[bits] Wer hört hier mit?

Hallo,

eigentlich wollte ich heute über die „Politische Eröffnung“ der großen Computerspielemesse Gamescon in Köln schreiben, die wegen Corona im Stream stattfindet.

NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU), Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) und die Beauftragte der Bundesregierung für Digitalisierung, Dorothee Bär (CSU), lasen voraufgezeichnet mal mehr oder weniger ihre Texte etwas steif vom Teleprompter ab und machten hölzerne Übergabesprüche zur nächsten Person, eingerahmt von einer penetranten Musik.

Natürlich durften die Durchhalteparolen nicht fehlen: Die Bundesregierung verspricht mehr Förderung für Spieleentwicklung, 50 Millionen sollen es pro Jahr werden. Dabei warten immer noch viele Unternehmen auf die bereits versprochene Förderung, die in der Bürokratie festhängt. In einer Branche, die von Schnelligkeit lebt und schnell auf neue technologische Entwicklungen reagieren muss, ist das ein großes Problem. Das war es aber auch schon mit politischen Inhalten.

Nach 20 Minuten war das vorbei und ich dachte, nach dem Imagefilm beginnt jetzt die „Politische Eröffnung“. Aber der Stream blieb stumm.

Interessanter war zeitlich im Anschluss die Bundespressekonferenz mit Angela Merkel, aber da gab es nur einen kurzen netzpolitischen Inhalt, als sie gefragt wurde, was sie von Videokonferenzen hält. Die findet sie besser als gedacht, wenn es kleine Gruppen sind und man auch Menschen schon kennt. Der zentrale Satz war aber: „Videokonferenzen haben auch den Nachteil, dass man nicht weiß, wer noch zuhört.“ Hier blieb unklar, ob sie damit die Massenüberwachung durch NSA und Co meinte oder nur, dass man nicht wissen könne, wer an der Endgeräten noch mithört.

Aber falls das erste gemeint war: Die Erkenntnis könnte doch mal dazu führen, dass die Bundesregierung mehr datenschutzfreundliche und sichere Open-Source-Lösungen fördert und selbst entsprechende Infrastrukturen aufbaut.

Mehr netzpolitische Inhalte lieferte heute der Chaos Computer Club. Hacker:innen haben eklatante Sicherheitslücken bei einer beliebten Restaurantsoftware entdeckt. Über eine Cloud-basierte Software wurden Reservierungen verwaltet und sie wurde auch als Lösung für die Anforderung an Corona-Listen genutzt. Insgesamt war der Zugriff auf 4,8 Millionen Personendatensätze aus über 5,4 Millionen Reservierungen möglich.

Der Chaos Computer Club entdeckte eine Vielzahl an Sicherheits – und Datenschutzproblemen: Lange zurückliegende Reservierungen wurden nicht gelöscht, der Zugriff auf Nutzer:innendaten war möglich und es konnten Bestellungen für andere aufgegeben oder storniert werden.

Das Cloud-Unternehmen schiebt jetzt die Verantwortung auf die eigenen Kunden, die sich angesichts der Marketingversprechen wahrscheinlich auf den Dienstleister verlassen haben. Dieser kommunizierte die eigenen Produkte als „sicher“ und „datenschutzkonform“ und verkündete, dass die Cloud die Zukunft sei.

Der Chaos Computer Club gibt Restaurants den Tip, nicht auf solche Versprechungen reinzufallen. Corona-Listen sollten auf Papier geführt werden, wobei alle Gäste auf einzelnen Blättern ihre Daten hinterlassen sollen, die dann in einen verschlossenen Briefkasten geworfen werden und pro Tag versiegelt und gesichert aufbewahrt werden sollen, bis sie nach Ablauf der Aufbewahrungsfrist vernichtet werden müssen.

Markus Reuter hat die Zusammenfassung: CCC hackt Corona-Kontaktlisten aus beliebter Restaurantsoftware.

Erst griff die Polizei auf die Listen in Restaurants zurück und jetzt haben Hacker:innen die digitale Form solcher Listen gehackt. Gefunden haben sie auch Reservierungen von Spitzenpolitikern wie Gesundheitsminister Jens Spahn.

Neues auf netzpolitik.org:

Die Pläne aus dem Innenministerium, die Steuer-ID bei der Registermodernisierung zu einer einheitlichen Personenkennzahl auszubauen, bekommen Gegenwind. Markus Reuter berichtet: Alle Datenschutzbehörden halten Seehofer-Pläne für verfassungswidrig

Die Datenschutzbehörden von Bund und Ländern sehen den aktuellen Gesetzentwurf zur Registermodernisierung als verfassungswidrig an. Sie sprechen sich für eine datenschutzfreundlichere Lösung nach österreichischem Vorbild aus. Dort haben die Behörden keinen Zugriff auf die Personenkennzahl.

Leonhard Dobusch kommentiert die Auswüchse des Zensurheberrechts: Wer sich mit Zitaten schmückt, darf nicht zu kritisch sein

Wer sich auf YouTube kritisch mit anderen Videos auseinandersetzt, stößt schnell an die Grenzen des urheberrechtlich Erlaubten. Grund dafür ist die sehr enge Ausgestaltung des Zitatrechts in Deutschland. Die anstehende Umsetzung der EU-Urheberrechtsrichtlinie bietet eine Gelegenheit, hier nachzubessern.

Charlotte Pekel über die neuen Erkenntnisse bezüglich der rechtsextremem „NSU 2.0“ – Drohbriefe: Datenmissbrauch durch Polizeibeamte wohl auch in Hamburg und Berlin.

Laut Medienberichten sollen auch Polizeibeamte in Hamburg und Berlin unbefugt auf vertrauliche Daten zugegriffen haben. Die Datenbankabfragen stehen im Zusammenhang mit anonymen Drohbriefen, die mit „NSU 2.0“ unterzeichnet waren.

Es gibt auch positive Entwicklungen in Folge der Coronakrise, wie Markus Reuter über Argentinien berichtet: Argentinien macht Netzzugang zum Grundrecht und friert Tarife für Mobilfunk und Internet ein.

Um den Zugang zu Kommunikation für die Bevölkerung auch in der Corona-Krise zu sichern, nimmt Argentinien die Telekommunikationsbranche an die kurze Leine.

In Belarus wird weiter mit Internetabschaltungen gegen Demonstrierende vorgegangen: Regierung in Belarus stört Internetzugang.

Die Regierung in Belarus geht mit Gewalt gegen die Proteste der eigenen Bevölkerung vor. Um Kritik zu unterdrücken, schaltet sie immer wieder das Internet ab und blockiert Websites. Aktivist:innen und Journalist:innen wehren sich dagegen.

Kurze Pausenmusik:

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Was sonst noch passierte:

In der Süddeutschen Zeitung kommentiert Ronen Steinke gegen die Alltagspraxis, dass mögliche Rechtsverstösse in der Polizei durch die Polizei aufgeklärt werden sollen und das der Glaubwürdigkeit schadet. Er plädiert für unabhängige Ermittler:innen: Polizei ermittelt gegen Polizei – das ist kein gutes Prinzip.

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In den USA geht das von Peter Thiel gegründete Überwachungsunternehmen Palantir an die Börse. Protocol hat eine Übersicht über die Geschäfte und Dienstleistungen des Unternehmens: What You Need To Know About Palantir’s Direct Listing. Vice hat sich angeschaut, was das Unternehmen als mögliche Risiken für seine Geschäfte ansieht und zwar Datenschutzregulierung und fehlerhafte Künstliche Intelligenz: Palantir Says Faulty AI and Privacy Regulation Are a Risk to the Company.

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Der Diplom-Pädagoge Jöran Muuß-Merholz ist einer der Vordenker der digitalen Bildung in Deutschland und hat für Heise-Online eine Zeitmaschine genutzt, um auf das Jahr 2040 zu schauen, wie da Schulen funktionieren: Schule digital: Schule nach der Digitalisierung – eine Zeitreise ins Jahr 2040 .

In der Zukunft ist für alle etwas da, es gibt sogar das Manfred-Spitzer-Lyzeum, wo man keinen Kontakt zu digitalen Technologien hat.

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Correctiv hat einem Netzwerk an Corona-Leugner:innen hinterher recherchiert, die als vermeintliche Expert:innen auftreten und gerne Youtube als Hauptverbreitungsmedium nutzen. Dabei verschwimmen die Grenzen zwischen vermeintlichen linken und echten rechtsextremen Inhalten. Das gibt einen guten Einblick, wer auch hinter den Anti-Corona-Demos steht: Im Netz der Corona-Gegner.

Gut erklärt war auch die Praxis, wie Atteste gegen Maskenpflicht verteilt werden und dass das in der Regel illegal ist. Ich bin in den vergangenen Monaten diverse Male Menschen begegnet, die mit Verweis auf ein Attest sich vehement weigerten, eine Maske zu tragen. Da sollte man immer genau hinschauen. In der Regel ist das schon eine Ordnungswidrigkeit, wenn das nicht ein Arzt, sondern ein Heilpraktiker ausgestellt hat und die Vorlagen gibt es im Netz zum Ausdrucken.

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Der Hintergrund im Deutschlandfunk thematisierte gestern Feminismus als Feindbild: „Wie Frauen in rechten Ideologien zum Hassobjekt werden“. Alle rechtsextremen Attentate der letzten Jahre hatten Frauenhass als weiteres Motiv dabei.

Dazu passt auch dieser Beitrag im Deutschlandfunk über toxische Männlichkeit: Die popkulturellen Wurzeln des Incel-Movements. Ganz schlecht schneidet „Big Bang Theory“ ab, neuere Serien wie „Sex Education“ oder „The end of the fucking world“ machen hingegen Hoffnung. Das sind auch aus anderen Gründen die besseren Serien.

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Die beiden US-Journalist:innen Anna Merlan und Mathew Ingram unterhalten sich ausführlich in einem textbasierten Online-Interview über QAnon und wie man über diesen Verschwörungskult berichten sollte: Anna Merlan on QAnon and disinformation.

Late Night Shows über #Kenosha

Ich hab mir gestern Late Night Shows in den USA angeschaut und wie diese das aktuelle Attentat in Kenosha / Wisconsin bewerten. In der Stadt wurde einem schwarzen Mann sieben Mal von der Polizei in den Rücken geschossen, das kann man wieder unter Rassismus einordnen. Daraufhin kam es zu Protesten, die einen 17-jährigen weißen Mann dazu motivierten, mit einer Schusswaffe nach Kenosha zu fahren, um dort auf protestierende Schwarze zu schießen und zwei Menschen zu töten. Er konnte anschließend unbehelligt von der Polizei wieder nach Hause fahren und wurde erst am kommenden Tag festgenommen.

„The Daily Show with Trevor Noah“ kommentiert das wütend: Why Did the Police Shoot Jacob Blake?

The Late Show with Stephen Colbert“ verknüpft die Geschichte mit dem aktuellen republikanischen Parteitag, über den er nicht genauer berichten will, denn: „Why should we watch their reality show if it does not reflect our reality?“

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Auch mal gute Neuigkeiten aus Österreich: Nach über zehn Jahren haben Kruder & Dorfmeister mit „Johnson“ eine neue Single veröffentlicht, ein neues Album soll im Oktober kommen. Dabei handelt es sich um ein unveröffentlichtes Album von 1995, also aus ihrer Blütezeit. Ich freu mich.

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Das war es für heute. Viele Grüße und bleibt gesund,
Markus Beckedahl

Ich freue mich immer über Feedback und gute Hinweise. Meine Mailadresse ist markus@netzpolitik.org. Ich bin zwar häufig von zu vielen eMails überfordert und bekomme nicht alle beantwortet. Aber ich lese alle Mails.

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