Hallo,
die Abhängigkeit von den großen US-Plattformen ist ja nicht erst seit gestern da. Aber viel zu lange wurde Zeit vertrödelt, sich mal über Alternativen Gedanken zu machen. Dafür gehören Begriffe wie Digitale Souveränität mittlerweile auch zum Sprachgebrauch von Politiker:innen und werden unterschiedlich ausgefüllt.
Gleichzeitig haben wir ein starkes öffentlich-rechtliches System, das aber auch wiederum aus zahlreichen Gründen nicht so innovativ und netzfreundlich agiert, wie es könnte und müsste. Und dann gibt es noch die Europäische Union mit unseren Grundwerten und die Sehnsucht nach einer transnationalen europäischen Öffentlichkeit.
Das alles zusammengerührt ergibt die Idee hinter einer gemeinwohlorientierten öffentlich-rechtlichen Plattform, die bereits vor Jahren als „Public Open Space“ und ähnlichen Begriffen diskutiert wurde, was aber bei uns kein großes Interesse außerhalb von medien- und netzpolitischen Fachkreisen hervorrief. Vorreiter bei der Idee war hier die BBC, die schon früh erkannt hat, dass sie sich massiv wandeln muss, um morgen auch noch eine Existenzberechtigung zu haben. Während sich hier alle noch über Depublizierungspflichten Gedanken machten, also wann denn welche Inhalte wieder aus Mediatheken zu verschwinden haben.
In den vergangenen zwei Jahren änderte sich der medienpolitische Diskurs und die Sehnsucht nach einer „Supermediathek“ wurde laut, mit vielen Projektionsflächen, was das denn genau so sollte. Da war für alle etwas dabei. Ein öffentlich-rechtliches Youtube. Eine Suchmaschine über alle Mediatheken. Und überhaupt irgendwas mit Zukunft.
Einen aktuellen konkreteren Vorschlag hat heute eine Projektgruppe mit Beteiligung der Technischen Universität München (TUM), Telefonica, Burda und dem Bayerischen Rundfunk in einem Impulspapier der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften (acatech) für das Modell einer „European Public Sphere“ vorgestellt. Darin skizzieren sie ein digitales Ökosystem, „das europäischen Werten wie Privatsphäre, Offenheit und Vielfalt folgt“ und „in dem eine Vielfalt an Angeboten mit fairen und transparenten Zugangs- und Nutzungsbedingungen entstehen kann“.
Auch wenn ich nicht alles in dem Papier teile, so ist das ein interessanter Debattenbeitrag. Es kommen auch viele Ideen vor, die wir bereits auf der re:publica oder auf netzpolitik.org diskutiert haben. Vielleicht ist die Zeit jetzt endlich reif, dass es eine größere Debatte darüber gibt, wie wir öffentlich-rechtlich im digitalen Zeitalter neu definieren.
Neues bei netzpolitik.org
Facebook hat vor zwei Jahren ein Bürgerrechte-Audit bei einer unabhängigen Anwaltskanzlei in Auftrag gegeben. Tomas Rudl hat sich die Ergebnisse angeschaut: Facebook stellt Meinungsfreiheit über den Schutz demokratischer Wahlen.
Unabhängige Juristinnen haben im Auftrag Facebooks zwei Jahre lang das Unternehmen unter die Lupe genommen. Nun zeigt der Bericht, dass Facebook zu wenig unternimmt, um die Bürgerrechte der Nutzer:innen ausreichend zu schützen.
Julia Barthel berichtet über eine gemeinsame Erklärung verschiedener Open-Source-Bildungsplattformen, die gerne genutzt, aber ungerne finanziert werden: Lernplattformen fordern nachhaltige Finanzierung
Die Coronakrise zeigt, wie wichtig funktionierende Online-Lernplattformen sind. Trotzdem ist die Arbeit dahinter häufig unsichtbar und die Finanzierung unsicher. Deshalb fordern die Open-Source-Plattformen Moodle, ILIAS und Stud.IP, in Strukturen statt in Lizenzen zu investieren. Denn obwohl sie 90 Prozent der Hochschulen versorgen, gibt es kaum zuverlässige Gelder, um den Betrieb zu sichern.
Die Electronic Frontier Foundation (EFF) hat zusammen mit der Reynolds School of Journalism den Atlas der Überwachung gestartet. Das Projekt ist nach Eigenaussage die „größte durchsuchbare Datenbank polizeilicher Überwachungstechnologien“. In der Datenbank enthalten sind unter anderem Technologien wie Gesichtserkennung, Drohnen und Kennzeichenscanner, aber auch Partnerschaften der Polizei mit Amazon Ring. Markus Reuter hat Details: US-Bürgerrechtsorganisation stellt Atlas der Überwachung vor
Welche Überwachungstechnologie nutzt meine Polizei vor Ort? In welcher Kommune arbeitet die Polizei mit Amazons Überwachungssystem Ring zusammen? In den USA gibt es jetzt eine Karte, die all das anzeigt.
Was sonst noch passierte:
Der deutsche Finanzdienstleister Wirecard ist insolvent und lebt aktuell als Dax-Leiche weiter. Immer mehr Geschichten kommen zu diesem Skandal heraus. Der Deutschlandfunk hat einen kompakten Hintergrund dazu gemacht und erklärt, wer alles bei der Kontrolle und Aufsicht versagt hat. Spoiler: Eigentlich alle Kontrollinstanzen.
Ein Manager ist gerade auf der Flucht. Die Financial Times zeichnet das Bild eines ehemaligen Managers, der zwischen Wirecard und Söldnerarmeen offensichtlich ein Doppelleben führte: From payments to armaments: the double life of Wirecard’s Jan Marsalek .
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Und wieder Hessen: Von einem Computer der hessischen Polizei wurden persönliche Daten der deutschen Kabarettistin Idil Baydar abgerufen. Sie bekommt seit Monaten Drohungen, auch an ihre private Adresse, weil sie öffentlich ihre Meinung äußert: NSU 2.0: Spur im Fall Baydars führt zur Polizei. Ein spannendes Interview mit ihr zur Polizei hat Zeit Online geführt.
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GAIA-X ist die Idee einer europäischen Cloud-Initiative, die auf Open-Source und Dezentralität aufbaut. Mittlerweile fällt aber auch Menschen auf, dass eigene Cloud-Infrastrukturen auf Basis von Open-Source-Software und Offenen Standards super für das Erreichen von digitaler Soveränität sind. Aber bisher hat man die Hardware vergessen: Server-Hardware: Der blinde Fleck von Gaia-X.
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Gute Nachrichten aus Sachsen: Der sächsische Verfassungsschutz soll ein Frühwarnsystem werden. Denn dort hat man mittlerweile investigativ herausgefunden, dass Rechtsextremisten in Ostdeutschland Fuß fassen wollen und dass man das frühzeitig erkennen müsse. Das erklärte der neue Verfassungsschutzpräsident Christian dem MDR. Und ich musste mehrfach draufschauen, dass das auch ein aktuelles Datum und keine uralte Meldung ist. Herzlichen Glückwunsch und Grüße an den Hutbürger!
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Urlaub in Thailand oder Malaysia gemacht? Die Daten von 45 Millionen Urlauber:innen wurden auf einer Plattform gefunden. Sie sollen „Vollständige Namen, Adressen und mobile Telefonnummern; Geschlecht; nicht näher spezifizierte Reisepass-Daten sowie Fluggast-IDs und Flugdetails“ enthalten. Unklar ist, aus welchem Zeitraum die Daten sind: Daten von Millionen von Malaysia- und Thailand-Reisenden im Darkweb aufgetaucht.
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Bei Zeit-Online schreibt Georg Seeßlen, was sich hinter dem Begriff Cancel Culture verbirgt und wie wir als Gesellschaft damit umgehen könnten, um strukturellen Rassismus in der Gesellschaft und Kultur anzugehen: Es wird schmerzhaft.
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Der katalanische Politiker Roger Torrent (wahrschienlich nicht verwandt mit Bittorrent) wurde Opfer einer Staatstrojaner-Attacke. Der Guardian und El Pais haben dazu eine gemeinsame Recherche gemacht. Unklar ist momentan noch, wer dahinter stecken könnte: Phone of top Catalan politician ‚targeted by government-grade spyware‘.
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Wie edel: Google kündigt an, ab dem 11. August kein Geld mehr mit Anzeigen für sogenannte Stalkerware verdienen zu wollen. Die entsprechende Regel wird erweitert, so dass Anzeigen für Spionagesoftware künftig weltweit verboten sind. Das Timing ist interessant, wenn man bedenkt, dass Menschenrechtsaktivist:innen wie das Citizen Lab bereits seit geraumer Zeit auf die kritische Rolle von Google in dieser miesen Branche hingewiesen haben, aber besser spät… Und wenn wir schon dabei sind: Welche Antivirenprogramme Stalkerware auf Android-Smartphones am besten erkennen, hat AV Comparatives hier in Zusammenarbeit mit der Electronic Frontier Foundation untersucht.
Videos der Woche: Live vom Moers Festival
In der Arte-Mediathek gibt es zahlreiche Konzerte des internationalen Musikfestival in Moers. Spannend fand ich vor allem den Auftritt von The Notwist mit ihrem Projekt Messier Objects. Das hätte ich gerne live gesehen. Schön ist auch der Auftritt von Chilly Gonzales mit einem aerosolo #1 – Klavierkonzert.
Das war es für heute. Viele Grüße und bleibt gesund,
Markus Beckedahl
Ich freue mich immer über Feedback und gute Hinweise. Meine Mailadresse ist markus@np. Ich bin zwar häufig von zu vielen eMails überfordert und bekomme nicht alle beantwortet. Aber ich lese alle Mails.
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