[bits] Virtuell ins Exil

Hallo,

vor 13 Jahren fand als Seitenprojekt von netzpolitik.org in Kooperation mit spreeblick.com die erste re:publica – Konferenz in Berlin statt. Wir wollten eine Konferenz schaffen, auf die wir selbst gerne gehen würden.

Und wo über all die unterschiedlichen Facetten einer sich entwickelnden digitalen Gesellschaft konstruktiv-kritisch und auf Augenhöhe miteinander diskutiert wird.

Wir hatten damals Glück mit dem Startpunkt und haben einen Nerv getroffen. Seitdem heißt es für viele Anfang Mai, nach Berlin zur re:publica zu fahren und „das Internet“ treffen. Nur in diesem Jahr wird das leider nichts.

Bereits Anfang März stand das fast fertige Programm für eine reguläre 14. re:publica, die heute gestartet wäre. Wir hatten rund 1000 Sprecher:innen auf bis zu 20 Bühnen-Situationen kuratiert und eingeplant. Dann wurde uns noch vor den Ausgangsbeschränkungen klar, dass dieses Jahr alles ganz anders wird und wir in geplanter Form nicht stattfinden können.

Wir hätten einfach sagen können, dass wir wie viele andere einfach ausfallen und uns kommendes Jahr wiedersehen. Aber die re:publica bestand immer schon aus viel Improvisation, begrenzten finanziellen Mitteln, Spiel, Spaß und dem Ausprobieren von neuen Dingen. Und vor allem in der Motivation, einen Ort zu schaffen, wo aktuelle und zukünftige gesellschaftliche Debatten geführt werden.

Also alles neu gedacht, aus dem Home-Office heraus, teilweise mit Kindern auf dem Schoss oder daneben. Wie kann eine re:publica im digitalen Exil ausschauen? Was kann man in so kurzer Zeit und mit begrenzen Ressourcen auf die Beine stellen? Wie kann man eine solche Konferenz produzieren, ohne dass es wie eine lahme 08/15 Zoom-Webinar-Konferenz von der Stange aussieht? Und dabei auch möglichst Hygiene-Vorschriften einhalten?

Das Team hat viel gelernt und noch mehr durchgemacht. Ich bin gespannt, wie alles fertig aussehen wird und freue mich auf das spannende Programm. Auf bis zu vier Kanälen gibt es von 11:30 bis 22 Uhr Live-Streams. Dabei sind viele netzpolitische Themen, die ich bei netzpolitik.org nochmal gesondert zusammengefasst habe.

Ich freue mich persönlich auf meine Interview-Gespräche mit Rezo, Ruprecht Polenz sowie mit Korinna Hennig und Katharina Mahrenholtz (vom Corona-Update-Podcast). Und viele andere Highlights, wo ich dann nur Zuschauer bin.

Und ich bin gespannt, wie sich für uns und für die Gäste das re:publica Feeling im digitalen Exil anfühlen wird.

Alle Streams sind kostenlos, die Videos werden nachträglich verfügbar sein. Morgen gibt es hier dann etwas Live-Einblicke in den Ablauf. Und nächstes Jahr zum 15. Geburtstag dann hoffentlich wieder alles in analog und nur hinterher im Netz.

Neues auf netzpolitik.org

Chris Köver hat sich die ersten Zwischenergebnisse der sogenannten Datenspende-App angeschaut: Erste Auswertung der Datenspende-App veröffentlicht. Das Robert-Koch-Institut hatte die App in Kooperation mit einem deutschen Startup gestartet, um von Fitness-Trackern Informationen zu sammeln und mögliche Erkenntnisse für die Ausbreitung von Covid-19 zu erhalten.

Mehr als 500.000 Spender:innen haben mitgemacht. Ungeklärt ist bis heute, wie viele davon dachten, dies wäre die viel diskutierte Contact-Tracing-App. Und auch ungeklärt bleibt weiterhin, ob das Projekt überhaupt seinen Zweck erfüllt.

Wissenswertes zur Coronakrise

In einem Kurzgutachten [PDF] weisen Greenpeace und die Gesellschaft für Freiheitsrechte auf Risiken möglicher Corona-Tracing-Apps hin. Insbesondere für zivilgesellschaftliche Organisationen könne das Nachverfolgen von Kontakt-Netzwerken durch staatliche Stellen eine große Bedrohung darstellen, etwa bei der Arbeit mit Whistleblower:innen oder Menschen ohne gültige Aufenthaltspapiere.

Auch bei einem dezentralen Modell müssten deshalb Maßnahmen ergriffen werden, die eine Re-Identifizierung der Nutzer:innen verhindern. Die Anwendung müsse besonders den DSGVO-Vorgaben zur Zweckbindung, Datenminimierung, zum Datenschutz durch Technikgestaltung und zu datenschutzfreundlichen Vorgaben genügen. Die Verantwortlichen sollten neben dem Code der App auch die Datenschutz-Folgenabschätzung veröffentlichen.

Wenn die Nutzung der Anwendung tatsächlich freiwillig sein sollte, bräuchte es dem Gutachten zufolge zudem explizite Verbote oder hohe Voraussetzungen dafür, „dass der Zugang zu zentralen Infrastrukturen vom Einsatz der App abhängig gemacht wird, sei es seitens staatlicher oder privater Akteur*innen.“ Gerade bei der staatenübergreifenden Verknüpfung von Tracing-Apps müsse sichergestellt werden, dass der Datenschutz auch dort eingehalten werde.

Das Social Media Watchblog hat gut die aktuellen Debatten um Verschwörungstmythen zusammengefasst: Warum so viele Menschen an Corona-Verschwörungstheorien glauben.

Auf aktuelle Verschwörungsmythen rund um eine mutmaßliche „Corona-Diktatur“ geht das Volksverpetzer-Blog ein: Faktencheck – Corona-Maßnahmen sind im Einklang mit dem Grundgesez.

Bereits über zwei Monate alt und im Kontext des Attentats von Hanau ist dieses interessante Gespräcg mit dem Amerikanisten Michael Butter bei Zeit-Online: „Alles ist so, wie du denkst“.

Was sonst noch passierte:

Es gibt eine neue Folge der ZDF-Politsatire „Die Anstalt“. Diesmal geht es um unser auf Effizienz und Kostensparen optimiertes Krankensystem.

Die neue rot-grüne Münchner Stadtregierung will laut Koalitionsvertrag [PDF] „wo immer technisch und finanziell möglich (…) auf offene Standards und freie Open Source-lizenzierte Software“ setzen und auch den Quellcode öffentlicher Software veröffentlichen. Die Free Software Foundation freut sich: „Nachdem sich die vorherige Regierung aus SPD und CSU von der progressiven Freien-Software Strategie verabschiedet hatte ist dieser Schritt nun ein positives Signal. Öffentliche Verwaltungen, die dem Prinzip von „Public Money? Public Code!“ folgen, können von der Zusammenarbeit mit anderen öffentlichen Einrichtungen, der Unabhängigkeit von einzelnen Anbietern, möglichen Steuereinsparungen, mehr Innovation und einer besseren Basis für IT-Sicherheit profitieren.“ Außerdem will die Stadt Programmier:innen ein „Munich Open Source Sabbatical“ ermöglichen.

Pewdiepie ist einer der erfolgreichsten Youtuber. Der Schwede ist sehr umstritten, weil er in der Vergangenenheit mit antisemitischen und rechtsradikalen Inhalten aufgefallen ist. Kein Problem für Youtube, mit Pewdiepie wurde jetzt ein exklusiver Streamingdeal abgeschlossen, damit er nicht zur Konkurrenz wechselt. Wired hat einige Hintergründe: YouTube and Pewdiepie Can’t Afford to Quit Each Other.

Im Oktober 2017 wurde die maltesische Investigativjournalistin Daphne Caruana Galizia durch ein Bombenattentat getötet. Sie hatte über Korruption bis in höchste Regierungskreise des EU-Mitgliedstaates berichtet. Trotz eines Regierungswechsels ist der Fall bis heute nicht zufriedenstellend aufgeklärt, bemängeln neun NGOs, die sich für die Freiheit der Presse einsetzen. In einem offenen Brief wenden sich die NGOs, zu denen auch Reporter ohne Grenzen gehört, an den Generalstaatsanwalt von Malta. Zur Aufklärung des Falles müsse er die europäische Polizeibehörde Europol um Hilfe zu bitten, so die Forderung.

Ein kurzes Animationsvideo erklärt die kurze Geschichte der „Künstlichen Intelligenz“.

In den 70ern gab es im deutschen Fernsehen wohl eine Show namens „Beat-Club“. Das war mir bisher noch nicht bewusst, weil ich da erst geboren wurde. Auf Pitchfork wird die Sendung aber gerade gefeiert, weil sie wohl gute Live-Auftritte hatte (Schwer zu glauben, wenn man in den 80ern mit deutschem Fernsehen sozialisiert wurde): Vintage German TV Show Beat-Club Has Some of the Best Live Music Sets on YouTube.

Video des Tages

In der ZDF-Mediathek gibt es den Animationsfilm „Teheran Tabu“ in der Reihe „Sehnsucht nach Freiheit“. Der leicht verstörende Film handelt von Freiheit, Sex und Selbstverwirklichung in dem islamischen Gottestaat. Aber eigentlich geht es um Sehnsüchte und eine allgegenwärtige Doppelmoral. Gut gemacht.

Viele Grüße und bleibt gesund,
Markus Beckedahl

Ich freu mich immer über Feedback und gute Hinweise. Meine Mailadresse ist markus@np. Ich bin zwar häufig von zu vielen eMails überfordert und bekomme nicht alle beantwortet. Aber ich lese alle Mails.

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