Hallo,
heute um 11:00 Uhr sollte der erste bundesweite „Warntag“ stattfinden, der zukünftig jährlich immer am zweiten Donnerstag im September geplant ist. Die Idee dahinter ist sinnvoll: Im Falle einer unerwarteten (Natur-)Katastrophe sollten möglichst große Teile der Bevölkerung schnell darüber informiert werden. Nicht nur die für viele etwas unerwartete Corona-Pandemie zeigt anschaulich, dass so etwas schon passieren kann, zumal die Klimakrise sich weiter zuspitzen wird. Und dafür sollen die Warn-Infrastrukturen getestet werden.
Für mich persönlich ist der Warntag aber ausgefallen. Gestern hab ich noch viel dran gedacht und mir vorgestellt, wie um 11:00 Uhr dann die Sirenen losgehen. Um 11:20 Uhr sollte dann die Entwarnung auf denselben Kanälen durchgegeben werden. Praktisch bemerkte ich gegen 11:04, dass ich weiterhin dieselben Baustellengeräusche von draußen vernahm, aber keine Sirene gehört hatte. Später erfuhr ich zufällig im Netz, dass Berlin zu dicht besiedelt ist und deshalb auf Sirenen verzichtet. Das ist nachvollziehbar, aber passte nicht ganz in die bundesweite Kommunikation zum Warntag, die nun mal Sirenen für alle versprochen hatte.
Für diese Fälle gab es wohl pünktliche Hinweise im (öffentlich-rechtlichen) Radio und Fernsehen. Aber beides konsumiere ich nicht mehr linear, so dass diese mich nicht erreichten. Dafür sollte die NINA-Warnapp des Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) funktionieren, die ich mir mal installiert hatte und die seitdem im Hintergrund auf ihren Einsatz wartete. Die Idee dahinter ist, dass darüber ein „schneller und effizienter Weg zur Warnung der Bevölkerung“ im Falle eines Zivil- und Katastrophenschutzes aufgebaut werden kann, um „die Menschen über Gefahren zu informieren und gleichzeitig konkrete Verhaltenshinweise zu geben.“ Das klappte auch – irgendwie: Erst nach 11:30 Uhr bekam ich darüber eine Information, als die Übung bundesweit schon wieder eingestellt war.
Die für rund 20 Millionen Euro angeschaffte App mit Infrastruktur (ohne Open-Source) hat leider versagt. Gut, dass wir das vor einem richtigen Katastrophenfall getestet haben. Ich bin gespannt auf die Evaluierung und die Debatte im Anschluss, was die technischen und organisatorischen Gründe waren und ob es vielleicht nicht doch bessere Methoden wie Cell Broadcast gibt. Im Falle einer Zombie-Apokalypse können 30 Minuten Verzögerung schon einen klitzekleinen Unterschied machen. Und vielleicht macht etwas Unabhängigkeit vom Netz mehr Sinn, denn im Katastrophenfall würde ich mich jetzt auch nicht auf funktionierendes Internet verlassen wollen, zumal das mit dem Breitbandausbau in vielen Regionen ja verschleppt wurde.
Auf jeden Fall zeigt das Beispiel, dass so ein Warntag Sinn macht. Beim nächsten mal möchte ich aber auch gewarnt werden.
Neues auf netzpolitik.org:
Gute Nachrichten aus den USA hat Tomas Rudl ausgegraben: Portland verbietet Videoüberwachung mit Gesichtserkennung.
Immer mehr US-Städte verbieten Videoüberwachung mit Gesichtserkennung. Nun untersagt mit Portland erstmals eine große Stadt auch privaten Unternehmen die Nutzung dieser umstrittenen Technik. Lokalpolitiker hoffen, damit eine Blaupause für den Rest des Landes geschaffen zu haben.
Sowas bräuchten wir auch in der europäischen Union: Ein Verbot von biometrischen automatisierten Videosystemen im öffenltichen Raum!
Spannende Entwicklungen in Folge des Privacy-Shield-Urteils hat Alexander Fanta aufgeschrieben: Facebook Datentransfers in die USA vor dem Aus.
Das letzte juristische Feigenblatt fällt: Die irische Datenschutzbehörde ließ Facebook wissen, dass es sich beim Datenexport aus Europa nicht mehr auf Standardvertragsklauseln berufen darf. Für den Konzern wird es ernst.
Zu dem bevorstehenden Gesetzesprozess rund um ein Digitale-Dienste-Gesetz hat sich jetzt die UN-Menschenrechtshochkomissarin eingeschaltet, wie Alexander Fanta weiß: UN-Menschenrechtshüterin warnt vor Lösch-Exzessen.
UN-Hochkommissarin Michelle Bachelet schickt einen Brief nach Brüssel. Die EU dürfe bei ihrem neuen Plattformgesetz keine Überwachungspflichten einführen und die Meinungsfreiheit gefährden, fordert die ehemalige chilenische Präsidentin.
Kurze Pausenmusik:
Dieser Newsletter wird, neben viel Herzblut, durch Spenden unserer Leser:innen ermöglicht. Hier kann man uns mit einem Dauerauftrag oder Spende unterstützen.
Wir freuen uns auch über etwas Werbung für den bits-Newsletter, um mehr Mitlesende zu bekommen. Hier geht es zur Anmeldung.
Feedback und sachdienliche Hinweise bitte an markus@netzpolitik.org schicken.
Was sonst noch passierte:
Die Ergebnisse der ARD-ZDF-Onlinestudie für 2020 sind erschienen. Seit vielen Jahren ermitteln die Öffentlich-Rechtlichen Anstalten interessante Zahlen zur Mediennutzung. 99% der 14-29-jährigen haben ein Smartphone und die jungen Menschen nutzen Streamingdienste häufiger als lineares Fernsehen. Diese Zielgruppe hat aktuell eine Brutto-Mediennutzungsdauer von 10,5 Stunden am Tag. Das ist keine Überraschung, aber auch ARD/ZDF haben das jetzt schwarz auf weiß.
===
Im Interview mit der Taz vermisst die ehemalige Europaabgeordnete Julia Reda grundsätzliche Regelungen bei der nationalen Umsetzung der EU-Urheberrechtsreform: „Die Nutzer:innen bekommen nichts“. Sie fordert u.a. eine „händische Prüfung“ „durch einen hinreichend qualifizierten Menschen“ auf Seiten der Plattformen, um sogenanntes Overblocking zu verhindern. Das wollen natürlich die Plattformen nicht weil sie dafür Menschen bezahlen müssten.
===
Was macht die AfD im Europaparlament? Die beiden deutschen Abgeordneten Christine Anderson und Joachim Kuhs sammeln gerade Unterschriften, um über eine EP-Resolution Donald Trump für den Friedensnobelpreis vorzuschlagen. (Quelle: Mail aus dem EU-Parlament)
===
In Hamburg wird mit dem „The New Institut“ ein neuer Think-Tank für die großen globalen Fragestellungen aufgebaut. Dort werden u.a. die frühere CTO von Barcelona, Francesca Bria, als Senior-Advisor und die Nachhaltigkeitsökonomin Maja Göpel als Director of Research tätig sein. Die Zeit hat dazu Maja Göpel portraitiert: Denkerin auf der Baustelle.
===
Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnologie hat eine Studie zum Entwicklungsstand Quantencomputer veröffentlicht. Die Studie selbst ist in englisch, ein Executive Summery gibt es in deutsch.
===
Der US-Investigativreporter Bob Woodward hat mit „Rage“ ein neues Enthüllungsbuch über die Präsidentschaft von Donald Trump veröffentlicht. Dazu gehören auch Enthüllungen, wonach Donald Trump bereits Anfang Februar über die größere Tödlichkeit von Corona gegenüber der Grippe Bescheid wusste und das auch als Audio-Datei vorliegt. Bei CNN gibt es die exklusiven Audio-Zitate zum Nachhören: ‚Play it down‘: Trump admits to concealing the true threat of coronavirus in new Woodward book.
Darum entwickelt sich gerade eine interessante medienpolitische Debatte. Hätte Woodward bereits früher damit in an die Öffenltichkeit gehen müssen, um Menschenleben zu retten, anstatt damit auf den Veröffenltichungstermin seines Buches zu warten? Margaret Sullivan hat das in der Washington Post aufgeworfen: Should Bob Woodward have reported Trump’s virus revelations sooner? Here’s how he defends his decision. Woodward argumentiert, dass das nicht seine Aufgabe, sondern die des Präsidenten gewesen sei. Ich bin mir da nicht so sicher, ob das die richtige ethische Antwort in heutigen Zeiten ist.
===
Die Dauerwerbesendung Pamela Reif gehört mit 6,4 Millionen Follower:innen auf Instagram zu den reichweitenstärksten Influencer:innen in Deutschland. Jetzt hat sie wegen mangelnder Werbekennzeichnung vor dem Oberlandesgericht Karlsruhe eine erneute Niederlage erlitten: Influencerin Pamela Reif kassiert erneut Schlappe im Prozess um Schleichwerbung. Möglicherweise geht die Auseinandersetzung wieter zum Bundesgerichtshof. Eine höchstrichterliche Entscheidung ist hier sinnvoll, um mehr Klarheit zu erreichen.
===
Am 18. Dezember soll die Neuverfilmung von Dune im Kino anlaufen. Jetzt gibt es dazu einen Trailer inklusive Pink Floyd. Ich freu mich.
===
Das war es für heute. Viele Grüße und bleibt gesund,
Markus Beckedahl
Ich freue mich immer über Feedback und gute Hinweise. Meine Mailadresse ist markus@netzpolitik.org. Ich bin zwar häufig von zu vielen eMails überfordert und bekomme nicht alle beantwortet. Aber ich lese alle Mails.
Diesen Newsletter kann man hier abonnieren.
Im Anfangsstadium gibt es hier keine zusätzliche Redaktion und Qualitätskontrolle. Rechtschreibfehler werden zwar vermieden, können aber auftreten und müssen in diesem Fall leider auch behalten werden. Dieser Newsletter wird auch von vielen Spenden im Rahmen der freiwilligen Leser:innenfinanzierung von netzpolitik.org ermöglicht. Mit Deiner Unterstützung können wir noch viel mehr machen.