[bits] Wenn Dickpics plagiieren

Hallo,

wir sind mittlerweile im Sommerloch angekommen. Das merken wir immer daran, wenn es sehr wenig tagesaktuelle netzpolitische Nachrichten gibt. Aber etwas Entspannung tut auch gut.

Am Freitag habe ich auf die Plattform Dickstinction verwiesen, über die unser Redakteurin Chris Köver geschrieben hatte. Das ist eine „Legal-Tech“-Seite, über die Menschen, die ohne Konsens Dickpics zugeschickt bekommen, schnell und einfach Strafanzeige stellen können. Eine praktische Sache für viele Betroffene, die keine Lust haben, auch noch ewig Zeit mit dieser Prozedur zu verbringen, nur weil sie von Deppen unaufgefordert solche Bilder bekommen. Das Projekt hat bei einem Legal-Tech-Hackathon sogar den ersten Platz inklusive Preisgeld erhalten. Soweit, so gut.

Das Problem ist: Die Idee ist gut, die Seite ist aber fast komplett von einem anderen Projekt kopiert. Dazu gibt es keinerlei Hinweis und die Entwickler:innen des Originals wurden nicht gefragt, ob ihr Code genutzt werden darf. Dirk Engling ist einer der Entwickler des Abmahnbeantworters, einem Projekt des Chaos Computer Clubs. Er veröffentlicht in der Regel alle seine Projekte unter einer freien Lizenz. In diesem Fall hat er das aber explizit nicht gemacht, was bedeutet, dass die Software nach geltenden Urheberrechtsregeln nicht ohne Einverständnis genutzt werden darf.

Dirk, der im Netz unter dem Namen erdgeist bekannt ist, schreibt in seinem Blog über den Fall. Und darüber, dass er mit der Idee des Projekts sympathisiert, aber es nicht toll findet, wenn andere seine Arbeit nutzen, sich damit schmücken, bei Wettbewerben mitzumachen und Preisgelder dafür erhalten und das alles, ohne einen transparenten Verweis zu setzen oder einfach mal nachzufragen.

Das kann ich verstehen: Gewissensbits.

Neues auf netzpolitik.org:

Es gibt sehr viele Datenbanken mit noch mehr personenbezogenen Hinweise, auf die die Berliner Polizei zugreifen kann. Ich kann mir vorstellen, dass da Datenschutzbeauftragte schnell den Überblick verlieren. Markus Reuter hat den Überblick: Mehr als 130 Datenbanken und fast 100.000 personengebundene Hinweise gespeichert.

Die missbräuchliche Nutzung von Datenbanken durch die Polizei wird aktuell wieder debattiert. Uns hat interessiert: Auf welche Datenbanken kann die Berliner Polizei zugreifen und welche Personenmerkmale erfasst sie in gesonderten Datenbanken? Einen Überblick liefert eine parlamentarische Anfrage.

Über unsere Pimeyes-Recherchen haben Ingo Dachwitz, Sebastian Meineck und Daniel Laufer im Netzpolitik-Podcast Folge 204 gesprochen: Gesichtserkennung ist eine Waffe.

Was steckt hinter PimEyes? Sebastian Meineck und Daniel Laufer sprechen mit Ingo Dachwitz über ihre Recherche zu der dubiosen polnischen Firma, über die Hochrisikotechnologie Gesichtserkennung und über die Reaktionen auf ihre Veröffentlichung.

Wissenswertes zur Coronakrise:

Viele Spezialexpert:innen denken, dass sie einer Maskenpflicht Rechnung tragen, indem sie eine Maske tragen, aber die Nase frei lassen. Im öffentlichen Raum sehe ich eher Männer, die das machen. Ein aktueller dpa-Artikel erklärt noch einmal, dass das mit der Maske nur Sinn macht, wenn auch die Nase bedeckt ist. Alles andere ist Karneval.

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In den USA haben Forscher:innen einen Frisorsalon untersucht, wo zwei Frisöre mit Covid-19 infiziert waren, aber aufgrund von leichten Symptomen nicht daran dachten und weiterarbeiteten. Der Fall ist für die Forschung interessant, weil es 140 Kund:innen, aber keine Infektion auf dem Weg zu finden gab. Die Lösung des Problems waren offensichtlich Masken, die sowohl von den infizierten Frisören als auch von den Kund:innen getragen wurden. Das muss ich mal meinem Frisör geben, wenn er mich das nächste Mal wieder fragt, ob er eine Maske tragen soll. Es kann manchmal so einfach sein. (Originalartikel ist bei New York Times: 2 Stylists Had Coronavirus, but Wore Masks. 139 Clients Didn’t Fall Sick.)

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Aber es gibt auch Schattenseiten beim Thema Masken (und damit meine ich nicht, dass die Dinger auf längere Sicht unkomfortabel sind und man sie häufig vergisst) Bei der New York Times findet sich eine Video-Reportage über chinesische Arbeitslager, in denen Menschen der uigurischen Minderheit in Gefangenschaft Masken herstellen müssen, die dann auch in den Westen exportiert werden: Wearing a Mask? It May Come From China’s Controversial Labor Program.

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Wer aus einem Risikogebiet zurück kommt, muss für 14 Tage in die Quarantäne. Aber das kontrolliert niemand. Schnell-Tests am Flughafen kosten 90 Euro und können freiwillig gemacht werden. Aber wer macht das schon, wenn das alles freiwillig ist? Irgendwie scheint das System noch nicht für den Krisenfall durchdacht, wie der WDR berichtet: Rückkehr aus Risikogebieten: Wer kontrolliert eigentlich die Quarantäne?

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Einen aktuellen Überblick zum Thema Impfstoffe gibt ein dpa-Artikel von heute: Corona-Impfstoff: Eifrige Forschung mit ungewissem Ausgang. Es bleibt bei der Glaskugel, vielleicht klappt einer schnell, vielleicht dauert es auch noch lange. Einige Staaten haben aber aktuell Probleme damit, dass für die Durchführung von Tests auf andere Staaten zurückgegriffen werden muss, weil man aktuell Zuhause den Ausbruch unter Kontrolle bekommen hat.

Was sonst noch passierte:

Irland hat auch eine funktionierende Corona-Warn-App, zumindest im Sinne von „wird häufig runtergeladen“ und könnte vielleicht auch ihren Zweck erfüllen. Die irische App war um einiges günstiger als die deutsche, aber da waren auch nicht SAP und T-Systems involviert. Ich kenne jetzt nicht die technischen Details, aber laut einem Artikel im Guardian scheint die App ähnlich wie die deutsche zu funktionieren und hat eine noch größere Verbreitung. Und vor allem funktioniert sie, im Gegensatz zu der britischen Variante. Bei allen Corona-Warn-Apps gilt aber immer noch: Wir wissen noch nicht, ob der eigentliche Zweck damit erreicht werden kann, nämlich signifikant Infektionsketten nachvollziehbar zu machen. Die deutsche Warn-App hat leider immer noch viele Fehlermeldungen und die Anbindung an die analogen Labors und Gesundheitsämter dauert länger als gedacht.

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Der Tagesspiegel thematisiert, dass in Berlin viele, aber dann im Vergleich zur Gesamtbevölkerung wiederum nicht so viele Menschen einen eigenen Kleingarten besitzen oder gemietet haben. Das ist eine schöne Sache, wenn man einen hat oder einen von Freund:innen besuchen darf. Aber in Zeiten von knappem Wohnraum ist das auch eine politische Frage, Vor alle wenn 71.000 Parzellen rund 2900 Hektar Fläche einnehmen. Und damit alle Kleingartenflächen zusammen die Größe von 14 Tiergärten haben. Und der Tiergarten ist schon ein riesiger Park, der aber von allen Menschen besucht werden darf: „Laubenpieper verhalten sich asozial“.

Das interessanteste an dem Artikel ist übrigens, dass der Tagesspiegel einen Experten als Kronzeugen ausführlich zitiert, aber nicht den Namen nennt. Das ist journalistisch nicht ganz sauber und man macht das vor allem in zwei Fällen: Um eine Quelle zu schützen oder um eine Lobby-Agenda zu verschleiern.

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Die ehemalige EU-Abgeordnete Julia Reda schreibt in ihrer Heise-Kolumne über unsere Pimeyes-Recherchen und wundert sich wie wir, warum es so wenig Aufschrei beim Thema automatisierte Gesichtserkennung gibt: PimEyes & Gesichtserkennung in Europa – wo bleibt der Aufschrei?

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In der Süddeutschen Zeitung kommentiert Dunja Ramadan, dass Frauen, die aufgrund des Zugriffs von Polizeicomputern auf ihre Meldedaten, Droh-Briefe erhalten, weniger Rückhalt von staatlicher Seite erhalten wie Polizist:innen: Die Wut der Frauen.

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Der Deutschlandfunk hat den Kriminologen Tobias Singelnstein zum Thema Rassismus und Rechtsextremismus in unseren Sicherheitsbehörden interviewt. Er kritisiert eine Art Korpsgeist, der eine offene Debatte verhindere, die notwendig sei, um das Vertrauen aller Bürger:innen zu gewinnen: Bei selbstkritischer Debatte noch „Luft nach oben“.

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Dazu passte die folgende Meldung aus der taz: Mitgliedsnummer 11. Bodo Pfalzgraf, Polizist und Vorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) in Berlin, gehörte jahrelang einem Bildungswerk an, das zu einer rechtsextremen Tarnorganisation wurde.

Video des Tages: Waldheims Walzer

Österreich war ja Teil von Nazi-Deutschland und nicht ganz unschuldig an 2. Weltkrieg und dem Holocaust. Trotzdem hat das Land lange alles erfolgreich verdrängt, im Gegensatz zu einer weitaus größeren Aufarbeitung in Westdeutschland. Die Dokumentation „Waldheims Walzer“ in der Arte-Mediathek thematisiert die Debatte anhand des ehemaligen UN-Generalsekretärs und österreichischen Bundespräsidenten, der ganz vergessen hatte, sich daran zu erinnern, dass er früher einen Führungsposten bei der Wehrmacht hatte. Das kommt in den besten Familien vor, siehe Günther Grass, aber der wollte auch nicht Bundespräsident werden (oder mir ist das in der Gnade meiner späten Geburt entgangen).

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Für den Kontext passt übrigens die 15 Minuten kurze ZDF-Doku „Leben am Limit – Deutschland nach Kriegsende 1945„.

Morgen gibt es dann wieder was fröhlicheres.

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Das war es für heute. Viele Grüße und bleibt gesund,
Markus Beckedahl

Ich freue mich immer über Feedback und gute Hinweise. Meine Mailadresse ist markus@netzpolitik.org. Ich bin zwar häufig von zu vielen eMails überfordert und bekomme nicht alle beantwortet. Aber ich lese alle Mails.

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