Hallo,
bis in die Nacht hinein läuft noch die re:publica im virtuellen Exil. Auf der Webseite re-publica.tv gibt es vier Kanäle, die auch auf Youtube gespiegelt werden.
Für heute Abend gibt es u.a. noch Sessions über Content-Moderation auf großen Plattformen mit Jillian York (EFF) und David Kaye (UN-Sonderbeauftragter für die Meinungsfreiheit), der Science-Fiction-Autor und Aktivist Cory Doctorow spricht über digitale Souveränität, Chris Köver und Ingo Dachwitz von netzpolitik.org reflektieren die Debatte um eine Contact-Tracing-App und zum Abschluss erzählen Leonhard Dobusch und Kathrin Passig, was am Internet toll ist.
Hier geht es zu den netzpolitischen Sessions im vielfältigen Programm.
Ankündigung: Kurze Pause
Dies wird für die kommenden zehn Tage der letzte Newsletter sein. Freitag ist Feiertag in Berlin und kommende Woche versuche ich mal ein paar Tage weitgehend ohne Netz auszukommen. Spätestens am 18. Mai geht es dann mit der nächsten Ausgabe weiter.
Neues bei netzpolitik.org:
Mit der Novellierung des Polizeigesetzes im Saarland soll es mehr technische Ausstattung und mehr Befugnisse für die Beamt:innen geben. In dem Gesetzentwurf des CDU-geführten Innenministeriums sind unter anderem elektronische Fußfesseln, Bodycams und Spähsoftware vorgesehen. Damit soll die saarländische Polizei dann beispielsweise auch Trojanersoftware einkaufen können, um damit Handys oder Computer zu infiltrieren und so an sämtliche Kommunikationsdaten zu kommen, „soweit diese im überwachten System gespeichert sind“. Genau eine solches Auslesen gespeicherter Kommunikationsinhalte hat das Bundesverfassungsgericht allerdings bereits verboten.
Die Änderungen im Detail haben wir hier aufgeschrieben. Außerdem war für uns Marie Bröckling als Sachverständige im Innenausschuss, ihre schriftliche Stellungnahme ist hier zum Nachlesen.
Bereits 2018 hatte Facebook ein Oversight Board angekündigt, quasi eine Art Verfassungsgericht für Inhalte auf Facebook. Jetzt nimmt das Gremium seine Arbeit auf. Dort sollen grundsätzliche Entscheidungen getroffen werden, die dann Richtlinien bilden für viele komplizierte Einzelfälle, über die Facebooks Moderator:innen täglich im Sekundentakt entscheiden müssen. Alexander Fanta hat sich das Oversight Board für uns angeschaut und kommentiert:
Kluge Köpfe ersetzen keine Demokratie. Facebook besetzt sein neues Gremium für den Schutz der freien Meinungsäußerung mit Prominenten und juristischem Sachverstand. Dennoch fehlt es an demokratischer Legitimität.
Auch Twitter schaltet und waltet auf der eigenen Plattform nach Gutdünken, so scheint es. Gerade erst hat das Unternehmen den Account der Hedonistischen Internationale gesperrt. Angabe von Gründen? Fehlanzeige. Genauso wenig reagierte das Unternehmen im eigenen Beschwerdesystem. Erst als Presse ins Spiel kam, wurde der Account wieder freigeschaltet. Ein Einzelfall ist das nicht, hat Tomas Rudl für uns recherchiert: Willkürliche Sperren – Twitters Beschwerde-System funktioniert am besten über die Presse.
Wissenswertes zur Coronakrise
Nachdem gestern die Bundesregierung bekannt gegeben hatte, dass die Länder über mögliche Lockerungen entscheiden dürfen, ist die Angst vor einer zweiten Welle der Pandemie groß.
Das würde die Wirtschaft noch härter treffen als bisher, warnt Marcel Fratzscher, Präsident des Insittuts für Wirtschaftsforschung (DIW), in seinem Gastbeitrag auf Spiegel Online und plädiert für vorsichtige Lockerungen: Wenn der neue Übermut zur Gefahr wird.
Zweifler an der Gefährlichkeit des Virus gibt es viele, Verschwörungsmythen breiten sich aus. Dieses Problem kann auch ein stumpfer Verweis auf die Wissenschaft nicht lösen, erklärt die Republik. Denn „die“ Wissenschaft gibt es nicht und wer eine wissenschaftliche Ausbildung und Titel hat, hat nicht unbedingt Recht, wie auch die internen Debatten zeigen.
Doch nur weil die Suche nach der Wahrheit komplex ist, heißt das nicht, dass am Ende gar nichts stimmt. Wichtig ist deshalb nicht nur, was Wissenschaftler:innen sagen, sondern auch der Blick darauf, wie und warum sie sich äußern, fasst die Republik zusammen: Was Wissen schafft
In seiner Kolumne bei Spiegel-Online beschäftigt sich Sascha Lobo mit dem Phänomen der Social Meltdowns. Und fragt sich, warum vor allem Männer in Krisenzeiten so anfällig dafür sind, sich zu radikalisieren und öffentlich durchzudrehen: Ein wenig Wahn schlummert in uns allen.
Haben Frauen in der Coronakrise den besseren Führungsstil? Nicht unbedingt, aber Männer haben gerade definitiv den schlechteren, analysiert The Atlantic: The Pandemic Has Revealed the Weakness of Strongmen. Oder auch umgekehrt: Es wird nicht alles besser, nur weil ein Land von einer Frau geleitet wird. Aber wo eine Frau Präsidentin sein kann, ist die Kultur vielleicht weniger vergiftet.
Über vier Millionen Abrufe soll ein Video von KenFM über eine Corona-Verschwörung auf Youtube haben. Das bedeutet nicht, dass das auch vier Millionen Menschen gesehen haben, dafür ist Youtube zu ungenau. Aber erschreckend ist es schon, dass offensichtlich viele Menschen auf einen populistischen Manipulator wie Ken Jebsen mit seinen billigen Verschwörungsmythen hereinfallen. Die Autorin Sophie Passmann hat mit einem Reaction-Video auf ihrem Instagram-Kanal in neun Minuten viele Punkte widerlegt. Und das ist sehenswert.
Was sonst noch so passierte
Am 19. Mai verkündet das Bundesverfassungsgericht sein Urteil über das BND-Gesetz. Es geht um die Grundsatzfrage, ob unser Auslandsgeheimdienst alles im Netz überwachen darf, was er will und tut. Die letzte Große Koalition hatte ihm große Freiheit gegeben. Oder ob wir klare Regeln und Grenzen bekommen, weil der Bundesnachrichtendienst mit seiner anlasslosen Massenüberwachung Grund- und Menschenrechte verletzt.
Die Welt schafft es in einem Artikel verschiedene aktuelle und ehemalige BND-Mitarbeitende anonym zu Wort kommen zu lassen, die suggerieren, dass „hinter dem Verfahren eine gezielte geheimdienstlich gesteuerte Aktion stecken könnte, um der Bundesrepublik zu schaden“.
Das ist vollkommen absurd. Ich hab den Gesetzesprozess und auch die Klage-Einreichung und -Behandlung sehr nah verfolgt und kann bestätigen, dass alle Beteiligten große Bedenken bezüglich der Rechtsstaatlichkeit haben. Und ich finde es richtig und wichtig, dass dann das Verfassungsgericht darüber entscheiden muss, ob das jetzt legal ist oder nicht. Denn auch der Bundesnachrichtendienst steht nicht über unserem Grundgesetz. Seine Aufgabe ist es, unsere Grundrechte und Demokratie zu schützen. Wenn dabei Grenzen überschritten werden, muss das korrigiert werden.
Wirtschaftlich betrachtet läuft es für Amazon in der Krise richtig gut. Intern muss sich das Unternehmen allerdings mit immer mehr kritischen Stimmen auseinandersetzen. Mindestens sechs Arbeiter:innnen, die für mehr Sicherheit am Arbeitsplatz protestiert haben, verloren ihren Job, berichtet der Guardian: Amazon is cracking down on protesters and organizing, workers say.
Video des Tages: Kraftwerk
Mit 14 bekamen meine Eltern eine neue Stereoanlage mit CD-Player, die sie im Wohnzimmer aufbauten. Zu dem Zeitpunkt kam „The Mix“ von Kraftwerk raus, eine Kompilation der größten Hits in etwas neueren, zeitgenössischeren Versionen. Das wurde dann die erste CD, die ich mir von meinem Taschengeld kaufte und auf der Anlage ausprobierte. Ich weiß noch genau, wie der Anfang klang. Die CD startet mit „Die Roboter“ und ich hatte noch nie in meinem Leben einen solch klaren elektronischen Sound gehört. Das war für mich eine musikalisch neue, eine andere Welt. Die mich seitdem nicht mehr losgelassen hat. Vielen anderen ging es ähnlich. Gestern wurde bekannt, dass der Kraftwerk-Mastermind Florian Schneider-Esleben mit 73 Jahren verstorben ist.
Über Kraftwerk ist viel geschrieben worden. Die bisher interessanteste Biographie, die ich gelesen habe, ist von dem britischen Journalisten David Buckley „Kraftwerk – Die unautorisierte Biografie“. Buckley geht dabei weniger auf das Werk an sich ein, sondern vor allem auf die Auswirkungen. Und beschreibt damit anschaulich, wie einflussreich diese Band aus Deutschland war, die bei uns damals eher belächelt wurde. Das änderte sich spätestens mit Techno.
Auf Youtube gibt es jetzt eine einstündige eine ARTE-Dokumentation über Kraftwerk.
Viele Grüße und bleibt gesund,
Markus Beckedahl
Ich freu mich immer über Feedback und gute Hinweise. Meine Mailadresse ist markus@np. Ich bin zwar häufig von zu vielen eMails überfordert und bekomme nicht alle beantwortet. Aber ich lese alle Mails.
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