Hallo,
derzeit wird es unseren bits-Newsletter nur in unregelmäßigen Abständen geben und Corona ist Schuld. Wir sind als Redaktion gerade aktuell von Schul- und Kitaschließungen betroffen und damit fallen unsere Eltern teilweise oder (je nach Kinderzahl) weitgehend aus. Ich bin dazu mit Planungen für das kommende Jahr beschäftigt und zusätzlich ist wegen der Weltlage das mediale Interesse an unseren Themen sehr groß, sodass ich derzeit einfach keine Zeit habe, jeden Tag einen Newsletter zu schreiben.
Trotzdem gibt’s heute eine Extraausgabe mit einem haarsträubenden Bericht zu Huawei, für die wir erstmals mit dem Recherchenetzwerk The Signals Network zusammengearbeitet werden. Unsere Redakteure Alexander Fanta und Daniel Laufer sowie Kolleg:innen von The Daily Telegraph, El Mundo und Republik haben mit mehr als einem Dutzend Ex-Beschäftigten von Huawei in verschiedenen europäischen Ländern gesprochen und interne Dokumente sowie verdeckte Tonaufnahmen ausgewertet.
Unsere Recherchen ergaben:
• Wer ständiges Aufenthaltsrecht erwirbt, muss Europa verlassen: Der Konzern unterwirft seine aus China ins Ausland geschickten Angestellten einem strikten Rotationsprinzip, nachdem niemand länger als fünf Jahre in Europa bleiben darf. Der Griff der Firma reicht tief in das Privatleben seines Personals, dabei es geht es aus Sicht von Ex-Beschäftigten um Kontrolle. In internen Richtlinien, die netzpolitik.org und seine Recherchepartner einsehen konnten und deren Echtheit von der Firma nicht bestritten wird, heißt es, wer eine Person mit ständigem Aufenthaltsrecht in Europa heirate oder dieses auf andere Art erwerbe, müsse „Europa so schnell wie möglich verlassen“. Einem chinesischen Angestellten, der bis Anfang 2019 für Huawei in der Schweiz arbeitete, wurde nach eigenen Angaben mit der Kündigung gedroht, während seine europäische Partnerin ein Kind erwartete. Huawei sagte auf Anfrage, diese Bestimmung sei inzwischen nicht mehr in Kraft, aber machte keine Angaben darüber, seit wann.
• Huaweis oberste Führungsebene ist rein chinesisch: Wer nicht aus China entsandt wurde, hat nach Angaben von Ex- Angestellten schlechte Aufstiegschancen. Quellen berichten, Nicht-Chinesen erhielten weniger Zugang zu Informationen und würden aus wichtigen internen Entscheidungen ausgeschlossen. Bei Meetings wechsele das Führungspersonal an entscheidenden Stellen mitunter ins Chinesische. Auch stehe „hinter jedem deutschen Geschäftsführer oder Personalleiter irgendeine chinesische Spiegelfigur“, wie uns IG-Metall-Gewerkschafterin Ulrike Saaber berichtete. Deutsche Geschäftsführer dürften „eigentlich nichts alleine entscheiden.“ Auf Anfrage bestreitet die Firma, dass es chinesische „Aufsichtspersonen“ geben und spricht statt dessen von einer „bewährten Doppelspitzen-Strukturen mit klarer und vernünftiger Aufgabenteilung“.
• Vorwürfe wegen Geschlechter- und Altersdiskriminierung: In Deutschland und in Spanien gab es arbeitsrechtliche Verfahren gegen Huawei wegen Beschwerden über ungerechtfertigte Kündigungen älterer Arbeitskräfte. Frühere Angestellte an der Europazentrale in Düsseldorf erzählen, Huawei sehe es nicht gerne, wenn jemand bis zum Rentenantrittsalter bei der Firma bleibe. Ein spanisches Arbeitsgericht urteilt im November 2020, dass der Konzern fünf Beschäftigte zu unrecht entlassen und damit aufgrund ihres Alters diskriminiert habe. Der Konzern bestreitet das auf Anfrage. In einem andere spanischen Verfahren entschied ein Gericht das eine Frau, die Huawei im Verfahren sexistische Diskriminierung infolge einer Kinderwunschbehandlung vorgeworfen hatte, ungerechtfertigt entlassen wurde. Vor Gericht sagte eine spanische Betriebsrätin von Huawei, sie wisse von mindestens fünf Frauen, die Mütter geworden seien und ihren Job bei Huawei verloren hätten.
• Martialische Rhetorik und Rommel-Zitate: Firmengründer Ren Zhengfei ist für seine militärische Rhetorik bekannt, auch in der Europazentrale des Konzerns sind Verweise auf „Generäle“ und „Schlachten“ laut Ex-Angestellten an der Tagesordnung. Wie historisch wenig sensibel Huawei dabei vorgeht, zeigt ein nach Beginn unserer Recherche von der Firmenseite gelöschter Blogeintrag, der Wehrmachtsgeneral Erwin Rommel als „unbesiegbaren“ Feldherren anpreist.
Die ganze Recherche gibt es hier nachzulesen, Daniel und Alex haben auch eine englische Version gemacht.
Weitere Highlights der vergangenen Wochen auf netzpolitik.org:
Unser Autor Leonard Kamps hat gestern festgestellt, dass das Campus-Management-System der FU Berlin ihm die Möglichkeit gab, seinen bisherigen Notenverlauf zu optimieren und dass er das auch für alle bisherigen Studierende bis zurück ins Jahr 2005 machen konnte. Das System wurde nach seiner Presseanfrage schnell abgeschaltet: Freie Universität Berlin gab Studierenden vollen Zugriff auf alle Prüfungsdaten.
Eine technische Panne im Campus Management System der FU Berlin machte heute Studierende zu Prüfungsämtern. Im „God-Mode“ konnten sie Noten und Teilnahmelisten der gesamten Uni seit 2005 einsehen und teils verändern. Den Studierenden wurden die Sonderrechte erst nach einer Anfrage von netzpolitik.org an die FU-Pressestelle entzogen.
===
Das dominante netzpolitische Thema der vergangenen Woche war das sogenannte Deplatforming von Donald Trump von Plattformen wie Twitter und Facebook. Markus Reuter fasst die Debatte zusammen: Warum Trumps Accountsperrungen richtig und hochproblematisch sind.
Zu dem Thema war ich gestern auch als Interview-Gast in der 3sat-Kulturzeit zu sehen.
Was sonst noch passierte:
Der Chaos Communication Congress des Chaos Computer Club fand zwischen Weihnachten und Neujahr nur als Remote Chaos Experience – Edition statt. Ich hab in einem netzpolitischen Wetterbericht die Themen des vergangenen Jahres zusammengefasst. Davon gibt es ein Video auf media.ccc.de und auf Youtube. Und ich freue mich wieder auf die Zeiten, wo man Vorträge vor Menschen und nicht einer Kamera halten kann. Das macht irgendwie mehr Spaß.
Auf dem RC3 gab es viele andere spannende Vorträge, die alle online zu finden sind. Ich fand am spannendsten den Talk von Arne Vogelsang, der den Stand der Debatte rund um den QAnon-Verschwörungsmythos zwischen Live-Action-Roleplaying-Game und Alternate-Reality-Game zusammengefasst hat. Das ist gute Unterhaltung und Wissensvermittlung in einem. Und vor allem wurde das eine Woche später alles noch viel realer mit dem Sturm auf das Capitol: This Is Not A Game – Eine kurze Geschichte von Q als Mindfuck-Spiel.
===
Am Freitag feiert Wikipedia den 20. Geburtstag und möglicherweise schaffe ich deswegen dann die nächste bits-Sonderausgabe. In der Arte-Mediathek gibt es eine Dokumentation über die Online-Enzyklopädie zu sehen, die in Teilen gut ist und in Teilen die üblichen alten Männer reden lässt, die schon immer dieselbe Meinung zur Wikipedia gehabt haben. Das war dann jeweils der schwächere Part der Dokumentation, trotzdem ist sie sehenswert, weil sie gut Mechanismen und Hintergründe erklärt: Das Wikipedia Versprechen – 20 Jahre Wissen für alle?
===
Netflix hat die Macher:innen von Black Mirror mit „Death to 2020“ einen Rückblick auf 2020 machen lassen und das ist der intelligenteste, lustigste und zugleich absurdeste Jahresrückblick, den ich zu diesem Jahr gesehen habe. Lustig ist auch der Meta-Hintergrund, dass die Macher:innen von Dystopien einfach nur die Realität des Jahres abgebildet haben und dazu (berühmte) Schauspieler:innen in verschiedenen Rollen einen „persönlichen“ Rückblick geben und Entwicklungen einordnen. 70 Minuten lang, man muss aber konzentriert davor sitzen, um möglichst viele Witze und Anspielungen zu verstehen, denn das ist alles sehr dicht erzählt.
Das war es für heute. Viele Grüße und bleibt gesund,
Markus Beckedahl
Ich freue mich immer über Feedback und gute Hinweise. Meine Mailadresse ist markus@netzpolitik.org. Ich bin zwar häufig von zu vielen eMails überfordert und bekomme nicht alle beantwortet. Aber ich lese alle Mails.
Diesen Newsletter kann man hier abonnieren.
Dieser Newsletter wird auch von vielen Spenden im Rahmen der freiwilligen Leser:innenfinanzierung von netzpolitik.org ermöglicht. Mit Deiner Unterstützung können wir noch viel mehr machen.