[bits] Verschwörung im Funkloch

Hallo,

die vergangene Woche konnte ich mich in einer anderen Realität entspannen. Das ist in Berlin recht einfach, man muss nur aus der Stadt heraus fahren. Überall in Brandenburg ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass es garantiert kein Internet gibt. Das ist mir in den vergangenen Jahren auf zahlreichen Reisen in verschiedene Länder auch immer nur zuverlässig in Brandenburg passiert.

Das große Thema der Verschwörungsmythen hab ich zum Glück nur am Rand mitbekommen. Über meine Erfahrungen auf einer dieser „Impf-Demos“ in Berlin hatte ich bereits in einer früheren Newsletter-Ausgabe berichtet. Mittlerweile gibt es davon ja einige mehr. Und an dem Thema zeigt sich auch, dass nicht allen Mitmenschen die kurze Zeit der Ausgangsbeschränkungen gut getan hat. Anders kann ich mir das nicht erklären, dass Koch-Sternchen mittels Telegram Massen über ihren Wahnzustand informieren und kleine Teile davon sogar zu Demos vor dem Reichtstag mobilisieren können.

Man weiß auch nie, ob das Publikum dann nur aus Schadensfreude und Spaß dabei ist, sich selbst inszenieren und in die Öffentlichkeit bringen will oder tatsächlich daran glaubt, dass unter der Erde (!) der EU (!) tausende US-Soldaten (!) gegen Kinderentführer kämpfen (!) und dabei von Trump (!), Xi Jinping (!) und Putin (!) unterstützt werden, wie es der QAnon-Verschwörungsmythos erklärt, an den auch Xavier Naidoo glaubt. Früher wäre das ein klarer Fall für die Psychiatrie gewesen, heute kann man damit Kochbücher verkaufen.

Andere glauben daran, dass 5G für Covid-19 verantwortlich ist, zünden dann 4G-Masten an, weil sie nicht kapieren, dass der 5G-Ausbau leider immer noch Zukunftsmusik ist und beschweren sich dann, dass sie nicht mehr auf ihre Verschwörungsvideos auf Youtube zugreifen können, weil das Internet kaputt ist. Verrückte Zeiten also.

Aber was macht man eigentlich mit Freunden, Bekannten und Familienangehörigen, die einem über soziale Medien Verschwörungserzählungen zuschicken und die offensichtlich an solche glauben, obwohl man sie bisher für halbwegs vernünftige Menschen hielt? Daniel Laufer hat einen lesenswerten Beitrag auf netzpolitik.org dazu geschrieben: Wenn die Eltern plötzlich an Verschwörungstheorien glauben.

Einer der Pop-Sternchen der Corona-Leugner ist der ehemalige Journalist Ken Jebsen. Sein erfolgreichstes Verschwörungsvideo zu Corona hat auf Youtube bereits mehr als drei Millionen Views gehabt und wird immer noch fleißig geteilt. Sein Schaffen als manipulativer Dämagoge und Märchenerzähler beobachte ich seit vielen Jahren. Ich bin immer etwas verwundert, dass viele Menschen lieber ihm als journalistischen Medien-Angeboten glauben, weil Jebsen weder sympathisch wirkt, noch kompetent ist.

Der ist sogar zu blöd zum suchmaschinen, wenn man sich Fakten-Checks zu seinem Gates-Verschwörungsvideo durchliest (was leider viele seiner Gläubigen nicht machen, weil es könnte die eigene Glaubenswelt erschüttern). Die Belltower News haben ein Portrait über sein Schaffenswerk gemacht: Der gefährliche Querfront-Demagoge.

Manchmal ist es auch nur Angst als Grund für den Drang, an irgendwelche Mythen zu glauben. Über die Angst in dieser Krise schreibt Carolin Emcke in der Süddeutschen Zeitung: Von realen und missbrauchten Ängsten, von geistigen Flipperkugeln – und dem Juckreiz, dem man nicht nachgeben darf.

In einem Gastbeitrag auf Spiegel-Online erklärt die Historikerin Stefanie Schüler-Springorum, Leiterin des Zentrums für Antisemitismusforschung an der TU Berlin, was die aktuellen Corona-Leugnungen mit Antisemitismus zu tun haben und was seit vielen Jahrhunderten dasselbe Muster ist: Warum Verschwörung? Warum die Juden?

Neues auf netzpolitik:

Zwei Jahre lang hat die Wikimedia-Foundation in einem globalen Strategieprozess Empfehlungen und Maßnahmen für eine Weiterentwicklung des Wikipedia / Wikimedia-Ökosystems entwickelt. Nicole Ebber aus Berlin war für diesen Strategieprozess die Projektleiterin. Leonhard Dobusch hat sie zum Prozess und den Ergebnissen interviewt: Wie groß ist der Erneuerungsbedarf bei Wikipedia & Co?

Die ungarische Regierung hat in der Pandemie angekündigt, Teile der Europäischen Datenschutzgrundverordnung auszusetzen. Andrea Jelinek, die Vorsitzende des Europäischen Datenschutzausschusses, fordert Antworten. Alexander Fanta hat in Brüssel der Vorstellung ihres Jahresberichtes gelauscht und die Erkenntnisse zusammengefasst: Oberste EU-Datenschützerin besorgt über Ungarn.

Künftig landen die persönlichen Daten aller auf das Coronavirus Getesteten bei den Gesundheitsbehörden. Das schreibt das zweite Pandemieschutzgesetz vor, das in der vergangenen Woche beschlossen wurde. Der Bundesdatenschutzbeauftragte sieht darin einen Eingriff in die Grundrechte. Daniel Laufer hat einen Überblick: Labore müssen auch negative Coronavirus-Tests melden.

Wissenswertes zur Coronakrise

Auf der vergangenen re:publica im digitalen Exil haben meine Kolleginnen Chris Köver und Ingo Dachwitz über die Debatte rund um eine Corona-Tracing-App informiert. Ein Video ihres Talks gibt es jetzt online: Die Corona-Tracing-App: Zentral, dezentral – vollkommen egal?

Nach der Datenspende-App (gibt es schon) und der Tracing-App (kommt angeblich Mitte Juni) gibt es Neues zur Quarantäne-App (soll auch kommen). Laut Bundesregierung wird die App vom Münchner Medizin-Start-up Climedo Health und dem US-Softwareunternehmen SAS entwickelt. Sie soll die Gesundheitsämter entlasten, indem Menschen in Quarantäne ihre Symptome wie in einem Tagebuch eintragen. Die Ämter müssten dann nicht mehr wie derzeit vielerorts hinterher telefonieren. Allerdings hätte man auch ein existierendes Open-Source-System nutzen können: SORMAS. Damit pflegen inzwischen 14 Gesundheitsämter den Überblick über Kontaktpersonen und die Funktion ließe sich leicht ergänzen. Ob die neue App auch Open Source wird?

Weil wir durch die Coronakrise immer mehr online kommunizieren, hat sich das Fraunhofer-Institut angeschaut, welche Bedingungen beispielsweise Videokonferenztools erfüllen müssen, um geltendem Datenschutzrecht zu entsprechen und technischen Sicherheitsanforderungen zu genügen. Dabei fragen sie etwa, ob Ton und Bild beim Eintritt von Teilnehmenden standardmäßig abgestellt sind oder was passiert, wenn der Online-Dienst beendet wird. Neben dem Whitepaper gibt es auch eine Checkliste mit den wichtigsten Punkten im Überblick.

Die niedersächsische Landesregierung weigert sich weiterhin, die Corona-Erlasse herauszugeben. Erst letzte Woche hat ein Gericht in Hannover entschieden, dass die Regierung ihre Erlasse zur Bekämpfung der Corona-Pandemie nicht weiter geheim halten darf. Geklagt hatte das Transparenzportal Frag den Staat. Nun geht das niedersächische Justizministerium in Berufung gegen das Urteil, darüber entscheiden wird das Oberverwaltungsgericht in einem Eilverfahren.

Ein riesiger Datensatz aus Smartphone-Aufnahmen von Stimme, Atmung und Husten soll in Kombination mit demografischen und medizinischen Daten helfen, Krankheiten wie Covid-19 automatisch zu erkennen. Dafür sammeln Forschende der Uni Cambridge Tonaufnahmen des Körpers von Freiwilligen, etwa Herzklopfen oder Seufzen. Damit wollen sie dann eine künstlicher Intelligenz trainieren, die Krankheiten automatisch erkennt. Das Projekt wird von EU-Fördergeldern unterstützt. Die Daten sollen zu Forschungszwecken auf den Servern der Universität gespeichert werden – nach eigenen Angaben anonymisiert und nach den Regeln der DSGVO.

In den USA lenkt Donald Trump wieder gekonnt von dem eigenen Versagen in der Coronakrise ab und hat mit einer Fake-Obamagate-Skandal erneut das Medienökosystem gehackt, wie Vox gut rekapituliert: The fake “Obamagate” scandal shows how Trump hacks the media.

Was sonst noch so passierte

Morgen Vormittag präsentiert das Bundesverfassungsgericht sein Urteil zur Massenüberwachung durch den Bundesnachrichtendienst. Ich bin gespannt und drück die Daumen, dass es zu einem wegweisenden Urteil wird. Im Idealfall wird dem System der anlasslosen Massenüberwachung sämtlicher Kommunikation durch unseren Auslandsgeheimdienst klare rechtsstaatliche Grenzen gesetzt. In der morgigen Ausgabe dieses Newsletters wird es dazu eine Bewertung geben.

In dem Verfahren wurden Dienstvorschriften einbezogen, die jetzt Spiegel und BR vorliegen. Daraus geht hervor, nach welchen Vorschriften BND-Mitarbeiter:innen das Internet überwachen. Denn die bekommen unter anderem Daten vom DE-CIX in Frankfurt am Main, dem Internet-Austauschknoten mit dem weltweit höchsten Datendurchsatz, und dürfen beispielsweise nicht mitlauschen, wenn sich das Gespräch um eine Liebesbeziehung dreht.

Christian Rath hat für die Berliner Zeitung Christian Mihr von Reporter ohne Grenzen interviewt, die eine der Beschwerdeführerinnen sind: „Journalisten sind darauf angewiesen, vertraulich zu kommunizieren“.

Die New York Times ordnet die aktuellen Entwicklungen bei facebook ein, wo Mark Zuckerberg immer mehr Kontrolle an sich reißt und alleine entscheidet: Now More Than Ever, Facebook Is a ‘Mark Zuckerberg Production’.

Im Herbst 2019 ist der sogenannte „Cyberbunker“ aufgeflogen: Ein Datenzentrum in einem Bunker im rheinland-pfälzischen Traben-Trarbach, das die Tagesschau als „Schaltzentrale im Darknet“ bezeichnet. Auf hunderten Servern liefen dort nach Angaben der Ermittlungsbehörden ausschließlich illegale Webseiten wie auch der weltweit zweitgrößte Darknet-Drogenmarkt „Wall Street Market“. Jetzt gibt es Belege, dass die Betreiber des Bunkers auch einen Server an die rechtsextreme „Identitäre Bewegung“ vermietet haben – und deren Positionen sind „nicht mit dem Grundgesetz vereinbar“. Der Betreiber will nichts von illegalen Inhalten auf seinen Servern gewusst haben und so schnell wie möglich zurück in seinen Bunker.

Anlasslose Kontrollen bei Veranstaltungen, heimliche Überwachungsmaßnahmen und Bodycam-Einsätze in Wohnungen sollen der Polizei in Baden-Württemberg bald erlaubt sein. Das steht im Entwurf für ein neues Polizeigesetz des Landes. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V. (GFF) hat verfassungsrechtliche Bedenken und weist in ihrer Stellungnahme darauf hin, dass sie die vorgeschlagenen Maßnahmen für unverhältnismäßig hält.

Audio des Tages: John Peel – Sessions

Der Musikjournalist John Peel hatte in den 70ern und 80ern in der BBC eine erfolgreiche Musiksendung, wo er vielen damals neuen Bands und Stilen rund um „Post-Punk“ Airtime gab. Viele „Peel-Sessions“ sind mittlerweile überall im Netz zu finden. Hier gibt es eine gesammelte Liste von rund 1000 Links zu Aufnahmen. Mit dabei sind frühe Auftritte von Nirvana, The Cure bis zu Killing Joke. Was fehlt: Ein Torrent, um alles bequem zusammen herunterladen zu können.

Apropos BBC: Die hat viele Bilder von früheren Film-Sets aus verschiedenen Epochen in Videokonferenz-kompatiblen Formaten veröffentlicht. Wer also das nächste Meeting mit einem älteren Doctor Who Hintergrund bestreiten möchte, findet dort zahlreiche Möglichkeiten.

Video des Tages: Löwenzahn in Manchester

Noch drei Tage ist einer der besten Musikfilme aller Zeiten in der ARTE-Mediathek zu finden: „24 hour people“ erzählt eine Geschichte aus Manchester. Die war in den 80er Jahren eine, popkulturell gesehen, sehr einflussreiche Stadt und hatte mit der Hacienda einen Club, der damals einen Status genoss, wie heute vielleicht das Berghain. Mehr Hintergründe zum Thema bietet das Buch „Manchester, England“ von Dave Haslam, der genau diese Musik-Geschichte nachzeichnet.

Happy birthday Löwenzahn! Die ZDF-Bildungsserie feierte ihren 40. Geburtstag. die Süddeutsche Zeitung hat ein lesenswertes Portrait: „Wisst ihr, wo bei euch der nächste Baum steht?“

Und in der ZDF-Mediathek zeigt die Folge S01E03 den Aufbau des Wohnwagens von Peter Lustig.

Viele Grüße und bleibt gesund,
Markus Beckedahl

Ich freue mich immer über Feedback und gute Hinweise. Meine Mailadresse ist markus@np. Ich bin zwar häufig von zu vielen eMails überfordert und bekomme nicht alle beantwortet. Aber ich lese alle Mails.

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