euro verteilt wurden, die Google an Medien in Deutschland verschenkt hat. Inklusive Top-10-Liste der größten Profiteure, von der WirtschaftsWoche über den Spiegel und die FAZ bis zur dpa: Wer in Deutschland von den Geschenken des Datenkonzerns profitierte.

In einer Studie nehmen wir die Beziehungen zwischen Google und den Medien unter die Lupe, insbesondere die Millionenzahlungen im Rahmen der Digital News Initiative. Unsere Analyse für Deutschland zeigt: das Förderprogramm des Datenkonzerns ist ein Problem für die Medienvielfalt.

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Jana Ballweber hat sich die aktuellen Pläne des Bundesgesundheitsministeriums zur Digitalisierung des Gesundheitssystems angeschaut: Jens Spahn hat es eilig.

Weil in den letzten fünfzehn Jahren wenig vorangegangen ist, will Gesundheitsminister Spahn jetzt bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens Tempo vorlegen. Obwohl viel Vertrauen nötig ist, damit Patient:innen die Angebote auch nutzen, lässt Spahns Hast die nötigen Debatten nicht zu. Besonders deutlich wird das bei der elektronischen Patientenakte und dem Streit um den Datenschutz.

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In einem Gastbeitrag thematisiert Alexander Hoffmann, wie mit rechtlichen Mitteln gegen Medien vorgegangen wird: Abmahnungen als Strategie im politischen Meinungskampf. Der Beitrag ist ein Auszug aus dem Band „Recht gegen rechts“.

Immer häufiger nutzen Akteure der äußeren Rechten Abmahnungen als Mittel, um Berichterstattung zu unterbinden. Das bedroht vor allem kleine Verlage, Medienkollektive und freie Journalist*innen, analysiert unser Gastautor.

Kurze Pausenmusik:

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Die Erstellung dieser Ausgabe wurde freundlicherweise von Tomas Rudl unterstützt.

Was sonst noch passierte:

Während ich diese Ausgabe tippe, kommen die ersten Ergebnisse aus den Verhandlungen von Bund und Ländern zu den kommenden Corona-Maßnahmen rein. Ab kommenden Montag, den 2. November, soll es wieder massive Einschränkungen geben. Bis Ende November sollen Bars und Restaurants geschlossen werden, der Kulturbetrieb und Amateursport werden massiv eingeschränkt und noch einiges mehr. Ich lass mich mal überraschen, ob das was bringt und ob das Ziel damit erreicht wird, im Dezember wieder Weihnachtsfeiern veranstalten zu können, um dann im Januar die dritte Runde einzuleiten.

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In einem lesenswerten Interview im Tagesspiegel kritisiert der Soziologe Wilhelm Heitmeyer den Umgang der Politik im Kampf gegen Rechtsextremismus: „Ich sehe partielle Blindheit bis hin zu Staatsversagen“.

„Ich fürchte, dass Teile der Politik immer noch nicht begriffen haben, wie gefährlich die Situation inzwischen ist. Es gibt eine Ausdifferenzierung und Dynamisierung von Gruppen bis zur erhöhten Terrorfähigkeit. Das gesamte rechte Spektrum ist in die Offensive gegangen.“

Das sehe ich leider genauso.

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Die Bundesregierung setzt sich im Rahmen ihrer Ratspräsidentschaft dafür ein, dass Verschlüsselung auch entschlüsselt werden soll – von staatlichen Behörden, versteht sich. Heise-Online hat einen Entwurf für eine gemeinsame Erklärung vorliegen, die tatsächlich „Sicherheit durch Verschlüsselung und Sicherheit trotz Verschlüsselung“ schaffen möchte. Beides zusammen ist leider technisch nicht möglich. Sie müsste sich mal entscheiden, was sie denn tatsächlich will: Crypto Wars – Deutsche EU-Ratspräsidentschaft will Beihilfe zur Entschlüsselung.

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Der Bayrische Rundfunk hat sich angeschaut, welche Daten über uns erhoben werden und wie wir verhindern können, dass sie gegen uns genutzt werden. Dazu wurde ich auch als Experte befragt: Daten im Netz – Was damit passiert, und ob Kontrolle möglich ist.

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Eine neue Studie aus Japan hat die Wirksamkeit von Masken in der Corona-Pandemie untersucht, wie das RND berichtet: So effektiv schützen Masken vor Corona.

„Die jeweilige Effizienz der unterschiedlichen Masken bei der Virusabwehr betrug rund 17 Prozent bei Stoffmasken, bei einer chirurgischen Maske zirka 47 Prozent – und die perfekt angepasste N95-Maske erzielte 79 Prozent. Trug sie hingegen der Virusverteiler, lag der Grad des Virusschutzes bei allen drei Masken bei etwa 70 Prozent.“

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Das neue Online-Magazin Branch beschäftigt sich in vielen Beiträgen mit Nachhaltigkeits-Strategien: „A Sustainable Internet for All“.

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Schlechte Nachrichten von der Klimakrise: In Sibirien steigt massiv Methan-Gas in die Atmosphäre auf, berichtet der Guardian: ‚Sleeping giant‘ Arctic methane deposits starting to release, scientists find.

Audio des Tages: Digitale Unsterblichkeit

Moritz Riesewieck und Hans Block haben mit „Die Digitale Seele“ ein Buch über technische Strategien zur Unsterblichkeit vorgelegt. Die beiden Regisseure der sehenswerten Dokumentation „The Cleaners“ wurden dazu ausführlich von der WDR3-Sendung Mosaik interviewt und geben in dem Gespräch einen Einblick in ihre Recherchen: Digitale Unsterblichkeit.

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Das war es für heute. Viele Grüße und bleibt gesund,
Markus Beckedahl

Ich freue mich immer über Feedback und gute Hinweise. Meine Mailadresse ist markus@netzpolitik.org. Ich bin zwar häufig von zu vielen eMails überfordert und bekomme nicht alle beantwortet. Aber ich lese alle Mails.

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