Hallo,
ein weiterer netzpolitischer Zombie taucht gerade auch wieder vermehrt auf: Die Vorratsdatenspeicherung. Die Idee dahinter ist, dass Telekommunikationsanbieter für einen bestimmten Zeitraum speichern müssen, wer mit wem kommuniziert hat und wo das war. Die ursprüngliche Vorratsdatenspeicherung basierte auf einer EU-Richtlinie von 2005 und trat 2008 in Deutschland mit der Verpflichtung zur Speicherung von sechs Monaten in Kraft. Das Bundesverfassungsgericht urteilte 2010, dass das Gesetz verfassungswidrig sei und 2014 erklärte der Europäische Gerichtshof die EU-Richtlinie für nicht verfassungskonform.
Das hinderte die Große Koalition natürlich nicht, die Vorratsdatenspeicherung 2015 wieder einzuführen und 2017 setzte ein Gericht diese wieder aus. Und seitdem warten alle wieder auf das Bundesverfassungsgericht, das eigentlich dieses Jahr die zahlreichen Klagen gegen die Wiedereinführung behandeln sollte.
Aktuell erleben wir ein Revival, das mir sehr bekannt vorkommt. Auf der Konferenz der Innenminister (nicht gegendert, es gibt einfach keine Frauen in diesem Job in Deutschland) wird dafür getrommelt und gestern Abend hat Familienministerin Giffey (SPD) in einer Talkshow auch dafür plädiert. Und zwar wegen Kindesmissbrauch. Das ist immer ein beliebtes Totschlagargument für Grundrechtseinschränkungen, denn wer kann denn etwas gegen den Schutz von Kindern haben?
Vor allem dient die Vorratsdatenspeicherung als Metapher: Wenn es irgendwo strukturelles Versagen gab, ist die Wunderwaffe immer die Vorratsdatenspeicherung. Gerade bei den aktuellen und schrecklichen Missbrauchsfällen sehen wir aber, dass wir es mit überforderten und personell schlecht besetzten Ämtern auf kommunaler Ebene zu tun hatten, die einfach nicht genau hingeschaut haben.
Eine Vorratsdatenspeicherung würde daran wenig ändern. Sie würde aber die gesamte Bevölkerung unter Generalverdacht stellen und gleichzeitig eine Vielzahl an Überwachungsmöglichkeiten bieten. Denn alleine über die Standortdaten unserer Smartphones kann man bei einer längeren Speicherung genau wissen, wo wir waren, wen wir dabei getroffen haben und sogar daraus Schlüsse ziehen, was wir morgen machen werden.
Genau deswegen ist die Vorratsdatenspeicherung gefährlich. Aber zugleich gilt sie eben als Projektionsfläche, weil sich viele diese als Wunderwaffe vorstellen. Dafür gibt es keine Belege, die zwei Jahre, als sie in Kraft war, waren dahingehend eher ernüchternd.
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Heute auf netzpolitik.org:
In den USA ist die Förderung von Privatsphäre-Software und die gesamte Anti-Zensurinfrastruktur in Gefahr. Tomas Rudl erklärt die Hintergründe: Politischer Kahlschlag trifft Open Technology Fund.
Ein politisches Manöver der Trump-Regierung bedroht die Finanzierung vieler offener und freier Softwareprojekte. Über Nacht kam dem Open Technology Fund die langjährige Chefin Libby Liu abhanden, die eine Neuausrichtung hin zu geschlossener Software befürchtet. Darunter könnte das ganze Internet leiden.
Die Trump-Kampagne hat ein Nazi-Zeichen genutzt. Daraufhin passierte das, wie Markus Reuter beschreibt: Facebook sperrt Wahlwerbung von Trump wegen Nazi-Symbolik.
In einer Wahlwerbung gegen seine politischen Gegner auf Facebook nutzte Trump den roten Winkel. Dieses Symbol hatten die Nationalsozialisten genutzt, um politische Gefangene in den Konzentrationslagern zu kennzeichnen.
Was sonst noch passierte:
Das Kanzleramt hat eine Zusammenfassung der Ergebnisse einer öffentlichen Konsultation zu einer Datenstrategie veröffentlicht: Gemeinsam Datenpolitik gestalten.
Anfang März hatte ich dem Kanzleramt in einem Kommentar vorgeschlagen, das Thema doch mal praktisch an der eigenen Arbeit anzuwenden und die Gesamt-Ergebnisse der Konsultation als Open Data transparent zu veröffentlichen. Also sämtliche Einreichungen und nicht nur eine Zusammenfassung. Immerhin will man Vorreiter beim Thema Offenheit werden. Das ist kein Hexenwerk, selbst die EU-Kommission bekommt das bei ihren Konsultationen schon seit vielen Jahren hin. Aber offensichtlich bleibt man lieber bei der gängigen Praxis, und hat eine selbst kuratierte Zusammenfassung veröffentlicht.
Ich hab gerade mal bei FragdenStaat eine Informationsfreiheitsanfrage ans Kanzleramt gestellt und möchte die Gesamt-Ergebnisse haben, die mir wahrscheinlich auch zustehen. Wir veröffentlichen die dann, wenn wir sie erhalten und machen damit dann mal wieder eine Aufgabe, wofür wir eigentlich die Bundesregierung bezahlen.
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Beim Thema Offenheit ist die Schwarz-Gelb-Grüne Koalition in Schleswig-Holstein weiter. Heute wurde im Landtag eine Open-Source-Strategie vorgestellt. Das Land möchte flexibler und vor allem unabhängiger von Microsoft werden. Das wird seit 20 Jahren gefordert, aber getraut hat sich das noch niemand, zumindest nicht auf Landesebene. Zu stark waren die Lobby-Bemühungen von Microsoft. Aber vor allem konnten sich alle politisch Verantwortlichen für ihre IT-Entscheidungen immer absichern, wenn man das nimmt, was alle nehmen. Dieser Mechanismus beschreibt leider, warum die Firma Microsoft ein Monopol auf unsere Office-Infrastrukturen hat, mit sämtlichen Nachteilen.
Im Interview mit Golem.de beschreibt der grüne Digitalminister Jan Philipp Albrecht, was die Argumente für einen Umstieg sind: Bye, bye Microsoft, hello Open Source. Ich drück die Daumen, endlich macht es mal wer.
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Es bleibt leider immer noch unklar, ob es nach einer Corona-Infektion ausreichend Antikörper gibt, ob die bleiben und ob es Unterschiede macht, ob man jetzt Symptome erlebt hat – oder nicht. Über verschiedene aktuelle Studien berichtet die New York Times: You May Have Antibodies After Coronavirus Infection. But Not for Long.
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Am Montag hat die taz eine Kolumne von Hengameh Yaghoobifarah mit dem Titel „Abschaffung der Polizei – All cops are berufsunfähig“ veröffentlicht. Diese war im Kontext der #BlackLivesMatter – Debatte rund um „defund the police“ geschrieben und endete damit, dass alle Polizeibeamt:innen auf die Müllhalde gehören. Es war eine gekennzeichnete Kolumne, der satirische Charakter war erkennbar (wenn man es wollte). Auch wenn meine persönliche Meinung eine andere ist, so sollte man einen solchen Text natürlich veröffentlichen dürfen. Zumal der Artikel auch aus einer Perspektive geschrieben wurde, aus der Yaghoobifarah selbst wahrscheinlich häufig Opfer von Rassismus wurde und diesen auch im Kontakt mit der Polizei selbst erlebt hat – was ich aus meiner Perspektive nicht ganz beurteilen kann.
Das war natürlich ein gefundenes Fressen für die rechte Polizeigewerkschaft DPolG um Rainer Wendt, die sich damit in der Opferrolle suhlen konnte. Dann folgten die üblichen rechten Medien, für die die Geschichte gefundenes Fressen war. Als wäre die Kolumne das relevanteste Thema des Tages!11 Wut klickt gut.
Aber es wurde noch besser schlechter: Der vorläufige Höhepunkt war am Donnerstag ein Tweet der CSU mit einer Bild-Montage, auf die ein Foto von Yaghoobifarah in einer Art Zielscheibe samt ihrem Namen montiert war. Dazu gab es ein Zitat des CSU-Generalsekretärs Markus Blume mit allen Reizwörtern, die man heute so braucht, um rechte Trollherden auf jemanden zu jagen.
In der Regel bekomme ich solche Einschüchterungsversuche von Regierungsparteien gegenüber Journalist:innen nur aus repressiven Regimen und seit Trump in den USA mit. Die CSU hat billigend in Kauf genommen, dass sich durch die Tonalität und Bildsprache viele Menschen – natürlich vor allem Männer – motiviert fühlen, gegen einen Menschen mit Migrationshintergrund vorzugehen, ihren Hass über eine einzelne Person auszuschütten.
Die CSU hat dann den Tweet irgendwann gelöscht und sich zumindest halbherzig entschuldigt. Die Bedrohungen gegenüber Hengameh Yaghoobifarah bleiben.
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Vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main wird der Mord an dem CDU-Politiker Walter Lübcke verhandelt. Am zweiten Prozesstag wurde das Video einer vierstündigen Vernehmung vorgespielt, in dem der mutmaßliche Täter den Mord zugab. Bei Spiegel-Online gibt es eine Zusammenfassung, das tief in die Gedankenwelt von gewaltbereiten Nazis blicken lässt: Das widerrufene Geständnis des Stephan Ernst.
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Apropos Nazis. Die Suche nach ihnen unter KSK-Soldaten gehen weiter. Aber wie immer in diesem Metier gibt es wieder eine „Panne“: MAD-Fahnder gab Ermittlungsdetails an KSK-Soldaten weiter. Das war der Stand gestern. Heute ist das wieder überholt. Mittlerweile wurden acht KSK-Soldaten mit Interna aus dem Militärischen Abschirmdienst versorgt: Weitere Daten aus dem MAD abgeflossen.
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Der Landtag von Schleswig-Holstein hat Marit Hansen einstimmig für eine zweite Amtszeit als Landesdatenschutzbeauftragte gewählt. Sie war 2015 dem überraschend nicht wiedergewählten Thilo Weichert in das Amt gefolgt. Formell bestätigt wird Hansens Wahl allerdings noch nicht: Ein Mitbewerber ficht das Verfahren der DPA zufolge juristisch an. Dabei geht es offenbar um die Frage, ob die Stelle der DSGVO zufolge nicht ordentlich hätte ausgeschrieben werden müssen. Den Kieler Nachrichten war zu entnehmen, dass es sich dabei um den gleichen Mann handelt, der 2016 staatswaltschaftliche Ermittlungen gegen die Informatikerin ausgelöst hatte. Als ehemaliger Mitarbeiter warf er Hansen Fehler beim Umgang mit Fördermitteln vor, das Verfahren wurde eingestellt.
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Die US-Regierung von Präsident Donald Trump hat klargestellt, dass eine gemeinsame Digitalsteuer aller Industriestaaten zum Scheitern verurteilt ist, nachdem sie sich aus Gesprächen im Rahmen der Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) zurückgezogen hat. Die EU-Kommission möchte nun neuerlich einen Vorschlag für eine gemeinsame europäische Digitalsteuer vorlegen, die zuletzt vor über einem Jahr von einigen EU-Staaten mit deutscher Mitwirkung gestoppt wurde. Auch diesmal ist fraglich, ob Google, Facebook und Co. und ihre Verbündeten unter den Mitgliedsstaaten eine Besteuerung von digitalen Dienstleistungen zulassen werden, denn für die Konzerne stehen Milliarden auf dem Spiel.
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Amazon-Gründer Jeff Bezos ist mit mehr als hundert Milliarden US-Dollar Vermögen der vermutlich reichste Mensch der Welt. Als Hobby leistet er sich die Washington Post, deren Eigentümer er seit 2013 ist. Doch während Bezos‘ Konzern eine Millionenspende für „Gerechtigkeit und Gleichheit“ ankündigt, ist der Einzelhandelsmagnat wenig bereit, in seiner Zeitung für Lohngerechtigkeit zwischen weißen Männern, Frauen und Angehörigen ethnischer Minderheiten zu sorgen. „Die Anhebung der Gehälter aller nicht-weißen Journalisten auf das durchschnittliche Gehalt der weißen Journalisten würde knapp 2 Millionen Dollar pro Jahr kosten. Die Anhebung des Gehalts aller Frauen in der Nachrichtenredaktion auf das durchschnittliche Gehalt der Männer würde etwa 9 Millionen Dollar pro Jahr kosten“, rechnet die Columbia Journalism Review vor. Doch auf eine rechtlich einklagbare Form von Gerechtigkeit hat Bezos bislang wenig Appetit gezeigt, wie schon sein Vorgehen gegen gewerkschaftliche Organisation bei Amazon deutlich gemacht hat.
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Bei Deutschlandfunk Nova gibt es ein einstündiges Gespräch mit der Psychologin Pia Lamberty über ihre Forschung: „Verschwörungs-Erzählungen radikalisieren Gesellschaften“.
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Und wo wir schon dabei sind: frontal_ , das YouTube-Format von Frontal 21, erklärt in 18 Minuten, was sich hinter QAnon in Deutschland verbirgt: Wie gefährlich kann eine Verschwörungstheorie werden?
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Viele Grüße und bleibt gesund,
Markus Beckedahl
Ich freue mich immer über Feedback und gute Hinweise. Meine Mailadresse ist markus@np. Ich bin zwar häufig von zu vielen eMails überfordert und bekomme nicht alle beantwortet. Aber ich lese alle Mails.
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