[bits] MIt pseudonymen Mailadressen gegen Corona

Hallo,

die Problematik der Corona-Listen, die man zur möglichen Nachvollziehbarkeit von Infektionsketten in Bars und Gaststätten mit den eigenen Daten ausfüllen soll, hatte ich bereits mehrfach geschrieben. Das Problem sind nicht nur die anderen Menschen, welche die häufig ungeschützten Daten mitlesen können. Sondern auch die Praxis vieler Polizeien, auf die Daten zugreifen zu wollen.

Den vorläufigen Höhepunkt der Entwicklung hat Daniel Laufer recherchiert: In Bayern werden die Corona-Kontaktlisten auch für Drogenermittlungen genutzt. Das passt natürlich nicht nur Aussage des bayrischen Innenministers, der in Interviews den Anschein erweckt, dass man selbstverständlich nur in Straftaten gegen das Leben in Ausnahmefällen auf solche Daten zugreifen würde.

Aber das kennen wir ja schon aus sehr vielen anderen Debatten: Sobald Daten erhoben werden, wachsen die Begehrlichkeiten, auf diese zuzugreifen. Und sei es nur, um gegen Kiffer:innen vorzugehen.

Ich hab mir angewöhnt, in den seltenen Fällen, wo ich mal kurz eine Bar von innen sehe, um Getränke nach draußen zu holen, meine gewohnten Fake-Adressdaten anzugeben, aber zumindest eine funktionierende pseudonyme Mailadresse zu hinterlassen, über die ich tatsächlich im Falle einer gemeldeten Infektion erreichbar bin. Das sollte den Sinn und Zweck der Datensammlung für eine mögliche Kontaktaufnahme durch ein Gesundheitsamt erfüllen und ich muss mir keine Sorgen machen, dass die dort erhobenen Daten sonst wie gegen mich verwendet werden können.

Neues auf netzpolitik.org:

Leonhard Dobusch hat Martin Häuer zu einem neuen DIN-Standard interviewt: Offene DIN-Norm für Offene Hardware

Offene Hardware versucht die Potentiale von Open-Source-Prinzipien für Technologieentwicklung auch jenseits von Software zu nutzen. Seit kurzem gibt es einen offiziellen DIN-Standard dafür. Im Interview erklärt Martin Häuer, warum das hilfreich ist und was den Standard besonders macht.

Am Schluss war es ein Teenager, der Twitter in der Hand hatte, meldet Markus Reuter: 17-jähriger Verdächtiger wegen Twitter-Hack festgenommen

Schneller Erfolg bei der Suche nach dem Twitter-Hacker. Das FBI hat am Freitag einen Teenager in Tampa festgenommen, der für den Hack gegen den Kurznachrichtendienst Mitte Juli verantwortlich sein soll.

Sabine Mehlem erzählt in ihrem Gastbeitrag über die digitalen Techniken der Proteste in Chile:  Der Aufstand offline und online gegen das neoliberale Modell

Auf Plattformen wie Facebook, Twitter oder Instagram mit Hashtags, auf der Straße mit Demonstrationen in Tränengas-Wolken: Der Protest „Chile ist aufgewacht“ richtet sich nicht nur gegen den amtierenden Präsidenten Sebastian Piñera und die Gewalt seiner Regierung, sondern gegen das neoliberale Staatsmodell. Ohne die digitale Technik wäre die Bewegung in dieser Form nicht möglich.

Ingo Dachwitz, Anna Biselli und Daniel Laufer sprechen in der neuen Ausgabe unseres Werkstatt-Podcasts über Recherchen, die im Nirgendwo endeten – und warum diese ganz normal sind bei der Arbeit: Ausflug auf den Recherche-Friedhof

Was passiert eigentlich, wenn eine Recherche ins Nichts führt oder sich eine Geschichte in Luft auflöst? Ein Podcast über den konstruktiven Umgang mit Rückschlägen und Sackgassen.

 

Wissenswertes zur Coronakrise:

Nächste Woche gibt es wieder Schulunterricht in Berlin. Zumindest sagt das der Kalender. Eltern wissen immer noch nicht, was genau passieren wird. Und wie lange. Aber zumindest soll es keine Maskenpflicht im Unterricht geben. NRW beginnt wenige Tage vorher und führt genau diese ein.

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Die Taz hat ein Interview mit Professor Martin Kriegel vom Hermann-Rietschel-Institut für Energietechnik an der TU-Berlin zu Aerosol-Forschung gemacht. Er sagt auf Basis seiner Forschung zum Schulbeginn: „Auf Masken nicht verzichten“.

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Gestern Abend interviewte Marietta Slomka im Heute-Journal Klaus Cichutek, Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts, über mögliche Zulassungen eines Corona-Impfstoffes. Er ist zuversichtlich, dass irgendeiner in absehbarer Zeit schon klappen wird. Sonst war das auch ein interessantes Nerd-Interview mit Hintergrund-Infos zum Thema zur besten Sendezeit.

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Die Techniksoziologin Zeynep Tufekci kritisiert im The Atlantic, dass wir immer noch zu wenig über die Verbreitung von Aerosolen wissen und das zu wenig erforscht werde: We Need to Talk About Ventilation.

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Die New York Times hat recherchiert, in welchem Krankenhaus man welche Überlebenschancen während der Hochphase der ersten Welle in New York gehabt habe. In einem Podcast werden die Ergebnisse der Recherche zusammengefasst: The mistakes New York made. Keine Überraschung, aber traurig: Selbstverständlich hatten Privatpatienten eine viel höhere Überlebenschance als Kassenpatienten bzw. denjenigen, die gar nicht krankenversichert waren. Das lag auch daran, dass es unterschiedliche Krankenhäuser gab.

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Die University of California hat ein lesenswertes Feature über die zahlreichen möglichen gesundheitlichen Probleme durch das Coronavirus erstellt: We Thought It Was Just a Respiratory Virus. We were wrong.

Was sonst noch passierte:

Der hessische Innenminister hat verkündet, dass die Geheimhaltungsfristen für die NSU-Akten des hessischen Verfassungsschutzes nicht mehr für 120 Jahre geheim gehalten werden sollen, nur nur noch für 30 Jahre. Man behalte sich aber vor, nach 30 Jahren über eine Verlängerung der Geheimhaltung zu entscheiden.

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Christiane Schulzki-Haddouti schreibt über das Fehlen geeigneter Förderinstrumente für Gemeinwohl-orientierte Digitalprojekte. Das traurige an dem Thema ist, dass man noch vielen Jahren immer noch darauf verweisen muss, dass hier kaum was getan wird. Und das obwohl wir eine sehr engagierte digitale Zivilgesellschaft in Deutschland haben: Commons-Projekte weisen den Weg in eine Gemeinwohl-orientierte Wirtschaft.

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Gibt es nachhaltige Computerspiele? Ja, sagt Dominik Rinnhofer, Professor für Game-Design an der Hochschule Macromedia, im Interview mit der Süddeutschen Zeitung. Denn bei nachhaltigen Spielen gehe es auch darum, umweltbewusstes Verhalten zu üben. Es sei aber auch paradox, dass die Gaming-Industrie ein großes Ökologie-Problem habe: „Unsere Zukunft wird durch Computerspiele gestaltet“.

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Über die Gefahren eines immer militanter werdenden Antifeminismus berichtet die Deutsche Welle: Der rechte Hass auf Frauen. Dieser könne wie eine Einstiegsdroge für extrem rechtes Gedankengut wirken. „Besonders Männer, die sich einer sozialen Krise befinden, deren Jobs und Lebensstandard gefährdet sind, seien für dieses Gedankengut anfällig. Es sei entlastend etwas zu finden, das scheinbar Schuld an der eigenen Misere habe. Der Sündenbock: Feminismus.“ Auf Twitter wirkt Antifeminismus häufig wie ein Bindeglied zwischen liberaler, libertärer, konservativer und rechtsextremer Blasen mit hohem Männeranteil. Der gemeinsame Feind sind dann vor allem Frauen, die sich für einen gesellschaftlichen Fortschritt engagieren:
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Das Tagesspiegel Lab hat „Alle schlimmen Verkehrsunfälle in Berlin auf einer Karte“ verzeichnet. Es finden sich auch anschauliche Grafiken, welche Verkehrsmittel am häufigsten mit welchen anderen Verkehrsmitteln aneinandergeraten. Das passiert übrigens am wenigsten bei Fußgängern mit anderen Fußgängern. Zumindest wird das nicht als Verkehrsunfall erfasst.

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Die neue Chefin der New York Times gibt viele Einblicke in den aktuellen Stand der Medien-Organisation: The New York Times’ new CEO, Meredith Levien, on building a world-class digital media business — and a tech company. 1.700 Journalist:innen arbeiten derzeit im Newsroom, 700 Menschen entwickeln Produkte, darunter viele Programmier:innen. Sechs Millionen Abonnenten hat die News York Times, davon sind fünf Millionen digitale Abonnenten.

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Dort werden dann Geschichten wie diese recherchiert und geschrieben: Why Protest Tactics Spread Like Memes. Protestformen werden durch soziale Medien auch immer mehr zu kulturellen Phänomenen und gerade die Hongkonger Proteste haben weltweit viele andere Proteste inspiriert.

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Im B5-Medienmagazin ging es am Samstag darum, wie TV-Serien unser Politikverständnis prägen. Keine große Überraschung: Wer nur „House of cards“ schauw, hält alle Politiker:innen für korrupt. „West Wing“-schauende wundern sich sicher, wie Donald Trump an die Macht kam und Borgen hat wahrscheinlich mehr für das Image von Dänemark getan, als deren gesamte Tourismusförderung (zumindest bei Politik-Nerds). Zweites Thema war übrigens, wie Serien in Zeiten von Corona gedreht werden. Gerade für Tele-Novelas, wo viel und regelmäßig geküsst wird, sorgt die Pandemie für neue Herausforderungen: Küssende müssen vorher in Quarantäne, deshalb werden Kuss-Szenen jetzt am Fließband gedreht.

Videos des Tages: Fantasy mit Toni Erdmann

Einmal im Jahr werden die besten Science-Fiction und Fantasy-Geschichten mit den Hugo Awards ausgezeichnet. Bei io9 gibt die Übersicht der diesjährigen Gewinner:innen.

Und in der Arte-Mediathek findet sich „Die Geschichte der Fantasy – Magische Welten“ in zwei Teilen.

Und wem das zu magisch ist, ebenfalls in der Arte-Mediathek gibt es derzeit den mehrfach ausgezeichneten Film „Toni Erdmann“ zu sehen.

Das Letzte:

Am Wochenende sind in Berlin zahlreiche Corona-Leugner zusammengekommen und haben für eine zweite Welle demonstriert. Ich hab mir das nur aus der Ferne angeschaut. Aber aus meinen Erfahrungen mit früheren „Hygiene-Demos“ in Berlin wusste ich bereits, was einen erwartete.

Viele gingen diffus im Namen der Grundrechte auf die Straße. Aber irgendwie bemerkten sie nicht, dass es doch etwas absurd aussehen könnte, wenn man lautstark seine Meinung verkündet und sich gleichzeitig darüber beschwert, dass man in diesem Land seine Meinung nicht mehr sagen könnte. Das war aber nur eine von vielen Merkwürdigkeiten.

Viele Teilnehmende gingen wahrscheinlich auch aus ökonomischen Gründen auf die Straße, weil sie wirtschaftlichen Schaden durch die Ausgangsbeschränkungen erlebt haben. Das ist menschlich nachvollziehbar. Aber wie kann man dieser Zielgruppe besser erklären, dass die Verweigerung beim Maskentragen in Kombination mit großen schreienden Menschenmassen in Zeiten einer Pandemie wahrscheinlich mit die effektivste Strategie ist, um weitere Ausgangsbeschränkungen und damit wieder ein Grund zum Demonstrieren zu bekommen?

Nur auf der Bühne standen dann die Gewinner dieser Krise: Ein halbes „Who is who“ der deutschen Verschwörungsinfluencer:innen, die auf Youtube und Telegram erfolgreiche Geschäftsmodelle und Kulte aufgebaut haben und von der Naivität, Unsicherheit sowie der Angst vor Kontrollverlust ihrer Gefolgschaft profitieren.

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Das war es für heute. Viele Grüße und bleibt gesund,
Markus Beckedahl

Ich freue mich immer über Feedback und gute Hinweise. Meine Mailadresse ist markus@netzpolitik.org. Ich bin zwar häufig von zu vielen eMails überfordert und bekomme nicht alle beantwortet. Aber ich lese alle Mails.

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